Die Doofen – zwischen Macht und Ohnmacht

Bleibt das Problem, wo die Grenze zwischen rationalem und doofem Verhalten zu ziehen ist? Was aus der einen systemischen Sicht nach doof aussieht, erscheint rational aus anderem Blickwinkel. Was sind die objektiven Prüfkriterien? Offensichtlich können es nicht die ideologischen Werte der vielen religiösen und weltanschaulichen Systeme sein, weil diese sich konträr zueinander verhaltenden Entwicklungsziele und Verhaltensweisen implizieren. Auch die Wissenschaft hat nur ein unsicheres Prüffeld anzubieten, eben weil Wissenschaft bedeutet, ihre eigenen Erkenntnisse ständig zu hinterfragen. Bleibt somit für die Evaluierung von dummen oder schlauen menschlichen Verhaltensweisen nur, die jeweils fasslichen wissenschaftlichen Aussagen zu den Wirkungen von Verhalten auf die Reproduktion des gesellschaftlichen Systems heranzuziehen. Diese Wirkungen in Bezug gesetzt sowohl zu

  • den simplen logisch und historisch (heutigen und zukünftigen) bedingten soziokulturellen Lebensbedingungen, als auch zu
  • den simplen logisch und historisch (heutigen und zukünftigen) bedingten natürlichen Existenzbedingungen der Welt.

Beides zusammengedacht brächte uns in die Lage, Auskünfte über den Grad der Dummheit menschlichen Verhaltens zu liefern.

Außerdem unterliegt Doofsein, wie das meiste in der Menschenwelt, Verteilungsmodalitäten. Differenzierung ist angesagt. Nicht ausnahmslos alle sind hoffnungslos einfältig und beschränkt, wie die eindimensionale Erklärung für doof bei Duden lautet. Befallen sind Individuen und Gruppen, die, bedingt durch ihre soziokulturelle Lage (Position und Funktion) im jeweiligen System, meist durchaus rational, d.h. aber zugunsten der Reproduktion des jeweiligen Systems handeln. Ist dieses System jedoch in prinzipiellen Gegensatz zu den allgemeinen sozialen und natürlichen Lebensbedingungen geraten, dann ist das scheinbar rationale Verhalten zugleich als Doofheit „auf gehobenem Niveau“ zu qualifizieren. Das vollzieht sich unbewusst, verursacht durch die systembedingten Schwierigkeiten, Signale drohender Gefahren zu verstehen bzw. überhaupt zu empfangen.

Wie Ökonomidiotie produziert wird

Im Kampf gegen die Doofheit kommt es daher darauf an, die systemischen gesellschaftlichen Ursachen für diese massenhaft auftretenden Verständigungsschwierigkeiten besser auszuleuchten. Das im Rahmen einer öffentlichen Debatte würde die Möglichkeit eröffnen, „dass der Unsinn, den man formuliert hat (als Gefangene der kulturellen Matrix, in die wir hineinsozialisiert wurden), von Anderen, die weiter sehen, widerlegt werden kann.“(S.109)

Dazu ist noch vertiefende Forschung zu leisten. Um Richtungen anzudeuten, skizzieren wir hier einige denkbare Ergänzungen zu tragenden Passagen im 3. Kapitel der Schrift von Schmidt-Salomon. Es ist von verschiedenen Rezensenten als wichtigstes des Buches betrachtet, nicht nur weil „es (…) kaum ein Gebiet (gibt), auf dem sich menschliche Schwarmdoofheit so offenkundig manifestiert wie auf dem Gebiet der Ökonomie“, sondern auch und vor allem, weil „viele andere - vor allem auch soziale – Fragen, (…) sich nur verstehen (lassen), wenn die Ökonomidiotie begriffen wird.“.

Von Schmidt-Salomon werden hier die Fragen der Verteilung und ihrer Vermittlung durch das Geld ins Zentrum gesetzt. Ökologiotie, soziale Notlagen und Ungleichheiten, Krisen und sonstige Mängel der heutigen Welt lassen sich nach ihm ursächlich auf die Geldzirkulation zurückführen. Dass sich so gut wie alle idiotischen und kriminellen Verhaltensweisen des Homo oeconomicus in der Tat zunächst auf seine Beziehung zum Geld zurückführen lassen, wird jedem Konsumenten der Massenmedien tagtäglich vor Augen geführt. Spätestens hier ist dann aber zu fragen, wieso dieses Stück Metall oder Papier solch eine Macht ausüben kann?

Schmidt-Salomon sucht die Antwort im historischen Prozess der Verwandlung des Geldes von einem Mittel zur Vermittlung des simplen Austausches der Waren (Geld als Tauschmittel) zu einer eigenständigen Ware (Geld wird selbst zu einer Ware). Die in seinem Text dargestellten Erscheinungsformen der monetären Regulierungsidiotie sind illustrativ für diese These. Sie beantworten jedoch noch nicht die Fragen nach dem Warum dieser Verwandlung, wieso also das Geld zur meist nachgefragten Ware werden konnte und wie es möglich ist, dass ihre virtuelle Vorstellung durch ein Stückchen Papier, eine Plastikkarte oder auch nur ein virtuelles Zeichen im Internet Massen bewegen kann.

Dazu ist zu untersuchen, welche Veränderungen im ursprünglichen gesellschaftlichen System dem Geld zu dieser neuen Qualität verhalfen. Schmidt-Salomon wird indirekt fündig, indem er dafür die Zinsträchtigkeit dieses „neuen“ Geldes für zuständig erklärt. Und in der Tat, der Zins ist für die Ausbreitung der Doofheit ein springender Punkt. Kredit gab es zwar bereits seit den frühen, unentwickelten Formen der Warenproduktion und er war immer und bleibt sicher auch künftig ein notwendiges, rationelles Instrument. Der Kredit führt inzwischen jedoch zu den von Schmidt-Salomon dargestellten, heutzutage existenziellen Verwerfungen. Das muss der geschichtlichen Ablösung der einfachen Warenproduktion und -zirkulation durch neuartige gesellschaftliche Rahmenbedingungen geschuldet sein.