BERLIN. (hpd) Jost Schieren ist Professor für Waldorfpädagogik an der anthroposophischen "Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft", Leiter des "Fachbereichs Bildungswissenschaft", und verantwortlich für die (Waldorf-) Lehrerbildung.
Dem "Waldorfblog" gab Jost Schieren ein ausführliches Interview, in dem er immer wieder das buzzword "Freiheit" verwendet – in einer einzigen Antwort erstaunliche 7 mal:
- "Die Anthroposophie ist im Kern auf das Ideal des freien Menschen ausgerichtet."
- "Freiheitsentwicklung als Teil des Weltgeschehens"
- "Freiheitsentfaltung unseres Menschseins"
- "Position der Freiheit"
- "Begriff der Freiheit"
- "Entwicklungsraum der Freiheit"
- "freien Persönlichkeitsentwicklung"
Für Schieren macht einfach alles frei, was Anthroposophie ist. Wie die Waldorfpädagogik, die auf der Anthroposophie Rudolf Steiners (1861 – 1925) basiert.
Über einen Vortrag Rudolf Steiners sagt Kurt Tucholsky: "Je größer der Begriff, desto kleiner bekanntlich sein Inhalt – und er hantierte mit Riesenbegriffen."
"Freiheit": mit diesem Riesenbegriff macht Jost Schieren Werbung für die Waldorfpädagogik.
Reinkarnation macht frei
Beim Werber Jost Schieren ist "Reinkarnation" normal, wird zu einer weiteren "Sichtweise auf den Menschen", die – Verkaufsargument! – von "Fremdbestimmung" befreit:
Der Gedanke der Reinkarnation erlaube es, so Jost Schieren, "den Menschen nicht als irgendwie allein fremdbestimmtes Wesen (Gene, Sozialisation, Gehirnprägungen usw.) zu denken." Das Kind sei nicht das alleinige Resultat von Vererbung und Umgebung, sondern trage in sich "eine eigene auf sich selbst begründete Persönlichkeit", die nicht zufällig entstanden sei, da "der Mensch sein eigenes Wesen selbstverantwortlich durch eine Reihe von Verkörperungen selbst bildet."
Doch was bedeutet "Reinkarnation" überhaupt? Und bei Rudolf Steiner?
Weit verbreitet ist die Idee im asiatischen Kulturkreis, im Hinduismus und den verschiedenen Erscheinungsformen des Buddhismus. Gemeinsam ist ihnen, daß das Ziel ist, dem "endlosen Kreislauf der Wiedergeburten" zu entkommen, sich von der Fessel des "Karma" zu befreien.
Helena Petrovna Blavatsky und in ihrer Nachfolge Rudolf Steiner kehren die Idee in ihr Gegenteil um: Der Mensch soll im Kreislauf der Wiedergeburten bleiben, so kann er sich – und damit die Menschheit – perfektionieren. Das bedeutet: Pflichterfüllung. Von "Freiheit" keine Spur.
Rudolf Steiner verspricht eine Form der (geistigen) Unsterblichkeit und befriedigt zugleich das Bedürfnis seiner – zur Zeit der Begründung der Anthroposophie – aristokratischen und großbürgerlichen Klientel nach "Elite": "WIR bringen die Menschheit (-sentwicklung) voran!"
Und natürlich kann die Menschheit auch nicht an einem Tag an Ihrem Bestimmungsort, dem Planeten "Vulkan", ankommen – dann wäre Steiners Geschäftsmodell sofort erledigt.
Anthroposophie: Seine Eltern sucht man sich selber aus …
Rudolf Steiners Vorstellung der Reinkarnation kann man natürlich auch aus der Schüler-Perspektive betrachten:
Leute, ich hab mir Eltern ausgesucht, die mir was bieten können. Meint ihr, ich würde hier sonst mit meiner Mum in einem Porsche Cayenne in der zweiten Reihe vor der Rudolf Steiner Schule in Berlin Dahlem chillen? Wenn’s mal mit den Noten nicht so dolle ist, steht mein privater Nachhilfelehrer schon auf der Matte, über die paar Euros redet bei uns keiner. Portokasse. Eigentlich bin ich ganz zufrieden, könnte höchstens ’nen bißchen langweilig werden, mein Leben …
Aber, Alter, Abenteuer doch nur was für Idioten: stell dir vor, du suchst dir Eltern in Syrien aus, und findest dich plötzlich auf 'nem Schlauchboot im Mittelmeer wieder … wie beknackt muß man da eigentlich sein … und jetzt kommt‘s noch dicker: du hast es grad so überlebt, und schon bist du in ’ner Flüchtlingsklasse in der Waldorfschule, die versuchen mit dir ihr Image aufzupolieren, wegen "ausländerfrei" und so …“
Wenn Schule Schicksal wird …
In einem kritischen Artikel antwortet der Pädagoge André Sebastiani auf Jost Schierens Interview mit dem Waldorfblog, und schreibt: "Es macht für einen Pädagogen doch wohl keinen Unterschied, ob der Mensch nun als Produkt vorangegangener Inkarnationen, oder als Produkt seiner Gene und seiner Umwelt vor ihm steht."
Wenn der Pädagoge kein Anthroposoph wie Jost Schieren wäre, gäbe es im Ergebnis vielleicht keinen Unterschied.
Für einen Anthroposophen wie Jost Schieren könnte der Unterschied nicht größer sein – Anthroposophie bedeutet hier: Das Kind hat den Lehrer gewählt, das Aufeinandertreffen von Schüler und Lehrer ist "Karma" – die Schulklasse wird zur Schicksalsgemeinschaft, deswegen ja auch der Verzicht auf das "Sitzenbleiben" in der Waldorfschule.
Doch wenn Schule Schicksal wird: Woher soll die von Schieren gebetsmühlenartig wiederholte "Freiheit" kommen?
7 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Seine Eltern sucht man sich selber aus ... "
Das ist doch auch völlig alternativlos, ihr blöden Kritiker. Man stelle sich vor, eine chinesische Seele sucht sich z.B. deutsche Eltern aus. Gut, ihren Namen könnte die vielleicht noch tanzen. Aber wie sollte sich das Kind später mal mit seinen Eltern unterhalten...? Häh...? Schon mal darüber nachgedacht...?
Andreas Lichte am Permanenter Link
...
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Selbstwiderspruch ist ein klares Zeichen für die Verinnerlichung unausgegorenen Blödsinns.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Anthroposophie, Reinkarnation, Eingeweihtenwissen - geoffenbarter heiliger Bimbam; nein, außerwissenschaftlich. Ich wollte es mal ganz kurz machen.
Andreas Lichte am Permanenter Link
... staatlich anerkannter "außerwissenschaftlicher", "geoffenbarter heiliger Bimbam":
"Die Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft ist eine staatlich anerkannte Kunsthochschule in freier Trägerschaft. Im Rahmen der ihr obliegenden Lehrerausbildung und anderer wissenschaftlicher Fächer nimmt sie darüber hinaus Aufgaben einer Universität wahr. (KunstHG NRW §3). Die Hochschule ist ein Ort der künstlerischen Bildung sowie der wissenschaftlichen Lehre und Forschung. Sie gliedert sich in eine Fakultät für Kunst und Architektur und eine Fakultät für Human- und Gesellschaftswissenschaften.
In den verschiedenen Studiengängen wird die Möglichkeit zur künstlerischen und wissenschaftlichen Qualifikation geboten.
Alle Bachelor- und Masterstudiengänge sind akkreditiert und staatlich anerkannt. Im Mai 2010 erfolgte zudem die institutionelle Akkreditierung der Alanus Hochschule durch den Wissenschaftsrat. Außerdem erhielt sie das Promotionsrecht für den Fachbereich Bildungswissenschaft."
Quelle: http://www.alanus.edu/profil.html
Kay Krause am Permanenter Link
"Waldorfologie", das wäre doch als neues ("wissenschaftliches"?) Studienfach zu empfehlen! Habe diverse Menschen kennengelernt, deren Ausbildung in einer Waldorfschule stattfand.
kann man eben auch den Begriff "Freiheit" philosophisch auseinanderpflücken und hundertfache Erklärungen suchen und finden. Weder in einer waldorfologischen noch in einer staatlichen programmgeprägten Schule wird ein Jugendlicher das finden, was ich unter Freiheit verstehe: Freiheit im Geiste! Weltoffenheit! Interesse und Aufnahmefähigkeit für Neues, bisher Unbekanntes! Eigenes Urteilsvermögen. Mut zu eigenen Entscheidungen. Akzeptanz anders gearteter Menschen! Die Erkenntnis, dass das Lernen nie enden darf, bis zum Tode! Sich nicht hinter Traditionen zu verstecken, forschen, suchen
nach ein bißchen mehr Erkenntnis und Wahrheit, abseits von Prägung, Tradition und religiösem Glauben! Das wären für mich Grundbegriffe der Freiheit.
Steiner (kluger Mann!) hat relativ frühzeitig erkannt, dass es mit den herkömmlichen Religionen den Bach hinuntergeht und eine neue Religion (Glaubensrichtung?) geschaffen. Wer glaubt, wird seelig.
Andreas Lichte am Permanenter Link
"Und natürlich kann die Menschheit auch nicht an einem Tag an Ihrem Bestimmungsort, dem Planeten "Vulkan", ankommen ..." – nein, das dauert etwas länger ...