Kosovo: Eyes Wide Shut

kosovo_eth_verteilung_2005.png

Kosovo: ethnische Verteilung 2005 / Grafik: J. Patrick Fischer (wikimedia commons)

WIEN. (hpd) Nach gewalttätigen Ausschreitungen in serbischen Enklaven im Norden des Kosovo wird Österreichern und vielen Deutschen klar, dass Militäreinsätze kein Kinderfasching sind. Weniger klar wird, dass die internationale Politik maßgeblich zur Eskalation beigetragen hat. Eine Analyse und ein Kommentar.

Niemand hat gesagt, dass der Einsatz der KFOR einfach wird. Nur, dass KFOR und internationale Gemeinschaft seit 1999 den Konflikt zum Eskalieren bringen, war auch nicht notwendig.

UN Konvention 1244

Nach dem massiven Vorgehen serbischer Polizei und Freischärler gegen albanische Zivilisten, mit Massenvertreibungen, Morden und sonstigen Gräueltaten an Zivilisten inklusive, schritt die NATO ein (der vorhergehende Bürgerkrieg durch die UCK, auch nicht gerade rücksichtsvoll der Zivilbevölkerung gegenüber, wurde gleichzeitig zum Befreiungskrieg heroisiert). Der Sicherheitsrat der UN beschloss die Konvention 1244, die die Sicherheit der albanischen Bevölkerungsmehrheit in der serbischen Provinz sicherstellen sollte. Vorerst sollten das internationale Truppen übernehmen.

EULEX: Abspaltung des Kosovo

So weit, so verständlich. Allem gelegentlichen Säbelrasseln zum Trotz hielten sich die diversen serbischen Regierungen an die UN-Konvention. Die KFOR tat das - bestenfalls bedingt. Die später dazu gestoßene EU-Mission EULEX (European Union Rule of Law Mission) ging unverhohlen von Beginn an daran, die Abspaltung des Kosovo vorzubereiten. Was genau genommen die UN-Konvention untersagte, die EULEX und KFOR überhaupt die Präsenz im Kosovo ermöglichte. Dass das bei der serbischen Bevölkerung kein sonderliches Vertrauen in diese Einrichtungen schaffen würde, hätte man wissen können. Zumal die sich erst nach Jahren von der KFOR geschützt fühlte, als bei einem albanischen Massenaufstand das halbe serbische Kulturgut im Kosovo in Flammen stand. Vorher hatte man sich denkbar wenig darum gekümmert, dass Albaner eifrig Roma, Serben und Bosnjaken aus mehrheitlich albanischen Gebieten vertrieben. Mal offen, mal mit jahrelanger Zermürbung. Das zählte denkbar wenig. Die Rede ist von bis zu 250.000 Menschen, die zwischen 1999 und 2009 den Kosovo verließen. Die Wenigsten vermutlich aus Spaß an der Freud.

Dass das passieren würde, hätte man zumindest vermuten können. Wenn man sich darum gekümmert hätte, wie es in den vergangenen Jahrhunderten im Kosovo zugegangen ist.

Serben und Albaner haben einander nichts geschenkt in diesem gebirgigen Landstrich. Am wenigsten Achtung und Leben. Wer immer gerade die Oberhand hatte, ließ es das Gegenüber spüren. Gemeinsam ging’s nur gegen die Roma und ab und zu gegen die Türken, je nach Bedarf. Ob das unter türkischer Herrschaft war, im Königreich Jugoslawien oder unter Tito. Verloren hat immer der, der schwächer war. Dass die Serben den Kosovo in mythologischer Überhöhung als ihr Herz- und Kernland begreifen, dürfte wenig helfen. Die Albaner fühlen sich – nicht zu Unrecht – dort genauso historisch ansässig wie die slawischen Nachbarn. Sie stellen, seitdem es Volkszählungen gibt, die größte Volksgruppe in der Region. Allerdings auch die am schnellsten wachsende. Ihr Bevölkerungsanteil hat sich innerhalb eines Jahrhunderts auf etwa 90 Prozent verdoppelt. Inklusive mehr oder weniger illegaler Einwanderung aus dem benachbarten Albanien und dem Exodus tausender Serben in der Phase der kosovarischen Autonomie. Eine Situation, die langfristig böses Blut garantiert. Und am Balkan sehen sich traditionell alle nur als Opfer. Täter sind immer die anderen. Ob es um Kroaten, Serben oder Albaner geht: Alle haben sie immer nur aus Notwehr gehandelt, manchmal vielleicht präventiv und überschwänglich. Aber das ist schon ein Zugeständnis an den Zeitgeist.

Keine Versöhnungsbemühungen

Kaum lösbar für eine Militäreinheit. Zumal die westliche Politik außer salbungsvollen Sonntagsreden kaum etwas beitrug, die Volksgruppen miteinander zu versöhnen. Selbst die Sonntagsreden waren häufig sehr einseitige Appelle an die Serben, sich doch mit der neuen Lage abzufinden. Im Kosovo gebe es ja Demokratie und Menschenrechte und internationalen Schutz. Die Serben seien dort sicher. Gleichzeitig wurden schon Jahre, bevor der Kosovo sich einseitig für unabhängig erklärte, alle zuerst jugoslawischen, dann serbischen Hoheitszeichen aus der Region entfernt. Offiziell gehörte selbst nach Auffassung der westlichen Staaten der Kosovo damals noch zu Serbien. Nicht einmal Personenzüge der serbischen Eisenbahn durften in den Kosovo fahren. Mit der UN-Resolution 1244 ließ sich das nicht mehr rechtfertigen. Genauso wenig wie die Tatsache, dass die KFOR autonome Wahlen in serbischen Gemeinden im Nordkosovo taxfrei für illegal und ungültig erklärt. Seien es Gemeinderatswahlen oder serbische Parlamentswahlen.

Die Internationale der Kriminellen

Dazu der mehr als skurrile Streit um die Reisepässe, der bis heute dauert. Gleichzeitig blieb die Grenze zu Albanien offen. Die UCK wandelte sich unter den Augen der UNO zum größten Schmugglerring Europas. Drogen, Mädchen, Waffen. Und nochmal Drogen. Der mitteleuropäische Heroinhandel wird heute großenteils von kosovarischen Banden betrieben. Die Führungskader sind fast ausnahmslos ehemalige UCK-Kommandanten. Mit serbischen Schmugglern aus dem Nordkosovo verstehen die sich nach Bedarf übrigens prächtig. Dort sind effektive Grenzkontrollen geographisch schwer möglich und die serbische Bevölkerung hat sie lange verhindert. In ihren Augen existiert die Grenze bis heute nicht. (In den Augen von mehr als zwei Drittel der Staaten dieser Welt übrigens genauso wenig.) Die Internationale der Kriminellen.

Gleichzeitig behindert die internationale Gemeinschaft sämtliche Versuche serbischer Gemeinden, sich für unabhängig zu erklären. Auf einmal gilt das völkerrechtliche Prinzip, dass Grenzen nicht einseitig verändert werden dürfen. Bestenfalls dürfe das Problem bilateral gelöst werden. Auf serbischer Seite setzt das voraus, dass die serbische Regierung die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennt. Das will die – vielleicht – tun, wenn die Kosovaren bereit sind, zumindest den Nordkosovo an Serbien anzugliedern. Die Kosovaren wollen bestenfalls über den Nordkosovo reden, wenn die Serben sie anerkennen. Viel klassischer kann eine Katze nicht sein, die sich in den Schwanz beißt.

Die EU hat sich eine Vermittlerrolle angemaßt. Der wird sie nach eigener Auffassung gerecht, indem sie sich weigert, das Beitrittsgesuch Serbiens anzuerkennen, solange die Kosovo-Frage nicht geklärt ist. Auf kosovarische Seite wird kein Druck ausgeübt. Das erscheint seltsam inkonsequent: Zypern durfte der EU beitreten. Auch dort ist die „Statusfrage“ nicht gelöst. Auch dort stehen UN-Truppen im Land um zwei nach wie vor (zumindest teilweise) verfeindete Volksgruppen auseinanderzuhalten.

Man darf sich angesichts dieser Ausgangslage kaum wundern, dass nationalistische Hetzer im Nordkosovo reüssieren. Das Gefühl der meisten Serben dort, ungerecht behandelt worden zu sein, treibt sie den Rattenfängern zu. Die einzige Möglichkeit, sich gegen das Unrecht zu wehren, sehen sie, indem sie die Grenzen in die albanischen Gebiete blockieren.

Vermitteln wird dort kaum noch jemand können. Am allerwenigstens KFOR und EULEX. Die werden als Exekutoren einer albanischen Unabhängigkeitspolitik bzw. einer Albanisierungspolitik gesehen. Und sie haben hart daran gearbeitet, so wahrgenommen zu werden. Dass ausländische Soldaten Opfer dieser Fehler werden, ist tragisch. Die Verantwortung tragen weniger die, die für das kämpfen, was sie für ihr Recht halten. Die Verantwortung tragen die, die eine Militäreinheit damit beauftragt haben, einen Jahrhunderte alten Konflikt anhand untauglicher und ungerechter politischer Vorgaben zu lösen. Aber die üben sich lieber in moralischer Entrüstung.

Christoph Baumgarten