Barmherzigkeit und Menschenwürde

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Dr. Horst Groschopp / Foto: Peter Groht
hpd: Mehrere Beiträge befassen sich mit Ritualen und Spiritualität. Lassen die sich „diesseitig“ füllen?

Horst Groschopp: Auch hier ist es so, dass man sich die Begriffe nicht aussuchen kann, auch wenn sie zunächst, siehe das Wort „Barmherzigkeit“, zunächst theologisch erscheinen. Joachim Kahl hat ja schon sehr früh die „Spiritualität“ für den Humanismus reklamiert (in „diesseits“ 1/2000). Im Buch schreibt er über „Seniorenspiritualität“.

Der Sammelband sagt auch zum Thema „Spiritualität“ nicht mit Archimedes von Syrakus: „Heureka, ich hab’s gefunden“. Er bringt verschiedene Texte zum Thema, bis hin zum ja schon anderswo publizierten Vorschlag von Andreas E. Kilian, lieber „Imaginalität“ zu sagen. Ulrich Tünsmeyer gibt eine Einführung in die Debatte unter den Säkularen.

Erhard Weiher, ausgerechnet ein katholischer Seelsorger, erklärt uns, was wir unter Spiritualität in einem nichtreligiösen Bezug verstehen können. Der Beitrag nimmt das, was mit dem Begriff praktisch geschieht, als eine – durchaus auch – „Technik“ in Hospizen und Krankenhäusern, der verschiedene Wertsysteme unterlegt werden können. Gita Neumann stellt dann „spirituell care“ vor, wo man – sehr zugespitzt gesagt – faktisch ohne Religion auskäme, wenn es sie denn nicht gäbe in den Vorstellungen von Kranken und Sterbenden. Andrea Richau, die berufliche Sterbebegleiterin und Bestattungsrednerin, kann mit dem Begriff gar nichts anfangen, beschreibt aber, was Rituale dabei tun.

Übrigens findet sich in dem Band auch ein sehr informativer Beitrag von Ernst Luther über Albert Schweitzer und dessen Humanitätskonzept.


hpd: Was kann auf den Einwurf entgegnet werden, dass hier der Weg zu einer „humanistischen Kirche“ beschritten wird?

Horst Groschopp: Ich selbst schockiere oft und gern mit diesem Begriff gelernte Freidenker und möchte zugleich den HVD auf einige „konfessionelle“ Konsequenzen hinweisen, die sich aus dem eingeschlagenen Weg einer praktischen „Weltanschauungsgemeinschaft“ nach Art. 140 GG i.V.m. Art 137,7 WRV ergeben. Natürlich ist „Humanistische Kirche“ Unsinn. Humanismus ist keine geschlossene Lehre, vielmehr, wie Ernst Mach vor 1914 geschrieben hat – in meinen Worten –, eine Zumutung, mit stets unvollständigen Antworten leben zu lernen.

Aber praktisch ist es doch so – und hier stütze ich mich auf unsere „Altvordern“ in der ethischen Kulturgesellschaft, besonders Rudolf Penzig, einem der Wegbereiter der „weltlichen Seelsorge“ und der „Lebenskunde“, der 1907 in seinem Buch „Ohne Kirche – Eine Lebensführung auf eigenem Wege“ darauf aufmerksam gemacht hat, dass diejenigen, die ohne Kirche leben wollen, daran denken können und müssen, dass sie mit guten Werken für Ersatz sorgen für das, was Menschen sonst bei den Kirchen holen, weil sie es woanders nicht bekommen, wenn sie es benötigen.

Das lehrt doch vor allem, dass die Rede von der „Barmherzigkeit“ ernst zu nehmen ist in dem, was sie für praktischen Humanismus bedeutet.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

Horst Groschopp (Hrsg.): Barmherzigkeit und Menschenwürde. Selbstbestimmung, Sterbekultur, Spiritualität. Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin, Bd. 4. Alibri Verlag, 2011, 205 Seiten, 11 Abb., kartoniert, Euro 20.-, ISBN 978-3-86569-079-1

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.