Das Debakel der christlichen Logen
Von der Bedeutung her war und ist der „Grand Orient“ aber die wichtigste Großloge Frankreichs, sie organisiert etwa 50.000 Freimauerer in 1.150 Logen. Sie ist daher auch die größte Dachloge in der Gruppe der progressiven Logen, die im Unterschied zu den regulären Logen auch weibliche und gemischte Logen umfasst und insgesamt wichtiger ist als die Gruppe der Regulären. Das ärgert natürlich die regulären Logen in und außerhalb Frankreichs, sodass die Versuche der GLNF, um stärker als der „Grand Orient“ zu werden, längere Zeit auf internationale Unterstützung rechnen konnten.
Dass nun aber gerade die einzige konservative, bibeltreue und gottesverbundene Großloge Frankreichs in diesem Kampf skandalös gegen alle Werte der Großmutter in London verstößt, bringt die christlichen Regulären natürlich in Schwierigkeiten. Ein Treffen der Großmeister der regulären Großlogen Europas unterstrich daher bereits Mitte 2011, dass die GNLF die Reputation der regulären Freimaurerei in ganz Europa infrage stellt, und rief Stifani zum Rücktritt auf. Das Stifani außerdem die politische Karte Sarkozys spielt und damit auch die antienglischen Positionen der französischen Regierung unterstützt, ist bei der alten Tante in London sicherlich auch nicht gut angekommen. Kurzum, es stellt sich die Frage, ob die Meuterer der FMR nicht von den europäischen regulären Logen geschickt sind, um zu retten, was noch zu retten ist. Dabei erhöhen sie den Druck gewaltig. Nachdem bereits etwa 30 reguläre Logen weltweit ihre Verbindungen mit der GLNF abgebrochen haben, informierten in Oktober 2011 die wichtigen regulären Nachbarlogen (Deutschland, Belgien, Österreich, die Schweiz und Luxemburg) nach einem Treffen in Berlin, dass sie beabsichtigen ihre Anerkennung der GLNF als die reguläre Großloge Frankreichs zurückzuziehen.

Ob aber diese Schritte was ändern, ist fraglich. Die Frage ist doch, ob die Krise der GLNF ein Betriebsunfall oder ein Systemfehler ist. Auf dem Hintergrund Tausender ähnlicher Fälle im kirchlichen, säkulären und sozialkulturellen Bereich zeigt alles auf systemische Gründe. Offensichtlich ist die wechselwirkende Verbindung von Spirituellem und Pekuniärem eine Gesetzmäßigkeit. Um nun zu verhindern, dass das Pekuniäre sich vom Spirituellen absolut verselbstständigt bzw. sogar ins Kriminelle abgleitet, ist bei der Organisation der sachlichen Infrastruktur ein Höchstmaß an Transparenz und demokratische Mitbestimmung erforderlich. Dies Erfordernis kann ein konservativer Freimaurerverein kaum befriedigen, weil er den Widerspruch zwischen dem antagonistischen Wesen seiner Wirkungsbedingungen nicht lösen kann: Das Festhalten am abstrakten Gottesglauben implementiert die bekannte hierarchische Diktatur des Großmeisters mit allen vorher beschriebenen Konsequenzen. Und das gilt in geringerem Maße auch für die sogenannten progressiven Logen, da z. B. auch dort bei vielen noch immer keine Frauen zugelassen sind bzw. diese gezwungen sind, eigene Logen zu gründen. Die Todesspirale der regulären Freimaurerei scheint somit unumkehrbar zu sein.
Die zukünftige Entwicklung der progressiven Freimaurerei und daher auch vieler ähnlicher weltanschaulicher Organisationen wird wahrscheinlich durch den Grad ihrer noch immer zu erarbeitenden Offenheit für emanzipatorische, gesamtgesellschaftliche Prozesse bestimmt werden.
Für die Interessenvertretung der Konfessionslosen Deutschlands ist die eher pessimistische Prognose der Freimaurerei allerdings irrelevant, weil diese hier, insbesondere nach dem Zweiten Weltkkrieg, so wie so mehrheitlich in den Händen ausgesprochener christlicher Vereinen ohne gesellschaftspolitischen Output liegt. In Frankreich und Belgien wäre eine Stärkung der bestehenden Freimauerei zu begrüßen, weil sie hier als progressive Strömung noch immer eine beachtliche Rolle im Streit für die Trennung von Kirche und Staat spielt.
Rudy Mondelaers
Weitergehende Informationen:
Internationale Website der fortschrittlichen Grand Orient Logen
Website der französischen Freimauererei
Blog von Freimaurerexperte François Koch in der Zeitschrift L’Express
Website der FMR Meuterer


