Kommentar

Zähneputzen ist kein Ritual

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Zähneputzen

TRIER. (hpd) Die Wichtigkeit von Ritualen für Kinder wird oft hervorgehoben. Doch ist eine allgemein gültige Definition von Ritualen schwierig. Was darunter verstanden wird, reicht vom religiösen Ritus bis zu regelmäßigen Banalitäten.

Damit Rituale in der Erziehung einen Sinn ergeben, ist es wichtig zu versuchen ein Verständnis darüber herzustellen, was darunter verstanden wird. Deswegen legen wir diesem Artikel folgende Definition zugrunde: Rituale sind abgegrenzte, außeralltägliche, regelgeleitete, freiwillige Handlungen, die einem übergeordneten Sinn dienen, der transparent ist. Im Folgenden werden wir auf die beiden Aspekte „außeralltäglich“ und „einem übergeordneten Ziel dienen“ näher eingehen. Diese beiden Aspekte gehen in der Begegnung mit Ritualen über das hinaus, was Kindern sonst im Alltag begegnet.

Rituale sind außeralltäglich

Rituale sind Inseln im Alltag. Dabei können sie durchaus täglich, einmal im Jahr oder nur einmal im Leben durchgeführt werden. Kennzeichnend für ein Ritual ist nicht, wie oft es stattfindet, sondern dass allen beteiligten klar ist: Hier passiert etwas Besonderes. Hier wird die Hektik des Alltags unterbrochen. Hier steht entweder das Individuum oder die Gemeinschaft im Mittelpunkt.

In Ritualen, bei denen es um das Individuum geht, wird das einzelne Kind in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt. Es wird so wie es ist gesehen und akzeptiert. Das Kind konstruiert sein Selbst mit der Unterstützung von Ritualen und lernt: „Es ist schön für die anderen, dass es mich gibt. Ich bin einzigartig und wertvoll.“

Bei Ritualen, bei denen die Gruppe oder die Gemeinschaft im Mittelpunkt steht, geht es darum, dass das Kind sich als vollwertiger Teil der Gruppe versteht und erlebt (bspw. beim Morgenkreis). Hier hilft ein Ritual dem Kind z.B. folgendes über sich zu sagen und zu denken: „Meine Gruppe ist die der Hasen, und ich bin ein Teil davon.“

All diese Handlungen kommen im normalen Ablauf einer Einrichtung immer wieder vor. Deswegen ist es umso wichtiger, sofern sie als Rituale gestaltet werden sollen, dass die ErzieherInnen den besonderen Charakter hervorheben.

Beobachtet haben wir schon das Begrüßen als ein „Hallo“ im Vorbeigehen. So sieht kein Ritual aus. Damit es den Charakter von Außer-Alltäglichkeit bekommt, ist es zentral sich Zeit zu nehmen - auch wenn es nur Sekunden sind. Wirklicher Kontakt zwischen den Beteiligten gehört dazu. Immer gleiche Handlungen - wie etwa das Helfen beim Ausziehen der Kleinen oder das „coole“ Begrüßen mit einem besonderen Handschlag bei den Größeren - erleichtern das Ritual.

Rituale dienen einem übergeordneten Ziel

Rituale zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Sinn über die reine Handlung hinausgeht, sozusagen einen weiteren Bedeutungshorizont erhält. So wird z.B. die ritualisierte Begrüßung am Morgen bewusst dafür genutzt, jeden Tag aufs Neue, einen ersten Moment der Zweisamkeit herzustellen (Du und Ich) und dem Kind die Freude der ErzieherIn zu zeigen, dass es in der Einrichtung ist.

Ein Geburtstag, der als Ritual gefeiert wird, hat für alle Kinder wiederkehrende Aspekte, wie den Geburtstagskuchen und das Singen des Geburtstagsliedes. Aber es wird eben nicht nur Geburtstag gefeiert. Es kann darum gehen, dass das Kind sich bewusst wird, was es schon alles gelernt hat und darum, dass dieses Geburtstagskind besonders ist, eigene Interessen und besondere Fähigkeiten hat. Die Botschaft in einem feierlichen Rahmen ist also: „Du bist da und du bist du und das ist toll.“

Im Morgenkreis kann in einer ruhigen Atmosphäre jedes Kind in der Gruppe begrüßt werden. Die Botschaft ist hier: „Du bist Teil unserer Gruppe und wir sind eine tolle Gruppe.“

Jetzt stellt sich die Frage nach dem Zähneputzen als Ritual neu. Es kommt darauf an, wie das Zähneputzen gehandhabt wird. Wenn die Bedeutung des Zähneputzens im Lernen der in unserer Gesellschaft üblichen Mundhygiene liegt, dann ist Zähneputzen ein Training dieser Fertigkeit und ein Lernen sozial erwünschten Verhaltens. Geht es aber bewusst darum einen besonderen Moment zu schaffen, dann kann aus dem Zähneputzen durchaus ein Ritual werden. So z.B. wenn ein Vater und seine Tochter allabendlich im Bad neben der Zahnpflege vor allem ihre Beziehung bewusst pflegen.

Rituale können - wenn sie bewusst geplant und eingesetzt werden - wunderschöne Momente für die Kinder und die Erwachsenen sein. Sie erleichtern schwierige Übergänge, das Feiern von schönen Momenten und sogar die Verarbeitung von tragischen Ereignissen. Rituale sind also nie banal und sollen es auch nicht sein. Wir plädieren in diesem Artikel dafür den Begriff Ritual nicht inflationär zu benutzen. Routinen, Regelmäßigkeiten und Regeln sind im Leben von Kindern sehr wichtig, da auch sie Sicherheit vermitteln.

Doch Rituale gehen weit darüber hinaus, auch in der Wirkung, die sie haben können. Diese Wirkungen liegen vornehmlich darin, sowohl das Individuum in seiner Entwicklung zu unterstützen als auch das Wir-Gefühl einer Gruppe erlebbar zu machen und zu fördern.

Und Rituale entwickeln, vorbereiten und durchführen macht Spaß.