HVD und säkulare Muslime

BERLIN. Auf der heutigen Pressekonferenz, die unter strengen Sicherheitsvorkehrungen

stattfand, hat der kürzlich in Köln gegründete „Zentralrat der Ex-Muslime“ sein politisches Konzept in großer emotionaler Eindringlichkeit, unter teilweise lautem Beifall und bei Anwesenheit eines großen Medienpulks vorgestellt. Der Verein beabsichtigt, im gegenwärtigen Streit um „Leitkultur“ und die Stellung islamischer Religionsgesellschaften in Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik die Tatsache in Erinnerung zu rufen, dass die Integrationsproblematik nicht auf Religionsfragen und Bekenntnisgemeinschaften reduziert werden darf und dass der deutsche Staat in seinen Kooperationsbemühungen fehl geht, wenn er allein die jüngst gegründeten Islamverbände berücksichtigt und deren islamistische Interessen nicht durchschaut. Er lässt säkulare Muslime links liegen, wo doch gerade sie der Grundrechtekultur in Europa näher stehen als islamische Verbände.

Um nichtreligiöse Muslime in ihrem Bemühen um Aufklärung über menschenrechtsfeindliche und vor allem frauenfeindliche Züge in dieser Religion zu bestärken und deren Interessen ins öffentliche Bewusstsein zu heben, hat sich der „Zentralrat der Muslime“ deutlich zum Recht auf negative Religionsfreiheit bekannt – in Deutschland ein Grundrecht, auf dessen Einhaltung sich staatliches Wirken im Sinne des Grundgesetzes zu orientieren hat, das aber weltweit durchzusetzen ist.

Der HVD ist der Auffassung, dass das Recht auf negative Religionsfreiheit für alle gilt, auch für Muslime wie Ex-Muslime. Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) steht für Selbstbestimmung, Pluralismus und Toleranz. Er unterstützt daher alle, die ihr Recht auf negative Religionsfreiheit wahrnehmen. Nach Artikel 4, Absatz 1 unseres Grundgesetzes ist die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich. Muslime müssen – wie Mitglieder anderer Religionen und Weltanschauungen auch – die Wahl haben, sich vom Islam zu distanzieren oder ihre Überzeugungen anderweitig zu ändern. Diese Autonomie ist ein schützenswertes Gut. In den öffentlichen Debatten in Deutschland haben bislang in erster Linie religiöse Muslime das Wort ergriffen. Mit diesem emanzipatorischen Schritt der Gründung des „Zentralrats der Ex-Muslime“ sind nun auch säkulare Muslime öffentlich vertreten. Sie werden die Debatten um „Leitkultur“, Integration und Gleichbehandlung von Religionen und Weltanschauungen mitbestimmen.

Der HVD begrüßt, wenn sich nichtreligiöse Kräfte in Deutschland organisieren. Auf Dauer trägt das dazu bei, eine starke säkulare Stimme neben den Kirchen und religiösen Verbänden zu etablieren. Im Hinblick auf das Nebeneinander von religiösen und religionsfreien Menschen fordert der HVD gegenseitige Toleranz. Dass die Pressekonferenz des „Zentralrats der Ex-Muslime“ unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden musste und die Initiatoren bereits Morddrohungen erhalten haben, ist in dieser Hinsicht kein gutes Vorzeichen.

Wir halten es für unstatthaft, Personen, die aus traditionell moslemisch geprägten Kulturen in Deutschland leben und hier Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sind, auf den Islam festzulegen nach dem Motto: „Jeder Türke, Iraner, Iraker ... ist ein Moslem – und seine Frau sowieso.“ Zumal gleichzeitig in der Öffentlichkeit die Tendenz vorherrscht, den Islam als solchen zu einem besonderen Problem zu erklären und tendenziell mit Terrorismus zu identifizieren. Vor allem hier kann der neu gegründete Zentralrat etablierte Denkschablonen aufbrechen und Islamkritiker/-innen um sich versammeln, die Religionskritik nicht aus einer rechten Ecke heraus vortragen und Ausländerhass schüren.

Der HVD verurteilt, dass der Staat den Anschein erweckt, eine Allianz der religiösen Organisationen zu favorisieren. Wir unterstützen deshalb den in der Pressekonferenz von den Gründerinnen mehrfach betonten Satz, Religion sei Privatsache.

In Deutschland ist der Rechtsanspruch auf negative Religionsfreiheit und Anerkennung des persönlichen Bekenntnisses durch Ämter, Behörden und öffentliche Einrichtungen auch gegen christlich motivierte Monopolansprüche durchzusetzen, die sich aus der „hinkenden Trennung“ von Staat und Kirche ergeben. Die einseitige Bestimmung unserer Kultur als eine vor allem kirchlich geprägte ist Humanistinnen und Humanisten in Deutschland wohlbekannt, werden doch auch sie ständig daran erinnert, dass sie sich angeblich in einer „christlich-abendländischen Kultur“ befinden – bis hin zu regelrecht beleidigenden Formen öffentlicher Trauer- und Erinnerungskultur und entgegen allen empirischen und historischen Befunden.

In unserem Land herrscht Religions- und Organisationsfreiheit. Das schließt die Gründung atheistischer, agnostischer oder ähnlicher Vereine und Verbände ein. Es ist zu hoffen, dass das Signal der Gründungsgruppe der „Ex-Muslime“ in unserer Gesellschaft und von den politischen Kräften angemessen verstanden wird. Es ist vor allem zu wünschen, dass es den Gründerinnen und Gründern auch organisatorisch gelingt, die Vereinigung dauerhaft zu machen, um diejenigen, die sich bekennend hervorwagen, nicht zu enttäuschen.

Da wir in unserem Land gegenwärtig dabei sind, die aus dem frühen 20. Jahrhundert stammenden, in der „Weimarer Reichsverfassung“ verankerten und im Grundgesetz (Art. 140) inkorporierten Religionsrechtsverhältnisse zu reformieren, sollten vor politischen Beschlüssen die „Glaubensverhältnisse“ – so wie sie tatsächlich sind – endlich erforscht, stärker respektiert und politisch klüger beachtet werden: eingeschlossen die Organisationen und Verbände der Konfessionsfreien und deren Positionen.

Es gehört zu den Erfahrungen des HVD – und hat 1993 zu seiner Gründung geführt – dass seinen Mitgliedern das Bekenntnis zum Atheismus, zur Freidenkerei, zum „Ex Christ-sein“ oder zum Agnostizismus noch nicht genügt für eine individuell wie gesellschaftlich bedeutsame weltanschauliche Grundentscheidung. Wir meinen, mit Aussagen über eine verlassene Position, gegen eine Religion oder gegen jede Religion ist noch nicht das Richtungweisende definiert. Auf der Abkehr von Religion können ganz unterschiedliche „Bekenntnispositionen“ aufbauen. Der HVD ist gespannt, welche weltanschaulichen und politischen Aussagen der Zentralrat künftig vortragen wird. Er ist zudem offen für Humanistinnen und Humanisten, ganz gleich, ob sie vorher einer Religionsgemeinschaft angehörten oder säkular sozialisiert wurden.

Im Zusammenhang mit der Gründung des Zentralrates kritisiert der Humanistische Verband zudem, dass sich die Bundesregierung am Kabinettstisch am 14. Februar 2007 mit einer Religionsgemeinschaft, der EKD, einseitig beraten hat, wie sie mit anderen Religionsgemeinschaften, den Islamorganisationen, umgehen soll. Das erinnert stark an das Kaiserreich, in dem die herrschende evangelische Staatskirche im Kultusministerium ihr Verhalten zu den Katholiken bestimmte – heraus kam 1872 der „Kulturkampf“. Der steht uns hoffentlich nicht bevor, weder gegen Moslems, Ex-Moslems oder Konfessionsfreie.

 

Dr. Horst Groschopp
Bundesvorsitzender des HVD