Notizen aus Wien

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Treppe in der Hofburg / Foto: hofburg-wien.at

WIEN. (hpd) Dass Joachim Gauck deutscher Bundespräsident werden soll, wird in Österreich nahezu einhellig begrüßt. Die deutsche Debatte um diese Entscheidung findet einfach nicht statt. Gleichzeitig wäre eine ähnliche Konstellation hierzulande undenkbar.

Für den gelernten Österreicher gilt die Bundesrepublik Deutschland bei der politischen Kultur meistens als Vorbild. Dass Christian Wulff zurückgetreten ist, tat angesichts der heimischen Korruptionsskandale gut. Wenigstens irgendwo gibt es noch politische Kultur. Wenigstens irgendwo nützt es einem nichts, wenn man dauernd verharmlost und nur die halbe Wahrheit sagt. Hierzulande muss man schon gefilmt werden, wenn man als aktiver Politiker Kunden verspricht, Gesetze in ihrem Interesse gegen eine Gage zu initiieren, damit man gehen muss. (Der betroffene Politiker sagt bis heute, er sei nur zum Schein auf das Angebot eingegangen, um seinerseits die aggressiven Lobbyisten zu überführen – die waren dummerweise Undercover-Journalisten.)

Dann kommt Gauck. Das ist für einen politisch interessierten Menschen ein Schlag in die Magengrube. Wenn man sich ein wenig über die Hintergründe informieren will. Was schwierig ist. Einzig die Tageszeitung „Der Standard“ hatte in den ersten Tagen einen kritischen Kommentar. Und der war ein Geschenk einer Berliner Zeitung. Kritik an Gauck? Findet hier nicht statt. Das ist doch der Superheld mit den Stasi-Akten. Dass er aktiver Pastor ist, wissen die Wenigsten. Und wenn, finden sie nichts dabei. Etwas dagegen zu haben, dass ein Geistlicher Staatsoberhaupt wird, wäre ein Berufsverbot. Das kann und darf doch nicht sein. Da mag man nicht mit der Trennung von Staat und Kirche kommen. Nebensächlich. Das tut weh.

In den deutschen Medien werden solche Bedenken wenigstens öffentlich artikuliert. Stern, taz, Spiegel – sie alle hatten kritische Kommentare zum neuen Präsidentschaftskandidaten. Das mag die Meinung bislang kaum beeinflusst haben. Aber immerhin. Österreichische Medien tun sich den Rechercheaufwand lieber nicht an und übernehmen, was der deutsche Mainstream schreibt. Auslandspolitische Berichterstattung mit Qualitätsanspruch. Zum Fürchten. Zu Joachim Gauck findet man Informationen mit relativ geringem Aufwand. Wie da die Verzerrung bei komplexeren Themen aussehen mag?

Gleichzeitig wäre eine ähnliche Konstellation in Österreich undenkbar. Nicht nur, dass der Bundespräsident hier vom Volk gewählt wird (was man allerdings auch problematisch sehen kann). Hierzulande schwingt bei Teilen der Bevölkerung die Erinnerung an Zeiten mit, in denen Kleriker maßgebliche politische Positionen innehatten. Prälat Ignaz Seipel war sogar mehrfach Bundeskanzler. Sein Vorgehen gegen die Arbeiterschaft brachte ihm den Spitznamen „Prälat ohne Milde“ ein. Sicher, auch hier hat eine Geistliche 1998 für das Präsidentschaftsamt kandidiert.

Allerdings hat Gertraud Knoll damals ihre Superintendentur zurückgelegt. Vor der Wahl. Außerdem: Ihr Antritt damals war von vornherein chancenlos. Gegen einen amtierenden Bundespräsidenten (damals Thomas Klestil) hat noch nie jemand gewonnen. Das ist eine andere Konstellation als heute bei Gauck. Der hatte schon beim ersten Mal theoretische Chancen. Es bedurfte eines Kraftakts Angela Merkels, Christian Wulff durchzusetzen.

Auch der konfessionelle Aspekt spielt hier eine Rolle: Protestanten stellen in Österreich keine fünf Prozent der Bevölkerung und waren immer schon in der Minderheitenposition. Protestantische Geistliche haben aus diesem Gesichtspunkt heraus so gut wie keine Chancen, in öffentliche Ämter gewählt zu werden. Und die katholische Kirche setzt in Europa ihre Vorgabe durch, dass Geistliche nirgendwo kandidieren dürfen. Einen zweiten Prälat Seipel wird es so bald nicht mehr geben.

Die einzige reelle Chance, ein öffentliches Mandat zu erringen, hätte vermutlich ein muslimischer Geistlicher in einem urbanen Ballungsgebiet. Und das nur auf kommunaler Ebene und nur, wenn sich einige besonders günstige Bedingungen erfüllen. Sprich: der richtige Bezirk, niedrige Wahlbeteiligung und wirklich bemerken darf die Kandidatur auch niemand. Sonst wird gegen sie mobilisiert. Aus richtigen, sprich: säkularen, Motiven und aus falschen, sprich: rassistischen. Darüber weiter zu spekulieren, erscheint müßig. Das kann man, wenn sich die Frage stellt. Das wird – hoffentlich – nicht so bald der Fall sein.

Ausgerechnet hier scheint Österreich, dessen politische Elite das Land großenteils weiter als erzkatholisch sieht, der Deutschland voraus zu sein. Gut für uns. Schlecht für Deutschland.

Christoph Baumgarten