ZÜRICH. (hpd) Nicht der Team- oder Sportsgeist, sondern die Götter sollen künftig im geplanten Neubau des Züricher Fußballstadions beschworen werden können. Fußballvernarrte Pfarrer jubeln, Kritik am geplanten Andachtsraum üben dagegen die Schweizer Freidenker. Sie befürworten höchstens ein Konzept, das „keinesfalls Wirkraum von Religionsvertretern“ ist.
Für rund 130 Millionen Schweizer Franken, umgerechnet etwa 108 Millionen Euro, wollen sich die Schweizer in der größten Stadt des Landes den Neubau eines Fußballstadions leisten, das bis zu 19.000 Zuschauern Platz bieten soll. „Erwartet wird ein städtebaulicher Akzent an diesem Einfallstor in Zürich-West“, so die Ausschreibung.
Ein baulicher Akzent soll offenbar auch im künftigen Stadion selbst gesetzt werden. Denn wie die Schweizer Tageszeitung Blick am letzten Sonntag berichtete, ist die Errichtung einer „Stadionkirche“ im Bauprogramm vorgesehen. Die Schweizer Freidenker sehen im Vorhaben ein Einfallstor der Religionsvertreter und kritisieren die Pläne.
Mit rund 120 Quadratmetern werde der laut Baubehörde sogenannte „Raum der Stille“ großzügig dimensioniert und zentral gelegen sein, damit die Fußballspieler sich nicht mehr in der Kabine innerlich auf das Spiel vorbereiten müssen, sondern dort in sich kehren können – genauso wie solche Fußballfans, die vor und nach dem Anpfiff einen Gebets- und Meditationsbedarf besitzen.
Befürworter des Projekts loben den Einfall und meinen, die Stadionkirche könne das teils weitverbreite Problem mit gewaltbereiten Zuschauern lösen. „Vielleicht kommt mit dem Andachtsraum ein neuer Geist in die Fußballstadien und es entstehen weniger Probleme mit den Hooligans“, so Ancillo Canepa, Präsident des FC Zürich.
Begeistert äußerte sich Christoph Sigrist, Priester und Fußballfan gegenüber dem Blick zum Plan: „Ich finde diese Idee einer Stadionkapelle sehr gut. Die Kirche muss dort präsent sein, wo die Menschen sind und sich versammeln. Sport ist getränkt mit Spiritualität. Deshalb sind Fußballkapellen nötig.“
Starke Skepsis gegenüber dem Vorhaben ist dagegen bei der Schweizer Freidenkervereinigung zu finden. Dort sieht man im geplanten Andachtsraum ein Projekt, das sich vor allem die hiesigen Religionsvertreter zu Nutze machen werden. Die Pläne, „im geplanten Hardturm-Stadion mit Staatsgeldern eine Kirche zu errichten“, kritisierte deshalb Andreas Kyriacou, Präsident der Schweizer Freidenker Zürich.
„Solche Grenzüberschreitungen erwartet man von einer Theokratie, nicht aber von einer Stadt, in der die Hälfte der Einwohner nach amtlichen Angaben keiner Konfession angehört und nicht in einem Staat, in dem zwei Drittel der Bevölkerung zu Religion auf Distanz gehen“, ärgert sich Kyriacou.
Das Vorhaben sei eine „absurde Idee“, denn die „öffentliche Finanzierung eines Sakralbaus ist mit dem Gebot der religiösen Neutralität des Staates nicht in Einklang zu bringen.“ Vorstellen könnte man sich für den Neubau höchstens einen Ort, der ohne konfessionelle Vereinnahmung auskommt. Kyriacou: „Ein solcher sollte aber keinesfalls Wirkraum von Religionsvertretern sein, nicht zuletzt weil – wie uns die Geschichte und Gegenwart immer wieder lehren – das Schlichten von Konflikten definitiv nicht zur Kernkompetenz von Religionsgemeinschaften gehört.“
Ob also die Gebete im Andachtsraum des künftigen Stadiums ein effektives Mittel werden, um Fanatismus oder Gewaltbereitschaft unter den Fans zu verhindern, ist umstritten.
Gute Gründe zur Sorge haben die Schweizer Freidenker jedenfalls genug. Denn trotz Missbrauchsskandalen und Vertuschung: Im Kanton Zürich stellt der Katholizismus die größte Religionsgruppe und sieht sich im Aufschwung. Gegenüber 2010 stieg die Zahl der Mitglieder von 387.678 auf 389.177, berichtete die Schweizer Sonntagszeitung Der Sonntag Anfang April. Der in Zürich erscheinende Tages-Anzeiger zitierte aus diesem Anlass den katholischen Synodalrat, welcher bereits auch die Übernahme von Gotteshäusern reformierter Gemeinden andenkt.
Arik Platzek