Kredit, ursprünglich nur Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldnern, erwirbt auf der Basis neuer Eigentumsverhältnisse gestalterische Kräfte auch über die Produktion, er wird selbst zu einem Verhältnis der Produktion. Der Zins ist dann nicht mehr kaufmännischer, aus der reinen Geldzirkulation herausdestillierter bzw. erpresster Wucherzins, er wird zu einem eigenständigen Produkt der Produktion. Das Geld bekommt somit einen speziellen Nutzen: es kann, klug in der Produktion eingesetzt, scheinbar selbstständig Wert schaffen. Damit bekommt es die Qualität einer vollwertigen, eigenständigen Ware, die Reichtum produziert. Wohl gemerkt: Der Zinsmechanismus ist eine unentbehrliche Bedingung für jede Art von Warenproduktion. Nicht der Kredit an sich führt zu den bekannten Verwerfungen, sondern der Kredit gebunden an spezifische Produktionsbedingungen.
Der Haken an der Geschichte ist eben, dass diese neue Art des Geldes mit einem Schein behaftet ist. Dieser kann sich zwar spätestens dann auflösen, wenn diese angebliche Ware in Erfüllung ihres eigenen Wesens zu sog. staatlichem Kreditgeld mutiert ist und die Form von virtuellen Symbolen auf Bildschirmen annimmt. Dann begreift selbst der echte Doofie, dass man mit dieser Ware im wirklichen Leben nichts anstellen kann, dass, ähnlich wie beim im Garten verbuddelten Schatz, daraus kein Reichtum wächst. Trotzdem wirkt der Schein generell verhaltensbestimmend. Das Mysterium wird zu realem Leben, weil der Schein, der hinter den Geldscheinen steckt, kein Bühnenspiel mit amüsanten Zauberstücken ist, sondern adäquat den grundlegenden Schein widerspiegelt, den die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen den Akteuren der Produktion wie auch denen der Konsumtion hervorrufen.
Das entwickelte Kreditsystem vermittelt den Eindruck, dass die als Gläubiger wie als Schuldner (und in der Regel in beiden Positionen) in dieses System Integrierten mittels des Kredits frei über ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheiden können, dass sie also als Eigentümer daran partizipieren. In Wirklichkeit sind sie gerade durch diesen Typus der Verhältnisse stabil an die ständige Wiederholung und Erweiterung der gegebenen Art und Weise der Produktion gebunden. Das Kreditgeld ist dabei nur das formale Instrument, wie auch die symbolische Vorstellung dieses Wirtschaftssystems; es dient zur Reproduktion dieser seiner grundlegenden Eigenschaften. Ohne die privaten Eigentumsstrukturen der Produktion und ohne die deren bornierter Logik folgenden Kreditverhältnisse keine verblödenden Scheincharaktere in der Zirkulation. Die neue Qualität des Geldes als Kreditgeld entsteht aus seiner Aufgabe, die Akteure in Produktion und Konsumtion unablässig anzutreiben, ihren ökonomischen Pflichten nachzukommen. Dazu braucht es in der Moderne nicht mehr Kerker und Peitsche. Es genügt das Symbol des ökonomischen Zwanges, um die lebenslängliche Einbindung in die herrschenden Verhältnisse zu gewährleisten.
Soweit zur ökonomischen Vorgeschichte der heute wahrzunehmenden flächendeckenden Doofheit. Im Rahmen der widersprüchlichen Entwicklung dieses Systems musste sich die Kreditregulierung dann zwangsläufig auf sämtliche Bereiche der Gesellschaft ausdehnen. Auch die private und gesellschaftliche Konsumtion wird heute so gut wie ausnahmslos über Kredit geregelt. So wie von Schmidt-Salomon mehrfach angemerkt, liegt hier, wegen der enormen Bedeutung der Konsumtion für die Gestaltung des soziokulturellen Lebens der Bevölkerung und der Reproduktionsbedingungen von Natur und Ressourcen, einer der wichtigsten Zugänge zum Begreifen, aber auch zur Bekämpfung der Doofheit. Geeignet, unsere Evaluationskriterien zum Ausmaß der gesellschaftlichen Verdummung anzuwenden. Die weiterführende Logik dieser Herangehensweise würde uns zu der Aufdeckung der Wurzeln und des Mechanismus der systemischen Verblödung und der entsprechenden Verhaltensweisen führen. Sie wäre sehr hilfreich im Kampf gegen verblödende Theorien in Wissenschaft und Medien, sowohl die des BWL-trächtigen Mainstreams als auch die scheinbaren Alternativen wie z.B. die kredit- und zinsnegierenden Theorie Silvio Gesells.
Gegen eine Gesellschaft der Doofheit
Im Kampf gegen die Doofheit ist natürlich auch die Taktik wichtig. Zunächst gilt es, den Feind genau, aber systemisch global anzuvisieren. Klar ist, dass die Wirtschaft analytischer Ausgangspunkt der Schlacht sein muss. Klar ist aber auch, dass dabei zu berücksichtigen ist, dass es den ökonomisch und vor allem finanzökonomisch grundierten metaphysischen Scheinvorstellungen nur im Kontext mit den Scheincharakteren und Symbolen anderer Wahnwelten gelingen konnte, diese als treffende Abbildungen der eigenen Lebensformen und -ziele glaubhaft zu präsentieren. Und da offensichtlich diese Scheinwelten für die meisten Bereiche des heutigen Lebens verbindlich sind, eignen sie sich als universelles Bild der Welt, sozusagen als Anleitung, die Welt anzuschauen.
Das kommt uns als Religionskritikern sehr bekannt vor – dies ist doch die Basis jeden Glaubens und der Methodik der Religionskritik. Es bleibt dann noch, die institutionellen Träger dieses Glaubens zu identifizieren. Da sollten wir ganz ähnlich wie bei den Kirchen nachschauen, wer denn die Regeln und Prinzipien dieser normativen Wirtschaftswelt festschreibt und die Lebenswelt diesen Dogmen unterstellt. Für den Kernbereich Ökoidiotie sind die religiösen Hauptschuldigen an dieser Ideologisierung mühelos aufzufinden: Die mit den Medien paktierenden Zünfte der Wirtschaftsbosse, ihrer Verbandsfunktionäre, der selbst ernannten Ökonomieexperten und der Professoren an den SoWi-Fakultäten. Sie propagieren, ungeachtet der Realitäten und fern jeder Selbstbefragung, weiter die Scheinvorstellungen von der unsichtbaren Hand, vom automatischen Marktgleichgewicht, vom allinformierten, rationell handelnden Homo oeconomicus etc. Damit manipulieren sie wie die Pfarrer die Zukunfts- und Vergangenheitsinterpretation der Menschheit. Sie bedienen sich sogar kultischer Geheimsprachen, um als Hohepriester mit dem ordnenden Wesen zu kommunizieren (Ökonometrie, Soziologie-Chinesisch).
Dass wir als Atheisten und Humanisten berechtigt und verpflichtet sind, auch gegen diese Variante des Dunkelmännertums anzutreten, ergibt sich aus dessen strategischen Zielen. Die Analogien zur Religion sind offensichtlich. Auch die gesellschaftliche Doofheit versucht, die Adepten ihrer Scheinwelt zu Objekten eines geheiligten Systems zu degradieren. So wird mit der Totalisierung der Kreditbeziehungen eine hierarchische Unterordnung unter das angeblich nicht zu hinterfragende, also heilige Ziel eines ungebremsten und unaufhörlichen Wachstums erreicht. Dabei spielen „moderne“ Schuld- und Sühnevorstellungen ebenso eine Rolle wie die Anpreisung der Verlockungen des Konsumparadieses: das Paradies der glückseligen Doofies! Und für alle Fälle zeigt auch die Inquisition vorsorgend ihre Instrumente – die profanen Sanktionsorgane des Kredits, von der Schufa über den Gerichtsvollzieher bis zu der auf die Griechen losgelassenen Troika.
Der Blick auf die religiösen Charakterzüge dieses Verblödungsprozesses sollte geschärft werden. Im Grunde genommen wirft der Ansatz von Schmidt-Salomon nachdrücklich die Frage auf, ob die heutige Produktions- und Lebensweise nicht zur Religion geworden ist. Eine Religion zwar (noch?) ohne Bezug zu übernatürlichen Wesen, aber im Wesen doch eine Religion, eine säkulare Religion eben. Dann aber müsste der Kampf für die Prinzipien der Säkularität, der atheistische und humanistische Widerstand gegen gesellschaftliche Verblödung noch mehr als bisher einen auf die gesellschaftliche Entwicklung als Ganze gerichteten Charakter annehmen. Darüber wird zu reden sein.
Rudolf Mondelaers und Wolfgang Hahn