Religiöse Rechte - Jahresrückblick 2011

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US-Flag / Foto: Andrea Church (morguefile)

USA. (hpd) Selten hat ein Jahr so viele gravierende Veränderungen mit sich gebracht. 2011 dürfte selbst 2001 mit seinen verheerenden Terroranschlägen an Bedeutung weit zurücklassen. Vielleicht wird es in der Geschichtsschreibung auf einer Stufe mit dem Jahr 1991 stehen.

Denn genau wie damals der gesamte Osten Europas neu geordnet wurde, haben die letzten Monate die gesamte arabische Welt auf den Kopf gestellt. Ben Ali im Exil, Mubarak vor Gericht, Gaddafi tot, so die vorläufige Bilanz des arabischen Frühlings, vor dem die Potentaten in Syrien und im Jemen derzeit zittern. Der Unfall im Kernkraftwerk Fukushima zwang die Regierungen auch außerhalb Japans, die nukleare Frage neu zu stellen. Im Sommer zeigte dann ein Blutbad in Norwegen, dass nicht nur der Islam, sondern auch das Christentum Terroristen hervorbringen können.

Im Mai wurde Al-Qaida-Chef Osama bin Laden getötet, einer der wenigen Erfolge im Krieg gegen den Terror. Gleichzeitig wichen die letzten US-Truppen aus dem Irak, während der Abzug aus Afghanistan wohl auch in wenigen Jahren erfolgt. Außerdem schlitterten die USA in eine schwere Finanzkrise, die sie bis nah an den Bankrott brachte und schmerzhafte Sparmaßnahmen erfordert.

Weltbild der Christlichen Rechten

Neben den business-as-usual-Attacken gegen Schwule, Abtreibungsrechte, Obama etc. bot dieses Jahr also mehr als eine Gelegenheit, das Weltbild der Christlichen Rechten zu verdeutlichen.

Das Jahr begann für viele Amerikaner mit einem Schock, als ein Attentat auf die demokratische Politikerin Gabrielle Giffords in Tucson, Arizona verübt wurde. Der Attentäter Jared Loughner hatte versucht, die Abgeordnete zu erschießen, diese überlebte jedoch schwerverletzt, sechs anwesende Personen starben. Der Attentatsversuch erschütterte das politische Klima in den USA.

Die Westboro Baptist Church um den radikalen Prediger Fred Phelps dankte Gott dafür, dass er Loughner geschickt hatte, um Giffords zu töten. Die konservative Website WorldNetDaily erklärte das Blutbad damit, dass der Attentäter eine Schule besucht hatte, die von Bill Ayers (ehemaliger kommunistischer Terrorist) gegründet und von Präsident Obama finanziert wurde. Franklin Graham störte sich vor allem daran, dass bei einer Trauerzeremonie für die Opfer auch ein Vertreter indianischer Religion anwesend sei. Die Götter „Vater Himmel und Mutter Erde“ könnten keinen Trost spenden.

Mit dem Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali begann in der arabischen Welt eine Revolution, die bis zum heutigen Tag anhält und den Nahen Osten stark verändert hat. Nur wenige Wochen später war Ägyptens Präsident Mubarak gestürzt, während der Aufstand gegen den libyschen Staatschef Gaddafi erst richtig begann. Jede Äußerung Obamas wurde von der Christlichen Rechten argwöhnisch betrachtet und bald kamen wieder Gerüchte auf, dass der US-Präsident streng islamisch erzogen wurde.

Angeblich habe Obama Verbindungen zur Muslimbruderschaft oder Sympathie für die Aufständischen im Irak. Cindy Jacobs hielt fest, dass die Ägypter nicht aus den Fehlern der Amerikaner gelernt hätten, die 2008 blind für den „Wandel“ (Change) gestimmt hätten, ungeachtet dessen, was der Wandel mit sich bringe. Keinesfalls dürfe aus Unmut gegenüber Mubarak die Muslimbruderschaft an die Macht kommen. Fernsehprediger John Hagee meldete sich per youtube zu Wort: Die blutigen Geschehnisse in Libyen wurden bereits in der Bibel prophezeit.

Mit Blick auf die angespannte Situation im Nahen Osten warnte Franklin Graham davor, dass die Muslimbruderschaft alle Ebenen der Obama-Regierung infiltriert hätte und Moslems die Entscheidungen des Militärapparats und Außenministeriums maßgeblich mitbestimmen würden.

Ausgerechnet der Islamophobe Bryan Fischer fiel auf die Propagandatricks Gaddafis herein. In seinem Blog sprach er sich gegen die Luftschläge westlicher Staaten auf Libyen aus, weil dies nur die Aufständischen stärken würde, hinter denen nach seiner (und Gaddafis) Meinung nur die al-Qaida stecke.

Im März ereignete sich vor der japanischen Küste ein schweres Beben, dessen Flutwelle das Kernkraftwerk Fukushima beschädigte, was in einer Kernschmelze gipfelte. Für die Vertreter der Christlichen Rechten war dies ein Indiz dass Weltuntergang und die Ankunft des Antichrist kurz bevorstünden. Wieder andere sahen in der nuklearen Katastrophe eine göttliche Strafe für den Götzendienst der Japaner. Außerdem sei zu verurteilen, dass die Methodistische Kirche zu einer Gedenkveranstaltung auch Shintoisten und Buddhisten eingeladen hätte.

Im Mai spürte ein Kommando der Navy Seals Osama bin Laden in der pakistanischen Stadt Abbottabad auf und erschoss ihn. Mike Huckabee hieß den Terrorfürsten in der Hölle willkommen, während andere Prediger verkündeten das historische Ereignis bereits vorausgesehen zu haben. Doch die Christliche Rechte war nicht durchgehend erfreut. Sarah Palin wollte nur George W. Bush danken und verlangte von Obama Fotos des getöteten bin Ladens zu veröffentlichen.

Der einflussreiche Tea-Party-Aktivist Judson Phillips zeigte sich zwar über den Ausgang der Operation erfreut, hatte jedoch trotzdem etwas zu beanstanden. Die Bestattung bin Ladens hätte nicht nach islamischem Recht erfolgen dürfen. Stattdessen hätte man den Leichnam mit Schweinefett einreiben sollen, um sicherzustellen, dass den Terroristen keine 72 Jungfrauen im Paradies erwarteten. Ebenso solle man gefangenen Terroristen solange nur Schweinefleisch zu essen geben, bis sie endlich gestehen. Außerdem habe Obama den Einsatz nur befohlen, um seine Wiederwahl zu sichern, nicht weil ihm das Wohl der Amerikaner etwas bedeute. Daher habe er die Meldung vom Tod bin Ladens während der Sendung seines Herausforderers Donald Trump verbreitet.

Einige Tage später revidierte Phillips seine Einschätzung jedoch aufgrund „neuer Erkenntnisse“. Angeblich habe das Militär die Ausschaltung bin Ladens auf eigene Faust beschlossen und das Weiße Haus erst während der laufenden Operation informiert. Man dürfe der „Propaganda des Obama-Regimes“ nicht trauen. Obamas angespannter Blick auf dem mittlerweile weltberühmten Foto aus dem Situation Room sei in Wirklichkeit die Verärgerung über den Alleingang der Navy Seals. Ebenso sei der Ausfall der Videoübertragung der Helmkameras sicher kein Zufall. Und zu guter Letzt sei Obamas Gesichtsausdruck während der Bekanntgabe der Tötung des Terroristen Beweis genug – er hätte erleichtert lächeln müssen.