„Für das christliche Weltbild ist gesorgt“

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Foto: Sebastian Hillig / CC-BY-SA

BERLIN. (hpd) Eine Blitzumfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF-Politbarometer ergab gestern, dass lediglich 16 Prozent der Deutschen nicht mit Joachim Gauck als Bundespräsidenten einverstanden sind, 69 Prozent wären mit ihm einverstanden. Die Umfrageergebnisse stehen im starken Kontrast zu den Stimmen aus säkularen und humanistischen Organisationen. Steckt mehr als ein Organisationsdefizit dahinter?

Konfessionsfrei, weiblich, ehrlich – so lautete ein Konsens, den Organisationen wie der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten, der Dachverband freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW) und der Humanistische Verband Deutschlands mit Blick auf unser zukünftiges Staatsoberhaupt teilen würden. Damit scheint es aber mindestens in den nächsten fünf Jahren nichts zu werden.

Die Urteile in den Medien sind sich zwar uneins, wer mit der Nominierung Joachim Gaucks nun wirklich einen Coup landete: SPD und Grüne, die FDP oder gar Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst? Erste Einschätzungen aus dem säkular-humanistischen Lager am Fünf-Parteien-Konsens fielen jedenfalls wenig erfreut bis sehr kritisch aus. Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, sprach von einem künftigen „Bundeskirchenpräsident“ Gauck und beurteilte es als ein „religiotisches Syndrom“ der deutschen Politik, „in der rhetorische  Phrasendrescherei an die Stelle politischen Sachverstands getreten ist“.

Renate Bauer, DFW-Präsidentin, erklärte zur Entscheidung, mit Gauck sei nicht ihr „erster Wunschkandidat“ aufgestellt worden. Er habe sich aber andererseits „in schwierigen Aufgaben der Vergangenheitsaufarbeitung bewährt“. Bauer beurteilte es ferner als unverständlich, dass die Partei Die Linke bei der Suche nach einem Nachfolger für Christian Wulff ausgeklammert wurde.

Zu ihren Erwartungen an Joachim Gauck im Falle einer Wahl meinte sie: „Gerade weil er protestantischer Pfarrer von Hause aus ist, möchte ich von ihm eine deutliche Zurückhaltung auf der Einbeziehung von Religionen und Weltanschauungen bzw. eine korrekte Gleichbehandlung aller. Ich erwarte von ihm auch ein Eintreten für die Meinungs- und Gewissensfreiheit – ein, wie er wohl sehr gut weiß, bedeutendes Gut in jeder Gesellschaft, erst recht in einer Demokratie. Und ich hoffe, dass er als Pfarrer nicht nur lernte zu verkündigen, sondern noch mehr zuzuhören.“

Erwin Kress, Vize-Präsident im Humanistischen Verband Deutschlands, sieht gegenüber Gaucks Aufstellung die Chance zur Wahl einer Frau ebenso vertan wie die Besetzung des Amtes mit einer Person, welche eine säkulare Gesellschaft sowie soziale Verantwortung fördert und „auf der Höhe der Zeit ist“. Das Volk bekomme jemanden, zu dem es aufschauen kann, so Kress unüberhörbar lakonisch. Und nicht zuletzt: „Für das christliche Weltbild ist gesorgt.“

Den Umfragewerten nach stehen diese kritischen Stimmen nun ziemlich allein da, jedenfalls parteipolitisch betrachtet. Der Linkspartei wird bei der kommenden Wahl nicht mehr als ein Achtungserfolg zugetraut, sollte sie eine eigene Kandidatin oder einen Kandidaten aufstellen. Die Interessen der säkularen und humanistischen Organisationen sind bei den im Bundestag vertretenen Parteien außerhalb der Linken schließlich wieder einmal deutlich sichtbar unter den Tisch gefallen: Liberal, links, konservativ und Pfarrer – diesen Prädikaten Joachim Gaucks konnte sich offenbar kaum jemand entziehen.

Zur Diskussion befragt, sagte Frieder Otto Wolf, Politikwissenschaftler und Vorsitzender des Koordinierungsrates säkularer Organisationen (KORSO), angesichts dieses Beweises parteipolitischer Irrelevanz von im KORSO vertretenen Positionen zur Debatte um das Staatsoberhaupt: „Wenn die Humanistinnen und Humanisten in diesen unterschiedlichen Parteien es hinkriegen würden, sich vernünftig zu organisieren, dann hätten sie überall eine Mehrheit.“

Arik Platzek