Demokratietheorien

(hpd) Der Politikwissenschaftler Manfred G. Schmidt liefert nicht nur eine Einführung in klassische und moderne Ansätze, sondern thematisiert auch institutionelle Typen und Stärken und Schwächen der Demokratie. Ein überaus informativer und gut strukturierter Band, der fair und problemorientiert den einzelnen Theorien entsprechende Aufmerksamkeit schenkt.

Es gibt nicht nur eine, sondern viele Demokratieauffassungen. Dies gilt sowohl für die abstrakte Begründung wie für die institutionelle Umsetzung. Zu beidem liegt mittlerweile eine Fülle von Konzeptionen und Untersuchungen vor, wodurch man sehr schnell den Überblick verlieren kann. Eine Gesamtdarstellung zum Thema liefert der in Heidelberg lehrende Politikwissenschaftler Manfred G. Schmidt mit seinem schlicht „Demokratietheorien“ betitelten Werk. Es erschien erstmals 1995 und wurde immer wieder überarbeitet. Mit der fünften Auflage liegt eine voluminöse Einführung vor, welche sich in mehrfacher Hinsicht von anderen Bänden dieser Art unterscheidet: Schmidt geht sowohl auf empirische wie normative Demokratietheorien ein, beschränken sich doch die meisten anderen Gesamtdarstellungen auf den letztgenannten Aspekt. Er fragt darüber hinaus nach dem In- und Output von Demokratien, bezieht die vergleichende Demokratieforschung in die Darstellung mit ein und erörtert Schwächen und Stärken der Demokratietheorien.

So gliedert sich der Band in vier große Teile: Zunächst behandelt er die Vorläufer moderner Demokratietheorien, wobei es um Aristoteles’ Demokratieverständnis in seiner Staatsformenlehre, die Auffassungen von Hobbes bis Locke, Montesquieus Idee der „gemäßigten Demokratie“, Rousseaus Theorie der Volkssouveränität, die „Federalist Papers“ zur Zügelung der Demokratie, den Zielkonflikt von Freiheit und Gleichheit bei Tocqueville, die Theorie der Repräsentativdemokratie bei Mill und die instrumentelle Deutung der Demokratie bei Marx geht. Dem folgen Ausführungen zu den modernen Theorien, die im Unterschied zu den vorgenannten vom allgemeinen, freien und gleichen Wahlrecht ausgehen. Hierbei stehen Webers Theorie der plebiszitäre Führerdemokratie, Schumpeters Deutung der Demokratie als Markt, die ökonomische Theorie von Downs, die Demokratietheorien der Pluralisten, die Theorie der Sozialen Demokratie, beteiligungszentrierte, kritische und komplexe Demokratietheorien im Mittelpunkt des Interesses.

Danach richtet Schmidt den Blick auf empirisch-analytische Demokratietheorien im Lichte der vergleichenden Demokratieforschung und hierbei insbesondere auf die unterschiedlichen Typen: parlamentarische und präsidentielle Demokratie, Konkurrenz- und Konkordanzdemokratie, Mehrheitsdemokratie, Konsensdemokratie und Strukturen gemäßigter Demokratien, Direktdemokratie, parteistaatliche Demokratie im internationalen Vergleich, die Problematik von Messungen des Demokratie- und Autokratiegehalts von Staatsverfassungen, die Frage des Demokratiedefizits der Europäischen Union, Funktionsvoraussetzungen der Demokratie und Übergänge vom autokratischen Staat zur Demokratie. Schließlich erörtert der Autor noch Stärken und Schwächen der Demokratie und der Demokratietheorien bezogen auf Problemlösung und Problemerzeugung, Befunde des Demokratie-Autokratie-Vergleichs, die Demokratietheorien im Vergleich bezogen auf Kriterien und Ergebnisse und die Einschätzung der Zukunft der Demokratie.

Schmidts Band liefert nicht nur eine Fülle von gut belegten und systematisierten Sachinformationen. Er geht sein Thema auch aus unterschiedlicher Perspektive an, wodurch sich diese Einführung in die Demokratietheorien wohltuend von anderen Darstellungen unterscheidet. Der Autor verschweigt dabei nicht seine eigene Positionierung, die näher an den „empirischen“ oder „realistischen“ Demokratietheorien liegt. Dies führt aber keineswegs zu einseitigen Verzerrungen des präsentierten Inhalts.

Man muss nicht jede Einschätzung und Kritik teilen, gleichwohl wird beides differenziert und fair vorgetragen. So arbeitet Schmidt etwa sechs besonders kritische Stellen in Rousseaus Konstruktion des Gemeinwillens heraus oder betont die instrumentelle Deutung von Demokratie in der Theorie von Marx. Darüber hinaus vermeidet er eine unrealistische Idealisierung der Demokratie und thematisiert Übergangsbereiche zu autokratischen Systemen. Die gute Strukturierung des Stoffs macht die Arbeit darüber hinaus zu einem guten Nachschlagewerk.

Armin Pfahl-Traughber

 

Manfred G. Schmidt, Demokratietheorien. Eine Einführung, 5. Auflage, Wiesbaden 2010 (Verlag für Sozialwissenschaften), Wiesbaden 2010, 574 S.