Gericht bestätigt Burkaverbot in Belgien

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Zwei Frauen mit dem Niqab / Foto:prun.net

BELGIEN. (hpd) Am 26. Juli 2011 klagten, unterstützt von der belgischen Liga für Menschenrechte, zwei Muslima auf Aussetzung des belgischen Gesetzes vom 01.06.2011 zum Verbot von „Kleidung, die das Gesicht vollständig oder großteils verbirgt“. Vor dem prozessführenden Verfassungsgericht standen den Klägerinnen am 5. Oktober die Regierung und die Kommune von Etterbeek gegenüber. Das Gericht lehnte schließlich die Aussetzung des Gesetzes ab.

In dem beklagten Gesetz vom 01.6.2011 wird festgelegt, das Strafgesetzbuch um einen Paragrafen 563 zu ergänzen, der lautet: „Mit einer Geldbuße von 15 bis 25 Euro oder einer Freiheitsstrafe von bis zu sieben Tagen oder mit einer dieser Strafen werden bestraft, diejenigen, die, sofern nicht andere gesetzliche Bestimmungen gelten, sich mit einem ganz oder teilweisen verdeckten oder versteckten Gesicht in öffentlich zugängliche Orte begeben, sodass sie nicht erkennbar sind.“

Vor dem prozessführenden Verfassungsgericht standen den Klägerinnen am 5. Oktober die Regierung und die Kommune von Etterbeek gegenüber. Letztere war konkret involviert, weil dort in Verletzung von Artikel 12 des allgemeinen polizeilichen Reglements der Gemeinde, eine der Antragstellerinnen auf dem Gebiet dieser Gemeinde das Gesicht durch einen Niqab verbarg und bestraft wurde. Am 26. Januar 2011 annulierte jedoch der Polizeigerichtshof von Brüssel diese Verwaltungsentscheidung, weil sie in Widerspruch zu Artikel 9 der europäischen Menschenrechtskonvention stehe. Die Gemeinde legte dagegen Berufung ein.

Die während des Prozesses vor dem Gericht vorgetragenen Argumente der verschiedenen Parteien hatten naturgemäß eine sehr formaljuristische Form, die sich besonders auf die Interpretation des spezifisch juristischen Tatbestandes des „Risikos von schwer wieder gut zu machendem Schaden“ für die klagenden Personen konzentrierte. Doch finden sich in den Gutachten und Plädoyers auch allgemein politisch relevante Begründungen, die für die Handhabe des komplexen Problems internationale Bedeutung haben können.

Das Verbot verletzt die Menschenrechte

Von Seite der Klägerinnen wurde dargestellt, dass, angesichts der Motive des Gesetzes und in Zusammenhang mit der menschlichen Würde und der Gleichheit zwischen Männern und Frauen, zu beachten ist, dass das Tragen des vollständigen Schleiers, was sie betrifft, eine persönliche und freiwillige Entscheidung ist. Wenn nun Frauen, die traditionell den kompletten Gesichtsschleier, den Niqab, tragen, freiwillig entscheiden können, ihn ohne jegliche rechtliche Verpflichtung nicht länger zu tragen, muss es diese gleiche Freiheit gestatten, religiöse Vorschriften zu wählen, zu respektieren, ihnen zu gehorchen oder sie zu akzeptieren. Nach Ansicht der Kläger ist das Tragen des Niqab in der Öffentlichkeit eine Weise der Ausübung der Religionsfreiheit. Sie können deshalb Anspruch auf den Schutz des Artikels 19 der belgischen Verfassung und Artikel 9 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte erheben.

In Bezug auf das Risiko von schwer wieder gut zu machendem Schaden behaupteten daher die Klägerinnen, dass die Anwendung des Gesetzes für sie bedeute, dass sie zu Hause bleiben oder, um ihre Bewegungsfreiheit zu sichern, auf die Ausübung bestimmter Grundfreiheiten verzichten müssten oder sogar, dass sie, wenn sie sich im öffentlichen Raum bewegten, das Risiko einer Geldstrafe eingingen oder über sie eine strafrechtliche Sanktion verhängt werden könne. Das alles würde ihre Würde in schwer wieder gut zu machender Weise beeinträchtigten. Ihre Klage auf Aussetzung des Gesetzes basiere daher auf schwerwiegenden Gründen im Zusammenhang mit der Ausübung der Grundfreiheiten, die sowohl von der Verfassung als von der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte geschützt werden. Zur Unterstützung ihrer Klage verweisen sie u. a. auf eine Studie des französischen Staatsrates, eine Entscheidung des Polizeigerichtes von Brüssel, eine Pressemitteilung vom 28. April 2010 der „Ligue des droits de l'homme“, ein Gutachten von „Human Rights Watch“ von November 2009 sowie eine Pressemitteilung vom 21. April 2010 von Amnesty International.

Das Argument, dass die Beschränkung ihrer Rechte in Anbetracht der besonderen Sicherheit in Belgien notwendig sei, ist nach Ansicht der Klägerinnen nicht stichhaltig, da die Identifizierung von Personen nicht verwechselt werden darf mit ihrer Erkennbarkeit oder Identifizierbarkeit im öffentlichen Raum und durch jedermann auf den ersten Blick. Das Gesetz erlaube der Polizei die Identität jeder Person, die Gesetzwidrigkeiten verdächtigt ist, zu überprüfen und es gebe keine Verbindung zwischen Verbrechen und dem Tragen einer Burka. Der Wille, im Tragen des Niqab eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu sehen, zeuge eher von Vorurteilen und Denkverwirrung und erzeuge eine passive Diskriminierung des islamischen Glaubens bzw. versuche, die eigene nationale Identität zu beleben.

Keine religiöse Diskriminierung in Etterbeek

Zentral für die Argumentation der Gemeinde Etterbeek stand die religiöse Deutung des Verschleierungsverbotes. Der angebliche Zwang der Klägerinnen, zu Hause zu bleiben oder bestraft zu werden, wenn sie im öffentlichen Raum unterwegs sind, oder sogar auf die Ausübung bestimmter Grundfreiheiten verzichten zu müssen, sind laut dem Gemeinderat Etterbeeks unbewiesen. Wie durch die Klägerinnen selbst eingestanden, sei das Tragen des Niqabs nicht durch eine Verpflichtung gegenüber Dritten auferlegt und das Ablegen der Schleier nicht verboten oder unmöglich. Die Pflicht entstehe also aus ihrer Vorstellung von der Tragweite der Vorschriften, die charakteristisch für die Religion seien, die sie zu bekennen erwählten. Es handele sich also nicht um eine religiöse Pflicht, sondern um eine soziale und kulturelle Tradition, die nicht dem vorherrschenden Trend folge, der durch die Muslime im Allgemeinen vertreten wird. Um einen konventionellen und verfassungsrechtlichen Schutz ihrer Überzeugungen zu genießen, müsste ihr Glauben sich auf eine gründliche theologische Analyse stützen und tief im Geist der Glaubensgenossen verwurzelt sein sowie durch einen erheblichen Teil von ihnen verteidigt werden.

Das Recht, eine Religion oder einen Glauben zu haben, nicht zu haben, zu äußern, weiterzugeben und zu verändern, setze die volle Ausübung der individuellen Entscheidungsfreiheit voraus. Es könne aber durch das Streben einer anderen Person nach dem Genuss anderer individueller Freiheiten begrenzt oder relativiert werden. Es sei Angelegenheit der Regierung, ein Gleichgewicht zwischen dem Zusammenleben von Individuen und dem Respekt vor jedermanns persönlichem Leben zu suchen. Durch die Verschleierung würde jedoch ein grundlegendes Ungleichgewicht bei den Nutzern von öffentlichen Räumen entstehen, das ein Gefühl der Unsicherheit und Minderwertigkeit erwecken könne.

Burkas sind keine religiöse Pflicht

Der Ministerrat seinerseits vertrat die Auffassung, dass der Verweis der Klägerinne auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte irrelevant sei, da sie aus dem Fall Leyla Sahin in der Türkei vom 10. November 2005 abgeleitet sei. Dabei handelte es sich jedoch darum, zu prüfen, ob es einen Eingriff in die Freiheit der religiösen Meinungsäußerung gab. In dem vorliegenden Fall hingegen gehe es darum, ob die klagenden Parteien einen gravierenden Nachteil erlitten, wodurch sie sehr außergewöhnliche Maßnahmen beanspruchen könnten, nämlich die Aussetzung eines Gesetzes. Die Kläger könnten jedoch nicht nachweisen, dass das Tragen des kompletten Gesichtsschleiers eine grundlegende Anforderung der islamischen Religion sei, die ihnen nicht erlauben würde, auf legitime Weise von der Einhaltung dieser Vorschrift freigestellt zu werden, um das Strafrecht eines demokratischen Rechtsstaats zu respektieren.

Der Ministerrat unterstreicht dabei, dass die Freiheit der Religion und vor allem die Freiheit, seine religiösen Überzeugungen auszudrücken, nicht absolut seien. In der Tat könne der Gesetzgeber sie unter bestimmten Bedingungen einschränken. Je multikultureller eine Gesellschaft sei und je mehr Formen des religiösen Lebens und der philosophischen Überzeugungen koexistierten, desto mehr müssten die durch Glauben inspirierten Personen gewährleisten, dies nicht auf übermäßige oder ostentative Weise auf öffentlichen Plätzen zu äußern. Die Burka und der Niqab liefen unseren demokratischen Werten und Traditionen zu sehr zuwider, weil sie es praktisch unmöglich machten, eine soziale Bindung zu schaffen, aber auch, da sie Ausdruck einer Geisteshaltung seien, welche die Gleichstellung von Männern und Frauen und die Würde der Frau infrage stelle.

Die parlamentarischen Vorbereitung des Gesetzes zeigte, dass das Verbot im Wesentlichen auf zwei Überlegungen basiert: den Interessen der öffentlichen Sicherheit bzw. der Rechtssicherheit sowie sozialen Erwägungen, die für das Zusammenleben in einer emanzipierten Gesellschaft, welche die Rechte aller Menschen schützt, unverzichtbar sind.

Was das Argument der notwendigen Identifizierung von Personen angeht, wird darauf hingewiesen, dass diese sich nicht auf Personenkontrollen durch die Polizei beschränkt. Die Identifizierung einer Person, die ein Verbrechen begangen hat oder erlebt, ist auch eine Frage der anderen Bürger (Opfer, Zuschauer), die, wenn sie das Gesicht des Täters des Verbrechens gesehen haben, den Justizbehörden Informationen liefern könnten, um den Täter zu entlarven.

Insgesamt schlussfolgert der Ministerrat, dass die Überlegungen der Antragsteller nicht nachweisen können, dass die sofortige Umsetzung des angefochtenen Gesetzes ihnen schwer zu behebenden erheblichen Schaden zuführen würde. Es sei nicht sicher, dass das Tragen des kompletten Gesichtsschleiers eine religiöse Pflicht sei, die sich aus einem Gebot der Koran, oder mehr allgemein aus einer Anforderung der islamischen Religion ergebe.

Das Urteil: Zunächst ist das Gesetz verfassungskonform

Die Argumentation des Urteils des Verfassungsgerichtes bleibt auf dem Hintergrund der komplexen Argumentation der Konfliktparteien formell juristisch und meidet leider jede gesellschaftliche Interpretation des Sachverhaltes. Nach ihr müssen zwei grundlegende Bedingungen erfüllt sein, bevor die Aussetzung angenommen werden kann:

  • es müssen gravierende Rechtsmittel beigebracht werden;
  • die sofortige Umsetzung der angefochtenen Regel muss einen schwer zu korrigierenden ernsthaften Schaden anrichten.

Um der zweiten Voraussetzung Genüge zu tun, sollte die klagende Person in ihrem Antrag konkrete und präzise Fakten darstellen, die den Schaden ausreichend belegen. Das Gericht meint aber, dass dann, wenn die ersuchende Partei vor den Strafgerichten angeklagt wird, sie immer noch den Richter ersuchen kann, dem Gerichtshof eine vorläufige Frage nach der juristischen Übereinstimmung des neuen Artikel 563 StGB mit den verfassungsrechtlichen Bestimmungen zu stellen. Eine eventuelle Bestrafung durch ein Strafgericht kann dann immer noch annulliert werden. Die Gefahr eines schwer zu reparierenden Schadens besteht also nicht bei der Hypothese einer möglichen Anklage vor dem Strafgericht.

Nach dem Verfassungsgericht zeigen die Eingabe und die Plädoyers, dass, obwohl die Kläger behaupten, den kompletten Gesichtsschleier aus persönlicher Überzeugung zu tragen, in einigen Fällen von diesem Ausdruck ihres Glaubens abgewichen werden kann. Sie zeigten während der begrenzten Dauer des Verfahrens vor dem Gerichtshof nicht, aus welchen Gründen sie eine solche Abweichung nicht akzeptieren könnten. Da die Bedingung im Zusammenhang mit dem schwer wieder gut zu machenden Schaden nicht erfüllt ist, braucht das Gericht kein Urteil über die Schwere der Rechtsmittel zu fällen. Aus diesen Gründen lehnt das Gericht den Antrag auf Aussetzung ab. Die Entscheidung bestätigt zwar zunächst die Verfassungskonformität des Burka- und Niqabverbotes in Belgien, lässt aber auf Grundlage der rein formellen Begründung der Ablehnung Raum für weitere Vorstöße der Islamisten.

Rudy Mondelaers