Anschließend referierte Dr. Thomas Heinrichs, Rechtsanwalt, Philosoph und Mitglied der Humanistischen Akademie zum Thema: „Ist Laizismus nach dem Grundgesetz und der Religionsverfassung in Deutschland möglich?”
Im Verhältnis von Politik und Religion gebe es generell Probleme, und es stelle sich die Frage nach deren Herkunft: Religion sei eine Weltsicht mit Transzendenzbezug, die soziale Verhältnisse und Gesellschaft gestalten wolle. Damit werde sie politisch. Historisch betrachtet legitimierten Religionen die politische Herrschaft von Eliten. Insofern sei die Verbindung von Politik und Religion das Normale.
Die Säkularisation führe nun zu Schwierigkeiten, da einerseits die Religion nicht mehr in den politischen Herrschaftsstrukturen präsent sei, andererseits der Politik die religiöse Legitimation fehlen würde. Für die Politik sei es wegen dieser Legitimation interessant, Religion im Politikbereich zu behalten, auch wenn die Religion das Interesse habe, Politik zu beeinflussen. Insofern bestehe ein immanentes Konkurrenzverhältnis.
Eine Trennung habe nun zwei Aspekte: zum einen die institutionelle Seite (keine Staatskirche) aber zum anderen das Verhältnis des Staates zu seinen religiösen Bürgern.
Generell gelte für alle Bürger die individuelle Religionsfreiheit, was hieße, dass der Staat für besondere Bereiche, in denen Einzelne keine unbegrenzte Bewegungsfreiheit haben (Gefängnis, Militär, Krankenhäuser) den Zugang für religiöse Betreuung zu öffnen habe. Allerdings beanspruchten die Religionen den Zugang auch zu Schulen, um die Schüler während der Unterrichtszeit religiös zu unterweisen.
Im Verhältnis von Staat und Kirche werde im Grundgesetz geregelt:
- Übertragung religiöser Aufgaben auf den Staat: Religionsunterricht. Der Staat delegiert die moralische Erziehung an die Religionen. Erst mit dem neutralen Ethikunterricht hat der Staat diese Aufteilung durchbrochen, da er die Werteerziehung in eigene Regie übernimmt. Entsprechend heftig waren und sind die kirchlichen Reaktionen.
- Staat übernimmt kirchliche Aufgaben: Kirchensteuerrecht und dabei insbesondere das staatliche Inkasso der Kirchensteuer. Ein einzigartiges Phänomen weltweit. Das Staatskirchenrecht ist dabei ein „closed shop”, da es mit Kirchenvertretern besetzt ist, die entsprechend kirchenfreundlich interpretieren. So ist beispielsweise die Arbeitgeberverpflichtung zur Berechnung der Lohnkirchensteuer ein Verstoß gegen die negative Religionsfreiheit.
- Privilegierung der Religion: Sonntagsschutz für religiöse Zwecke, auch wenn er mittlerweile säkular begründet wird.
- Besondere Seelsorge in öffentlichen Anstalten. Bei dieser Sonderstatusregelung zur Sicherung der Religionsfreiheit seien aber beamtete Militärseelsorger vom Grundgesetz nicht vorgesehen, da der Trennungsgrundsatz damit durchbrochen werde. Besonders problematisch sei dabei zudem der Lebenskundliche Unterricht durch Militärseelsorger, der keinerlei verfassungsrechtliche Begründung habe.
- Der Körperschaftsstatus verleiht den Kirchen quasi staatliche Rechte und ist mit dem Trennungsgrundsatz nicht vereinbar.
In einfachen Gesetzen ist beispielsweise geregelt:
- Besonderes Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen (nicht hinzunehmen)
- Bauplanungsrecht: Der Bedarf für Kirchen ist bei Erschließungsplanungen zu berücksichtigen (hinzunehmen, da Realisierung von positiver Religionsfreiheit).
- Subsidiaritätsprinzip im Sozialgesetzbuch, d.h. Vorrang für freie Träger, was faktisch Kirchen bedeute. Abgeleitet aus dem katholischen Naturrecht (was egal ist) ist es für staatliche Regelungen nicht hinzunehmen, wenn die Kirchen dadurch Monopolstellungen bekommen.
Staat-Kirchen-Verträge:
- Sind es Staatsverträge oder Verwaltungsverträge? Das ist juristisch umstritten. Die Argumente der Staatskirchenrechtler seien dürftig und als Postulate zu betrachten. Es seien faktisch Verwaltungsverträge, die nur eine besondere Form der formalen Beschlussfassung haben und durch einfache Gesetze aufzuheben sind.
- Die Regelungen in den Staat-Kirche-Verträgen seien der Versuch, durch parallele Vereinbarungen zu bereits bestehenden Rechtsgrundsätzen diese bereits bestehenden Regelungen möglichen politischen Veränderungen zu entziehen. Auch wenn sich gesetzliche Bestimmungen veränderten, seien nach Auffassung der Kirchen diese Staat-Kirche-Verträge höherrangig und müssten bedient werden.
Braucht der Staat Religionen, um sich zu legitimieren? Das hinge von der Herrschaftsordnung ab. Eine demokratische Herrschaftsordnung legitimiere sich durch sich selbst und brauche keine Legitimation von außen, also auch keine Religion. Insofern seien – demokratisch gesehen – Religionen eine Gefahr und politische und soziale Störenfriede. Die Entpolitisierung von Religionen sei daher eine Voraussetzung für ihre Integration in einen demokratischen Staat.
Fazit zu Kirche im Staat: So wenig wie möglich, aber so viel wie nötig.
Das heißt für einzelne Themen:
- Religionsunterricht als staatliches Fach: nein.
- Militärseesorge/Gefängnisseelsorge: zurück zum Verfassungsgrundsatz des freien Zugangs, mehr nicht.
- Kirchensteuer: zurück auf den Verfassungsgrundsatz, dass die Kirchen das selber organisieren.
- Körperschaftsstatus: geht nicht, evtl. Religionsgesellschaften als besonderer Verein.
- Subventionen: nicht zu rechtfertigen.
- Theologische Fakultäten: sind in den normalen Wissenschaftsbetrieb zu integrieren bzw. die Kirchen müssen sie selber finanzieren.
- Sozialbereich: Monopole dürfen nicht bestehen.