Keine Projektierungen, nur Wunschdenken

(hpd) Ehemalige Bundesgesundheits- und Umweltminister waren es ebenso wie gegenwärtige „Handelsblatt“- und „Wirtschaftswoche“-Redakteure: Mitglieder in den „K-Gruppen“ der 1970er Jahre. Diese „Kommunistischen Gruppen“ orientierten sich nicht an der DDR oder der Sowjetunion, sondern eher an Albanien und China. Eine neue Darstellung dazu ist leider etwas unstrukturiert und unsystematisch.

Die Entwicklung der gemeinten Organisationen, die nur in wenigen Fällen über 1.000 Mitglieder hatten und bei Wahlen meist unter 0,2 Prozent der Stimmen blieben, ist mit den Abspaltungen und Neugruppierungen kaum noch überschaubar. Einen Überblick mit persönlichen Kommentaren dazu will der studierte Philosoph und Sprachwissenschaftler Anton Stengl in seinem Buch „Zur Geschichte der K-Gruppen. Marxisten-Leninisten in der BRD der Siebziger Jahre“ liefern. Auf dem Klappentext heißt es zu seiner Person: „Er war in jungen Jahren in einigen der in diesem Buch behandelten Organisationen aktiv“, wodurch sich sowohl eine einseitige, persönliche wie polemische Perspektive bei der Darstellung erklärt.

Zunächst geht der Autor auf die historisch-politischen Rahmenbedingungen für das Aufkommen der K-Gruppen ein, wobei er sich auf die gesellschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik in den 1950er und 1960er Jahren und die Herausbildung der Achtundsechziger Bewegung bezieht. Danach behandelt Stengl die „Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten“ (KPD/ML), die im Unterschied zu den anderen Gruppen noch einen relativ hohen Anteil von Arbeitern in der Mitgliedschaft hatte. Dem folgen kurze Portraits zu Organisationen wie dem „Kommunistischen Bund Westdeutschland“ (KBW), dem „Kommunistischen Bund“ (KB) oder der „Marxistisch Leninistischen Partei Deutschlands“ (MLPD). Gesonderte Kapitel widmen sich danach der Arbeit, Ideologie, Klassenanalyse, Strategie und Abhängigkeit der Gruppen, wobei die Darstellung in den Kontext der innenpolitischen Entwicklung eingebettet wird. Gegen Ende skizziert Stengl mit Ausführungen zu Auflösung und Zersplitterung den Niedergang.

Als Resümee formuliert er: „Die Organisationen marxistisch-leninistischen Anspruchs der siebziger Jahre haben in einer vorhergesehenen Zukunft gelebt, in einem Morgen, und sahen, wenn überhaupt, die Gegenwart als schon vergangen an: also, als bereits nicht mehr bestimmend. An diesem Punkt kam es zu einer Verwechslung zwischen einer Projektierung auf der Grundlage der Analyse gegebener, aktueller Verhältnisse und einem Wunschdenken.“ Weiter heißt es: „Wenn sie die politische Praxis betraf, ging diese tendenzielle Weltfremdheit interessanterweise oft Hand in Hand mit einem gnadenlosen Opportunismus. Sektierertum und Opportunismus schließen sich eigenartigerweise nicht aus“ (S. 177). Besondere Aufmerksamkeit findet das Verhältnis der Gruppen zu den Protestbewegungen: „Die m-l-Organisation als Vorhut hätten die Bewegung von einer konsequent revolutionären Politik überzeugen müssen, die Beziehungen und die Alternativen aufzeigen können. Dies haben sie anfangs auch versucht, aber es absolut nicht geschafft“ (S. 188).

Angesichts des Fehlens aktuellerer Gesamtdarstellungen zum Thema und des darin enthaltenen Informationsreichtums verdient Stengls Arbeit Aufmerksamkeit. Gleichwohl ist das Buch etwas unstrukturiert und unsystematisch angelegt, womit es hinter die jüngste Forschungsarbeit von Andreas Kühn („Stalins Enkel, Maos Söhne“, 2005) zurückfällt. Dafür gibt es viele fragmentarisch wirkende Kapitel: Manchmal werden bestimmte Personen sehr ausführlich vorgestellt, manchmal andere Personen nur am Rande erwähnt. Das Motiv für diese Strukturierung lässt sich nur schwer erkennen. Auch inhaltliche Bewertungen begründet Stengl nicht näher: Die „Drei-Welten-Theorie“ bezeichnet er als „importierten Unsinn“ (S. 121) oder „Idiotie“ (S. 176). Dies mag ja so sein, aber einer ausführlicheren inhaltlichen Kritik dazu hätte es dann schon bedurft. Manche Einschätzungen und Formulierungen verdienen darüber hinaus Kritik. So heißt es etwa über Hans-Martin Schleyer: „Er stirbt am 19. Oktober 77“ (S. 105). Nur: Schleyer ist nicht gestorben, sondern ermordet worden.

Armin Pfahl-Traughber

Anton Stengl, Zur Geschichte der K-Gruppen. Marxisten-Leninisten in der BRD der Siebziger Jahre, Frankfurt/M. 2011 (Zambon Verlag), 207 S., ISBN-13: 978-3889751775, 10 Euro.