Antisemitismus mit dem Hakenkreuz

(hpd) Der in der DDR als Faschismusforscher bekannt gewordene Kurt Pätzold legt Artikel und Aufsätze zur Deutung von Judenverfolgung und –vernichtung aus marxistisch-leninistischer Sicht vor. Auch wenn die gesellschaftlichen Bedingungsfaktoren allzu dogmatisch aus „Imperialismus“ und „Kapitalismus“ abgeleitet werden, verdienen kritische Hinweise auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen durchaus Interesse.

In der DDR spielte die öffentliche Erinnerung und wissenschaftliche Forschung zur Judenverfolgung und Judenvernichtung im „Dritten Reich“ nur eine geringe Rolle: Nicht die Juden, sondern die Kommunisten galten als die eigentlichen Opfern des „Hitler-Faschismus“. Darüber hinaus konnte der Holocaust auch nicht so einfach mit der starren Ideologie des Marxismus-Leninismus erklärt werden. Nicht nur in der DDR, sondern auch in anderen Ländern legten Historiker mit entsprechender politischer und wissenschaftlicher Ausrichtung allenfalls wenige einzelne Aufsätze, aber keine breiter angelegten Gesamtdarstellungen zum Thema vor. Einen solchen Anspruch kann auch nicht der Band „Wahn und Kalkül. Der Antisemitismus mit dem Hakenkreuz“ von Kurt Pätzold erheben. Der Historiker gehörte vor 1990 zu den bekanntesten DDR-Forschern zum Faschismus und legte einschlägige Publikationen vor. In dem genannten Buch finden sich nun Artikel und Aufsätze, die bereits an anderen Orten erschienen, zu einem eigenständigen Werk zusammengefasst.

Die Texte gliedern sich entlang der inhaltlichen Ausrichtung auf die Fragen „Was geschah?“ und „Warum geschah das?“. In den ersten beiden größeren Teilen findet man Beiträge zur Entwicklung „Vom Boykott zum Pogrom“ bis zum „Völkermord“. Darin behandelt Pätzold die Hetze des braunen Mobs auf der Straße und die Nürnberger Gesetze, die Reichspogromnacht und die ersten Massenmorde zu Beginn des Krieges, die Markierung mit dem „Judenstern“ und die Wannsee-Konferenz. Ein besonderer Beitrag geht auf die juristischen und wissenschaftlichen Verdienste des Nürnberger Tribunals bei der Aufarbeitung und Dokumentation von Judenverfolgung und –vernichtung ein. Durch all diese Beiträge zieht sich als inhaltliche Botschaft, es solle nicht nur die ideologische, sondern auch die materielle Komponente der antijüdischen Politik beachtet werden. Insofern seien bezogen auf die Kriegs- und Machtpolitik auch wieder die Begriffe „Imperialismus“ und „Kapitalismus“ stärker in die Erklärung der Ereignisse einzubeziehen.

Das letzte Kapitel ist mit „Die Frage nach dem Warum“ überschrieben. Hierbei geht es neben Betrachtungen zu Goldhagens Buch und zum früheren Historikerstreit hauptsächlich um die Problematik einer Erklärung des Massenmordes an den Juden. Pätzold kritisiert, bezogen auf die unterschiedlichsten Repräsentanten der deutschen Geschichtswissenschaft, die Neigung, sich mit dem Hinweis auf die Besonderheiten der Grausamkeit der Verbrechen dem Bemühen um eine Erklärung zugunsten metaphysischer Deutungen zu entziehen. Demgegenüber plädiert der Autor für eine stärkere Verkopplung von antisemitischer Ideologie und antisemitischen Handlungen, wobei er die Notwendigkeit einer kritischen Betrachtung der Entwicklung des Kapitalismus betont: „Wahn und Kalkül brachten das Massenmorden hervor, beide gewachsen auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft.“ Und weiter: „Der Zusammenhang von Judenmord und realen politischen und ökonomischen Interessen ist nicht aus der Geschichte einzelner Konzerne zu erschließen ...“ (S. 152).

Mit dem Hinweis, der Kapitalismus habe keineswegs ein „absolutes Interesse an der Erhaltung von arbeitsfähigen Menschen“ (S. 208), sieht Pätzold dann letztendlich in der entsprechenden ökonomischen Verfasstheit die gesellschaftliche Ursache für die Massenmorde in der historisch-politischen Kontinuität des Imperialismus. Dies postuliert er gleichwohl nur in allgemeiner Form, ohne einschlägige Forschung selbst vorzunehmen oder auf sie zu verweisen. Hier zeigt sich der Autor einem klassischen marxistisch-leninistischen Basis-Überbau-Dogmatismus verhaftet. An den relevanten historischen Belegen fehlt es dafür aber nicht nur bei ihm. Gleichwohl kann man Pätzolds Deutungen in zweierlei Hinsicht durchaus etwas abgewinnen: Erstens hatten sowohl Antisemitismus wie Judenvernichtung auch immer materielle Profiteure, was in der Forschung in der Tat nicht genügend berücksichtigt wird. Und zweitens macht die diffus-metaphysische Rede von einem „Zivilisationsbruch“ aus dem Holocaust ein nicht mehr analysierbares Ereignis.

Armin Pfahl-Traughber

Kurt Pätzold, Wahn und Kalkül. Der Antisemitismus mit dem Hakenkreuz, Köln 2012 (PapyRossa-Verlag), 246 S., 15,90 €