Webtalk der Friedrich-Naumann-Stiftung

Der Islam – und die Freiheit, auch nicht religiös zu sein

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Diskutierten über den Islam und Religionsfreiheit: Mouhanad Khorchide und Zeinab Herz
Mouhanad Korchide und Zeinab Herz

Zum Webtalk am 18. April 2023 hatte die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung zwei Gäste eingeladen, deren Eindrücke derselben Religion kaum gegensätzlicher sein könnten. Zeinab Herz ist Ex-Muslimin und beim Zentralrat der Ex-Muslime aktiv. Für ihren Religionsaustritt hat sie Ausgrenzung und Gewaltandrohung, selbst von der eigenen Familie, erfahren. Prof. Dr. Mouhanad Khorchide dagegen kann sich nicht vorstellen seine Beziehung zu Allah jemals aufzugeben und wünscht sich eine Zukunft mit einem barmherzigen Gott, der Liebe statt Angst vor Strafe verbreitet.

Der Webtalk "Der Islam – und die Freiheit, auch nicht religiös zu sein" mit dem Untertitel "Wenn der Abfall vom Glauben streng geahndet wird" begann mit einleitenden Worten Cornelia Els', Referentin im Länderbüro Hessen und Rheinland-Pfalz der Friedrich-Naumann-Stiftung. Sie umriss den Glaubensverlust gerade junger Menschen. Diese wollten sich nicht mehr länger religiös bevormunden lassen und auch Moscheegemeinden verlören ihren Nachwuchs.

Im Anschluss stellte sie den Moderator und die beiden Gäste vor: Moderiert wurde der Webtalk von Fernsehmoderator und Autor Meinhard Schmidt-Degenhard. Zu Gast waren Zeinab Herz, Studentin, aktiv bei den Jungen Liberalen und dem Zentralrat der Ex-Muslime und Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für islamische Religionspädagogik.

Schmidt-Degenhard befragte Herz zunächst zu ihren Erfahrungen, ihrer Erziehung und ihrem Austritt aus dem Islam. Herz erklärte, in den ersten Jahren nicht sehr religiös gelebt zu haben. Erst als sie 13 war, habe der Druck der Familie im Libanon sie zur Religion getrieben: Da sie keinen Hijab trage und auch keine Halal-konformen Lebensmittel verzehre, käme sie in die Hölle, wo Allah sie an den Haaren aufhängen würde. Zudem sei sie keine gute Libanesin. Daraufhin begann sie, ein Kopftuch zu tragen und sich auch sonst religiösen Regeln zu unterwerfen. Sie gab Männern nicht mehr die Hand und betete fünfmal täglich, obwohl sie dafür früh aufstehen musste.

Mit 18 zog Herz schließlich von Zuhause aus und verließ gleichzeitig die Religion. Sie legte das Kopftuch ab, betete und fastete nicht mehr und traf sich auch mit Männern. Als Grund gab sie die religiöse Unterdrückung, die Frauen besonders beträfe, an. Unterdrückt wurden der weibliche Körper und weibliche Rechte, zum Beispiel in Vielehen oder beim Recht auf eine Ehescheidung. Auch konnte sie Homosexualität nicht als Sünde wahrnehmen. Allah war für sie ein hassender Gott, der Fehler, wie ausgelassene Gebete, bestrafe.

Der Entschluss, die Religion zu verlassen, kam schleichend. Bedingt auch durch Diskussionen mit der liberal eingestellten Mutter. Obwohl für die Mutter die Religion eigentlich perfekt war, die fehlerhafte Umsetzung an der Kultur läge, war das für Herz nicht nachvollziehbar. Schließlich gälten dieselben Probleme auch für andere Länder, mit anderen Sprachen und Kulturen.

Für ihren Austritt erntete sie Ausgrenzung von Teilen der Familie, Gewaltdrohungen des Vaters und Ablehnung von Freundinnen.

Khorchide: Beschreibungen keine Ausnahme

Im Anschluss befragte Schmidt-Degenhard Prof. Khorchide, ob es im Islam die Freiheit gäbe, nicht religiös zu sein, oder ob daraus soziale Ächtung folge.

Khorchide erklärte, dass Herz' Beschreibungen keine Ausnahme seien. Studierende berichteten ihm von ähnlichen Erfahrungen mit Angst vor einem strafenden Gott, vor Unfreiheit und dem Gefühl falsch zu sein, wie es in Familien und Moscheegemeinden vermittelt werde.

Für ihn jedoch ist das nicht das Konzept des Islam, sondern nur seine Interpretation. Islamische Communities auch in Europa projizierten traditionell Angst, Strafe und patriarchale Strukturen in den Islam. Dabei könne eigentlich keine Religion gegen die Freiheit sein.

Islamische Quellen, die erklärten, dass das Blut derjenigen vergossen werden dürfe, die vom Glauben abfielen, seien Interpretationen. Und diese ließen den historischen Kontext vermissen, zum Beispiel, dass Prophet Mohammed etwa 200 Jahre vor Niederschrift seiner vermeintlichen Worte bereits verstorben war. Auch seien manche Begriffe zu wörtlich genommen. Der Himmel oder das Paradies sei die Nähe zum liebenden, barmherzigen Gott, während die Hölle, verdient durch Boshaftigkeit gegen Mitmenschen, die Ferne zu Gott sei.

Nach einem Gespräch, welches zwar gegenseitigen Respekt und Dankbarkeit seitens Herz für Khorchides Reformbestrebungen zeigte, aber auch die Gegensätzlichkeit des weltweit real erlebbaren Islams zu Khorchides Ideal aufzeigte, folgten Fragen des Publikums.

Kritik an der deutschen Politik

Ob sie bei ihrem Austritt aus dem Islam Unterstützung von staatlichen oder anderen Stellen erhalten habe, wurde Zeinab Herz gefragt. Und, ob sie die Unterstützung durch die Politik in Deutschland als ausreichend ansieht.

Herz erklärte, dass sie keine Unterstützung beispielsweise von staatlichen Stellen erhalten habe, jedoch ihr Freund ihr zur Seite gestanden habe. Das Thema erhalte wenig Interesse.

Sie kritisierte auch die Politik dafür, nicht mit säkularen muslimischen Gruppen in Kontakt zu sein. Finanzielle Unterstützung für säkulare muslimische Projekte sei kaum zu erhalten und die kritische Auseinandersetzung überlasse linke Politik den Rechten, die versuchten, Ex-Muslim*innen zu instrumentalisieren.

Dazu befragt, ob es jemals einen angstfreien Islam gegeben habe, erklärte Khorchide, dass dies in der Mystik der Fall sei, diese sich jedoch nicht durchgesetzt habe. Es müsse viele Imame geben, die in Moscheen erklärten, dass manche Suren heute keine Gültigkeit mehr hätten. Täten dies nur einzelne, so wie er mit seinem Buch "Islam ist Barmherzigkeit – Grundzüge einer modernen Religion", gelte dies als häretisch und die Frage nach einer Strafe würde laut.

Dazu befragt, ob Männer und Frauen nach einem Austritt aus dem Islam unterschiedlich behandelt würden und ob es Unterschiede nach sozialer Schichtung gebe, zeigten Herz und Khorchide Einigkeit: Zunächst einmal sei ein Austritt aus dem Islam nicht an einen formalen Akt des Austritts gebunden, wie er zum Beispiel christliche Menschen in Deutschland betrifft. Ansonsten hätten Männer es – obwohl auch sie von Gewalt und Ermordung bedroht seien – etwas leichter. So sei bei ihnen zum Beispiel die Regelung zum Umgang mit Frauen legerer.

Einen Unterschied in sozialen Schichten oder in Bezug auf Bildung konnten beide nicht erkennen. Für beide Gäste stand jedoch fest, dass Muslim*innen, die den strafenden Gott ankündigten, diesen nicht nur vorschöben, sondern tatsächlich an ihn und eine Hölle glaubten.

Eine Publikumsfrage an Prof. Khorchide befasste sich mit der Anzahl muslimischer Gläubiger, die ihm zustimmten. Ob eine Mehrheit ihm und seinem Ideal vom liebenden, barmherzigen Gott zustimmten, oder ob er der einsame Rufer in der Wüste sei.

Khorchide sieht noch eine Minderheit auf seiner Seite, jedoch auch den Willen zu Veränderung. So distanziere sich Saudi-Arabien heute von islamistischer Ideologie, die sie einst exportiert habe. Mit seinen Thesen wäre er in Riad nicht in Gefahr, in Teheran könne dies jedoch nach der Verbreitung sein letzter Tag auf Erden gewesen sein.

Herz: Trennung von Staat und Religionen wichtig

Zum Kopftuch befragt und ob sie ein Verbot auf der Straße befürworten würde, erklärte Herz, dass draußen getragen werden solle, was die Personen wollen. In Klassenzimmern und öffentlichen Gebäuden sei das jedoch anders, da eine Trennung von Staat und Religionen wichtig sei. Jedoch sähen sich muslimische Gläubige in der Frage nach religiösen Symbolen benachteiligt, da das Kopftuch weit stärker thematisiert sei als die noch immer in Klassenräumen und Ämtern hängenden christlichen Kreuze.

Auch an Herz richtete sich die Frage, ob wegen Apostasie, Atheismus oder Homosexualität Verfolgte in Deutschland Asyl fänden. Daraufhin erklärte sie, dass dies Asylgründe seien. Sie verwies auf die Dokumentation "Abschied von Allah" des französisch-deutschen Fernsehsenders Arte, die auch heute noch in der Mediathek oder auf YouTube anzusehen ist. Dort hat nicht nur sie mitgewirkt, sondern auch vor Verfolgung geflohene Männer. So berichtet unter anderem Amed Sherwan, wie er mit gerade einmal 15 Jahren wegen islamkritischer Äußerungen gefoltert wurde.

Zur Unterstützung durch den Zentralrat der Ex-Muslime und womöglich steigendem Zulauf befragt, berichtete Herz, dass wenige sich trauten, im Zentralrat Mitglied zu werden und noch weniger, auch aktiv zu sein. Zu groß sei die Angst vor Unterdrückung. Dies mindere jedoch die Möglichkeiten, gute Projekte durchzuführen.

Die letzte Frage aus dem Publikum zeigte eine aktuelle politische Situation besonders deutlich auf: Ob die Gefahr bestehe, dass die politische Agenda des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in deutschen muslimischen Gemeinden gelehrt würde, angesichts der Tatsache, dass die meisten Moscheen DITIB unterstünden, die der dortigen Regierung nahestehe.

Khorchide erklärte daraufhin, dass definitiv nicht alle Imame Erdoğans Agenda verbreiteten, dass es vielmehr die Verwaltung beträfe. Viele Imame bildeten sich fort und besprächen auch Themen wie Apostasie, Frauen und Homosexualität. Jedoch seien sie unterbezahlt und könnten eine Fortbildung oft kaum bezahlen. Da müsse die Politik überlegen, Nicht-Imame zu bezahlen und dafür die Bedingungen aufzeigen, die diese in Bereichen wie Pädagogik oder Erfahrung mitzubringen hätten.

Schmidt-Degenhard warf daraufhin ein, dass dies nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei und stellte seinen Gästen noch abschließend die Frage, ob sie sich vorstellen könnten, zu einem Islam, wie Khorchide ihn skizzierte, entweder zurückzukehren oder aber den Glauben zu verlieren.

Herz erklärte, dass sie sich nicht vorstellen könne, dass der Islam in Zukunft in Khorchides Auslegung gelebt werde. Für sie scheint – im Rahmen von "Sag niemals nie" – eine Rückkehr zum Glauben ausgeschlossen. Im Gegenzug konnte sich Khorchide nicht vorstellen, sein liebevolles Verhältnis zu Gott zu verlieren, auch wenn er selbst für manch Gläubige schon als Apostat gilt.

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