Richtungen des Laizismus

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Referenten (v.l.n.r.) H. Fink, W. Schultz, I. Matthäus-Maier, J. Kahl, H. Groschopp, U. Dausel, M. Bauer / Fotos © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Die Humanistische Akademie Berlin hatte zur Konferenz „Laizismus und Gleichbehandlung? Politischer Humanismus im Streit der Richtungen in der Staat-Kirche-Trennung“ eingeladen. Die unterschiedlichen Konzepte wurden deutlich benannt, ebenso die Möglichkeiten und Grenzen von Kooperationen.

Acht ReferentInnen, sechs Stunden Vorträge, vier Stunden Diskussion: Am vergangenen Freitag und Samstag hatte die Humanistische Akademie Berlin zu einer Konferenz eingeladen, auf der VertreterInnen verschiedener säkularer Organisationen zu ihren Positionen und Einschätzungen referieren sollten. Durch die Absage von vier Referenten – wegen Krankheit oder aus familiären Gründen, drei konnten jedoch ‚ersetzt’ werden –, wurde es schließlich eine beinahe ausschließliche Veranstaltung des Humanistischen Verbandes, was aber keineswegs hieß, dass es dadurch langweilig wurde.
 

Am Freitag ab 17:00 gab es die beiden ersten Referate, wobei die einzige Referentin, die nicht dem Humanistischen Verband verbunden ist, begann.

Ingrid-Matthäus-Maier – Juristin, Politikerin, MdB a.D., Mitglied des Beirates der Giordano-Bruno-Stiftung und Vorsitzende des Kuratoriums der Friedrich-Ebert-Stiftung, hatte das Thema „Laizismus in Deutschland? Eine juristische und politische Betrachtung” übernommen. Sie stellte politische und juristische Aspekte auch in einen biographischen Zusammenhang, da Auffassungen nicht im luftleeren Raum entstehen.

Seit Mitte der 1960er Jahre habe sie sich, zusammen mit ihrem Mann Robert Maier, für Laizismus in Deutschland eingesetzt. Sie waren Mitglieder der Humanistischen Studenten­union im Studenten­parlament in Münster – die Trennung von Staat und Kirche war und ist eines der Themen der Humanistischen Union. In Münster habe sie das starke „schwarze Umfeld“ vor Ort erlebt, machte politische und persönliche Erfahrungen, die sie bestärkten.

Dann wurden sie beide Vorsitzende der Jungdemokraten in NRW, die bald ein erstes Papier mit weit­gehenden Thesen zur Trennung von Staat und Kirche formulierten - das ganze Programm des klassischen Laizismus. Und es gab damals eine These 2, die später nirgendwo wieder aufgenommen wurde: Kircheneintritt erst mit dem Erreichen des 14. Lebensjahres.

Daraus entwickelte sie dann mit Liselotte Funcke für die FDP (1974) die 13 Thesen der „Freie Kirche im freien Staat”. Und, darauf legte Ingrid Matthäus-Maier wert, Liselotte Funcke war Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, d.h. Laizismus war und ist auch offen für Christen.

Die Reaktion der Kirchen war abwehrend: „In der Praxis ist doch alles gar nicht so rigide, wie es dargestellt wird.”, hieß es. Aber ihre eigenen Erfahrungen belegten immer wieder das Gegenteil.

1975 wurde dem Kirchenrechtler Prof. Horst Herrmann in Münster die missio canonica der katholischen Lehr­er­laubnis entzogen, als er sich kritisch zum Staat-Kirche-Verhältnis geäußert hatte (“Ein un­moralisches Verhält­nis”). – Verhaltens­weisen, die sich durchgehend weiter zeigen, etwa noch 2009, als der Dekan der katholisch-theologischen Fakultät in Bonn, Michael Schulz, Lehr­erlaubnis und Lehr­stuhl verlor, da er nicht mehr ehelos leben wollte.

Auch sie selber hat erlebt, dass ihre Ernennung zur Verwaltungs­richterin Münster verhindert werden sollte, ebenso wie die Ablehnung der Aufnahme ihrer Kinder in einen katholischen Kinder­garten – andere gab es in der Gegend nicht – und wie sie im Bundestag als Finanz­politikerin erlebte, dass die Kirchen jeweils massiv auf die Steuergesetzgebung Einfluss ausübten. Die Kirchen­steuer ist als Annex­steuer direkt von der Einkommens­steuer abhängig, und so zeige sich die enge Verknüpfung zwischen Kirche und Staat auch in der gegenwärtigen Diskussion um die Ab­geltungs­steuer. Da viele Kirchen­mitglieder es bisher vermieden haben, ihre Kapital­erträge steuerlich anzumelden, wurde ein „Beitreibungs­richtlinien­gesetz” formuliert, in denen die Banken den Zugriff auf Daten des Zentral­registers bekommen sollen, wovon rund 90 Mio. Kontoinhaber betroffen sein werden.

Nach mehreren genannten Beispielen der „knochenharten Politik” der Kirchen sei nur noch die Reaktion des SPD-Fraktions­vorsitzenden Frank-Walter Steinmeier erwähnt, der auf die Frage, warum sich die SPD den Laizisten bisher verschließe, antwortete: „Ihr seid nicht organisiert.”

Worum geht es? Ein Blick in Landes­verfassungen: In Rheinland-Pfalz heißt es in Art. 33 „Die Schule hat die Jugend zur Gottesfurcht (…) zu erziehen.” Das muss aufhören. Es geht aber auch um die Ablösung der Staats­leistungen, das gleiche Arbeits- und Selbst­bestimmungs­recht auch bei Caritas und Diakonie; es geht um den Artikel 137,3 WRV, den das Bundesverfassungsgericht unter massiven Druck der Kirchen vom Selbst­verwaltungs­recht zu einem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen umgebogen hat und damit eine „Kompetenzkompetenz” der Kirchen zugelassen hat. Es darf keine Sonder­rechte für die Kirche geben. Der „Dritte Weg” ist ein Relikt, das in Europa einzigartig ist. Und zur behaupteten Liberalität der Kirchen nennt Ingrid Matthäus-Maier nur als Gegen­beispiel das Kirchen­gesetz, das von der kürzlich zu Ende gegangenen EKD-Synode beschlossen wurde, und das Sonder­arbeits­recht festschreibt. Im Februar/März 2012 wird es dazu eine Anhörung im Bundestag geben.

Aber, so mahnt sie, alle Änderungs­vorhaben, die Verfassungs­recht betreffen, sind zurzeit unrealistisch. Über Europa und die Gerichte werde sich aber etwas verändern.

Aus ihrem Fazit von acht Punkten sei erwähnt: Für die Gleich­behandlung von Religions­gesellschaften und Welt­anschauungs­gemeinschaften gibt es generell entweder eine Abbau­strategie – keiner soll etwas bekommen – oder eine Aufbau­strategie – alle sollen das Gleiche bekommen. So pauschal gehe das aber nicht. Ein jeweiliger Abwägungs­prozess sei notwendig.

Sie warnte vor einer generellen Aufbau­strategie von Welt­anschauungs­verbänden, ebenso vor einem „humanistischen Bekenntnis”. Und wenn Professuren für Humanistik gefordert werden, analog den Professuren für Theologie, dann "verrutsche da etwas". Soll es etwa, so fragte sie, dann auch nur „linientreue” Humanisten auf diesen Lehr­stühlen geben? Diese Position sei ihr fremd.

Und abschließend gab sie zu bedenken: Keine gegenseitige Über­forderung der Organi­sationen. Man solle die eigenen Traditionen pflegen und sich gegenseitig respektieren.

In der anschließenden Diskussion wurde dann bei der Frage der Humanistik­-Professuren deutlich, wovor sie sich verwahrt hatte. Zur Frage, ob diese Professuren einer Weisungs­befugnis unterliegen würden, gab es zwei unwidersprochene Beiträge: dass der Humanistische Verband ein Welt­anschauungs­verband sei und er, genauso wie die Kirchen, eine Weisungs­befugnis besitzen müsse. Und wenn ein Professor für Humanistik religiös werde? Dann müsse er gehen. Das beruhe darauf, dass die Entwicklung eines Theologen zur Säkularität etwas Positives sei und ein Eingreifen der Kirche in diesen Fällen rückschrittlich sei. Würde aber ein Humanist religiös werden, dann sei er rückschrittlich und der Entzug der Lehr­erlaubnis fortschrittlich.