Die beiden Sozialwissenschaftlerinnen Anne-Kathrin Meinhardt und Birgit Redlich versammelten in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband "Linke Militanz. Pädagogische Arbeit in Theorie und Praxis" diverse Aufsätze zu konzeptionellen Fragen und Projekten zum Thema. Dabei wird deutlich, dass die Forschungsarbeit hier noch in den "Kinderschuhen" steckt, wenngleich man mit dem Band auch erste Ergebnisse, Projekte und Theoriedebatten vermittelt bekommt.
Über linke beziehungsweise besser linksextremistische Gewalt gibt es kaum Studien beziehungsweise Veröffentlichungen. Dass es sich um ein relevantes Thema handelt, machen immer wieder Ausschreitungen bei Demonstrationen deutlich, womit nicht selten legitime Protestbewegungen diskreditiert werden. Um die gemeinten Phänomene aufzuarbeiten, entstand die "Bundesfachstelle Linke Militanz", die am Institut für Demokratieforschung an der Universität Göttingen angesiedelt ist. Sie führte eine Konferenz mit dem Titel "Präventionsarbeit und Deeskalationsstrategien zu linker Militanz? Kontroverse Ansätze in Theorie und Praxis" durch. Die dort gehaltenen Referate plus weitere Texte finden sich jetzt in dem Sammelband "Linke Militanz. Pädagogische Arbeit in Theorie und Praxis", der von den beiden Mitarbeiterinnen des genannten Instituts, Anne-Kathrin Meinhardt und Birgit Redlich, herausgegeben wurde. Damit erhält man einen Eindruck von der bisherigen Forschung, die indessen noch empirisch wie theoretisch in den "Kinderschuhen" steckt.
Außerdem gibt es Differenzen darüber, welche Perspektive eingenommen werden soll. Die Auseinandersetzung kreist um die Begriffe "Linksextremismus" und "linke Militanz". Die meisten Autoren wie die Herausgeber selbst plädieren für das letztgenannte Verständnis, das wie folgt definiert wird: Es sei "ein spezifisch linksradikaler Habitus mit dem Ziel kämpferischen (aber nicht zwangsläufig gewalttätigen), tatorientierten Handelns". Die "linke Militanz", so heißt es weiter, "bezeichnet ein a) kämpferisches (aber nicht unbedingt automatisch gewalttätiges), b) tatbetonendes Auftreten und Handeln mit c) linksradikalen Absichten und Zielen" (S. 16). Damit liegt eine überaus diffuse Begriffsbestimmung vor, welche auch Konsequenzen für das konkrete Verständnis hat. Darauf wird übrigens in einem gesonderten Aufsatz von Albert Scherr näher eingegangen. Auch die Arbeitsbezeichnung "linke Militanz" sei nicht zutreffender. So könnten alle nur möglichen Phänomene erfasst werden. Hier hält der Autor auch die Extremismustheorie für klarer.
Die anderen Beiträge problematisieren die gewählten Kategorien indessen nicht, ja, nutzen sie gar selbst, was wiederum auf den Erkenntnisgewinn negative Rückschlüsse hat. Denn es bleibt unklar, was genau gemeint sein und untersucht werden soll. Die Ergebnisse zweier Studien werden referiert, wobei die Daten nicht repräsentativ sind. Gleichwohl erhält man erste Eindrücke, die sich auf Denkungsarten und Haltungen der gemeinten Jugendlichen beziehen. Es heißt bei der Sozialwissenschaftlerin Lena Lehmann und anderen Mitautoren unter anderem, "dass Jugendliche, die gewaltaffin eingestellt sind, eher zu extremistischen Einstellungen neigen" (S. 76), womit der Ausgangspunkt in der Gewaltaffinität und nicht in der Ideologe bestünde. Ähnlich sah dies vor Jahren bereits die BKA-Mitarbeiterin Saskia Lützinger, die eine eigene Studie zum Thema erstellte und in ihrem Beitrag an ihre damalige Untersuchung erinnert. Darüber hinaus gibt es noch diverse Fallstudien etwa zu der mittlerweile aufgelösten Gruppierung "Jugendwiderstand" oder Reflexionen zur Radikalisierungsprävention.
Der ehemalige Polizeibeamte Udo Behrendes blickt zurück auf die historische Entwicklung der Konflikte, die seine Kollegen bei linken Protesten hatten und warnt die Polizei von heute vor Stereotypenbildung. Und dann findet man noch viele Berichte von Präventionsprojekten zum Thema, wobei unterschiedliche Aspekte hervorgehoben werden. Denn man betont immer wieder, dass bei der Bildungsarbeit nicht stigmatisiert, sondern für die Demokratie geworben werden solle. Indessen sollte bei der Gewalt schon stigmatisiert werden, nicht nur aus juristischen, sondern auch aus moralischen Gründen. Hier wie bei vielen anderen Fragen fehlt es noch an Klarheit und Positionierung. Dies ist bis zu einem gewissen Grad auch verständlich und verzeihlich, denn man bewegt sich politisch wie wissenschaftlich auf einem "Drahtseil". Hier bedarf es noch vieler Gedanken zum konkreten Selbstverständnis. Gleichwohl lohnt der Band die Lektüre, liefert er doch einen Forschungsüberblick, allerdings auch mit vielen Lücken. Man darf gespannt sein, wie weit man hier in zehn Jahren ist.
Anne-Kathrin Meinhardt/Birgit Redlich (Hrsg.), Linke Militanz. Pädagogische Arbeit in Theorie und Praxis, Frankfurt/M. 2020 (Wochenschau-Verlag), 236 S., 29,90 Euro
1 Kommentar
Kommentare
David Z am Permanenter Link
Danke für die Buchvorstellung. Wie immer eine interessante Themenwahl.
Ein paar Anmerkungen:
"Über linke beziehungsweise besser linksextremistische Gewalt gibt es kaum Studien beziehungsweise Veröffentlichungen."
So ist es. Aber warum ist das so? Das allein wäre doch mal ein Forschungsgegenstand.
"Hier wie bei vielen anderen Fragen fehlt es noch an Klarheit und Positionierung. Dies ist bis zu einem gewissen Grad auch verständlich und verzeihlich, denn man bewegt sich politisch wie wissenschaftlich auf einem "Drahtseil""
Warum ist es verzeilich, wenn man aufgrund politischer bzw gesellschaftlicher Befindlichkeiten auf klare, ehrlich Forschung und Positionierung verzichtet?