Durchgreifende Lehrer

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Schulkinder / Foto: clipdealer.de

LINZ. (hpd) Ein konservativer und ein freiheitlicher Gewerkschafter in Österreich fordern mehr Durchgriffsrechte für Lehrer und malen das Bild von Schulen an die Wand, wonach diese in Schülergewalt versinken. Was die Realität bestenfalls verzerrt wiedergeben dürfte.

Manche Gleichzeitigkeiten muten bizarr an. Am Montag berichteten österreichische Medien über einen Prozess gegen einen Prügel-Direktor, der am Dienstag in Linz weitergehen soll. Er hatte einen Siebenjährigen mehrmals geschlagen. Nach Ansicht eines Anwalts der beklagten Republik Österreich lag die Schuld jedoch nicht bei ihm, denn das Kind habe ihn „derart provoziert“, dass er durchgedreht sei.

Zeitgleich mit den Berichten über den bevorstehenden Prozess fordert der Lehrer und Christ-Gewerkschafter Paul Kimberger in einem Radio-Interview, dass für Eltern von „Problemschülern“, die „nicht mit der Schule kooperieren“, die Familienbeihilfe eingefroren werden soll.

Aus der Ferne betrachtet wirkt das beinahe wie ein Ablenkungsmanöver. Zumal die ebenfalls gesellschaftspolitisch stramm konservativ ausgerichtete FPÖ dem Christ-Gewerkschafter Unterstützung angedeihen ließ.

Der Bildungssprecher der FPÖ, Walter Rosenkranz, teilte der Öffentlichkeit per Presseaussendung mit: „Lehrer werden heute immer mehr dazu gezwungen, Erziehungsaufgaben zu übernehmen, die eigentlich den Eltern zukommen würden. Wenn nun mehr Durchgriffsrechte für die Lehrer verlangt werden, so geht es nicht um eine veraltete 'Rohrstaberlpädagogik', sondern um die Herstellung von Disziplin im Unterricht." Dies sei nicht nur im Schulleben, sondern auch für das spätere Berufsleben eine wichtige Eigenschaft, welche Schüler sich aneignen müssten. "Auch Eltern können nicht aus dieser Erziehungspflicht entlassen werden, sondern es gehört zu ihren ureigensten Aufgaben, ihre Kinder zu erziehen“ (…) "Die Auswüchse der zunehmenden Disziplinlosigkeit an den Schulen zeigen sich in der steigenden Schulgewalt und Mobbing bzw. Bullying, inklusive tätlichen Übergriffen auf Mitschüler und Lehrer", stellt Rosenkranz fest. Mit dem Schlimmsein von früher sei das vor allem hinsichtlich des Gewaltausmaßes kaum noch vergleichbar.“

Belege dafür, dass die Gewalt an Schulen steigen würde, blieb Rosenkranz jedoch schuldig und dürften auch nicht einfach aufzutreiben sein. Im Unterrichtsministerium heißt es auf hpd-Anfrage, es gebe keine einschlägigen Statistiken, was daran liegen dürfte, dass, allen Stellungnahmen rechter Bildungspolitiker zum Trotz, Schülergewalt nicht als zentrales Problem an Österreichs Schulen wahrgenommen wird. Zuletzt hatten auch eher Pädagogen, die sich an Schülern vergriffen, Schlagzeilen gemacht. Im Burgenland etwa stand ein Pfarrer und Religionslehrer vor Gericht, der einen Schüler zwang, einen Hausschuh mit dem Mund aus dem Mistkübel zu fischen. Anhänger der Schwarzen Pädagogik scheint es bis heute an österreichischen Schulen zu geben.

Was nicht zum Umkehrschluss verleiten darf, dass Lehrer ein Traumberuf wäre. Immer mehr Schüler werden als verhaltensauffällig diagnostiziert und erhalten Psychopharmaka. Gegen die Aufmerksamkeitsstörung ADHS etwa wurden 2010 doppelt so viele Mittel verschrieben wie 2005.

Oft zu Unrecht, wie Brigitte Hackenberg von der Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde am AKH Wien gegenüber ORF.at kritisiert. Mehr Medikamente würden nicht bedeuten, dass es mehr ADHS-Fälle gibt: "Vielmehr ist das Bewusstsein für die Störung gestiegen, und daher wird sie häufiger erkannt. Bei Überweisungen durch andere Ärzte zeigt sich allerdings auch, dass ADHS in den vergangenen Jahren zu einer Modediagnose wurde. Zehn bis zwanzig Prozent der Kinder haben Lernschwierigkeiten, das bedeutet nicht, dass sie eine Störung haben.“ Was nicht weniger heißt, als dass manche Verhaltensauffälligkeiten heute häufiger als problematisch gesehen werden als etwa vor 20 Jahren. Zudem sind manche Symptome neu, was die Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern auch ohne herbeigeredete Gewaltorgien nicht einfacher macht.

Auch aus Sicht des Bildungssprechers der Grünen im Nationalrat, Harald Walser, liegen eventuelle Probleme woanders: „Wer nur von Sanktionen spricht, hat die Ursachen von disziplinären Problemen nicht verstanden", schreibt Walser am Montag in einer Presseaussendung: „Im gegenwärtigen System sind Schüler und Schülerinnen vielfach überfordert und reagieren dementsprechend. Das Lehrpersonal wird mit den Problemen weitgehend allein gelassen“ (…) "Für Lehrkräfte gibt es kein ausgereiftes Unterstützungssystem für die verstärkt anfallenden sozialen und psychologischen Probleme. Derzeit beträgt die Wartezeit für einen Termin bei SchulpsychologInnen etwa 50 Tage. In dieser Zeit kann eine Situation leicht eskalieren", so Walser weiter. Burnout bei Lehrkräften und Überreaktionen bei disziplinären Konflikten sind die Folge.

Ähnlich sieht es die SPÖ-nahe Schülerorganisation Aktion Kritischer SchülerInnen (AKS). „Leistungsdruck, Prüfungsangst und keine Chancen zur individuellen Entfaltung können kein gutes Schulklima schaffen“, sagt AKS-Bundesvorsitzende Eleonora Kleibel. Sie fordert mehr Rechte für Schülerinnen und Schüler – und mehr Sozialarbeit und Schulpsychologen. Ähnlich sieht das Elternvertreter Christian Morawek. „Wir sind wiederholt für mehr Unterstützungspersonal für Lehrer eingetreten“ – etwa Schulpsychologen und Sozialarbeiter. Finanzielle Sanktionen seien „jenseits von Gut und Böse.“

Im Unterrichtsministerium verweist man gegenüber dem hpd darauf, dass der schulpsychologische Dienst ausgebaut werde. Und man unterstütze Projekte wie die „Weiße Feder“. Dieses Projekt versucht mit Gesprächen und Mitsprache durch Betroffene, Gewalt an jenen Schulen einzudämmen, wo sie punktuell zum Problem geworden ist. An einer Wiener Schule, wo es zu Vandalismus kam, strichen etwa Eltern, Schüler und Lehrer an einem Nachmittag gemeinsam eine betroffene Wand neu. „Das hatte unmittelbaren pädagogischen Effekt“, schreibt Josef Galley, Pressesprecher des Unterrichtsministeriums. Dass diese Maßnahmen gemeinsam und demokratisch erarbeitet würden, sei wesentlich sinnvoller als „Rohrstaberlpädagogik“ des 19. Jahrhunderts.

Allem Ausbauwillen bei der Krisenunterstützung für Lehrerinnen und Lehrer zum Trotz herrscht das Diktat der leeren Kassen – auch, und vielleicht besonders, im österreichischen Bildungswesen. Und neue Sparpakete der Bundesregierung drohen. Schwierig dürfte es auch mit mehr Stellen für Sozialarbeiterinnen und -arbeiter an den Schulen werden, die in die Kompetenz der Landesregierungen fallen, die auch nicht im Geld schwimmen. So viel Unterstützung wie nötig wird das österreichische Lehrpersonal in nächster Zeit vermutlich nicht bekommen. Nur, die hatte es auch früher nicht. Aber besser könnte es werden, und das ohne Rückfall in autoritäre Strukturen.

Christoph Baumgarten