Kultur – der Atem Europas

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Kultur Europas / Foto: Thomas Häntsch

MARIENBERG. (hpd) Das vereinte Europa ist sehr wohl proklamiert, doch die Atmung des Kolosses ist immer noch stockend und viele der vergangenen und aktuellen Therapien schlagen nicht oder nur sehr schlecht an. Es gibt aber positive Beispiele dafür, wie es im Ansatz gelingen kann.

Das moderne Europa, das Europa der vereinten Wirtschaften, der weggefallenen Staatsgrenzen mit all den positiven Auswirkungen für uns Menschen, ist erdacht und letztendlich auch geschaffen worden von Eliten, die Völker wurden mehr oder weniger hineinvereint.

Die Idee, einen Kontinent zu vereinen, ihn zu einem friedlichen Lebensraum nach außen und innen zu machen, ist keine Erfindung unserer Epoche. Nur die Voraussetzungen, die Mittel und die Ziele änderten sich im Laufe der Jahrhunderte.

Von Tragik der Geschichte, dem Versagen der Demokratie und Grundlage für den Neuanfang zugleich ist das 20. Jahrhundert in Europa gekennzeichnet. Zwei Weltkriege und die Teilung des Kontinentes in politische Machtblöcke, die sich 40 Jahre in Unfrieden und Misstrauen gegenüberstanden standen, waren bezeichnend für ein dunkles europäisches Kapitel. Europa war seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge ein rein westliches Bündnis, stark genug, um in Gemeinschaft dem östlichen Staatenbund, der eher einem sowjetischen Gefängnis glich, Paroli zu bieten.

Erst mit den Veränderungen in der UdSSR öffnete sich ein Tor, das einen Blick auf ein geeintes Europa gewährte. Die Wörter Perestroika und Glasnost sind inzwischen die wohl bekanntesten Wörter der Russischen Sprache.

Seit 1990 nahm Europa Fahrt auf. Europa wuchs und wuchs und veränderte sich immer mehr vom Wirtschaftsgebiet zum allseits ausgerichteten Staatenverbund.

Heute wird uns bewusst, dass das Tempo bei der Erweiterung der EU einer Raserei mit schlimmen Folgen ähnelt. Die Krisenherde breiten sich wie Furunkel über den Kontinent aus und betrachtet man die zunehmende Kleinstaaterei in Teilen Osteuropas, dann fragt sich der gesunde Menschenverstand, wie diese Zwergstaaten in der EU bestehen wollen? Sind sie die kommenden Patienten am Tropf?

Europa stöhnt unter all diesen Lasten, es ist krank und lahmt. Und trotzdem lebt es zuweilen ganz munter und voller Heiterkeit. Dass dem so ist, dafür sorgen viele kleine Einrichtungen, die Großes leisten.

Eines dieser „Therapiezentren“ ist die Villa Baldauf. Weit weg vom Brüsseler Europa–Krankenlager lebt man inmitten des Erzgebirges ganz selbstverständlich das vereinigte Europa. Bei einem literarisch-musikalischen Abend unter dem Titel: „Musik trifft Literatur“ lasen und spielten Schriftsteller und Musiker aus Deutschland und dem benachbarten Tschechien. Man hatte nicht den Eindruck, dass sich im Saal der fast 100 Jahre alten Villa Künstler aus verschiedenen Ländern trafen, obwohl es immer kleine Sprachhindernisse gab. Es wurde vielmehr klar, dass sich Menschen aus einem Kulturraum zusammengefunden hatten – einem europäischen. Die Veranstaltung ist bei Weitem keine Eintagsfliege sondern gelebter Alltag. Im Internetportal „Erzgebirgsautoren“ findet man Autoren aus Tschechien und Deutschland, die nichts anderes verkörpern als das Erzgebirge – ein Mittelgebirge in Europa.

Einzig und allein die Sprache stellt ein gewisses Hindernis bei der Zusammenarbeit dar, doch scheint auch das kein großes Problem zu sein, glaubt man der Leiterin der Kultur-Villa, Constanze Ulbricht, die sinngemäß sagte. „Ich habe bei einer Lesung in Most zwar den Text der vorgetragenen Gedichte nicht ins Deutsche übersetzen können, verstanden habe ich es trotzdem.“

Europa verstehen, die Einheit zu leben, ohne multilingual zu sein?

Das, so wird an diesem Beispiel klar, schaffen eher ein paar Menschen auf einer kleinen Bühne als hunderte von Bürokraten in den modernen Schaltzentralen in Brüssel.

Thomas Häntsch