GERMERING. (hpd) Ohne Religion und ohne religiöse Praxis gibt es kein Menschsein – Unter anderem das erklärte im Mai der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck vor Offizieren der Bundeswehr im französischen Lourdes. Es hagelte Anzeigen wegen der Rede. Einer der Anzeigensteller spricht nun über seinen Blick auf Overbeck und die Truppe.
Eigentlich sollte selbstverständlich sein, dass bei vom deutschen Staat bezahlten Amtsträgern die Diffamierung nichtreligiöser Menschen nicht zu den beruflichen Aufgaben gehört.
Daher erklärte auch der Vorstand der Giordano-Bruno-Stiftung in einer Stellungnahme gegenüber Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière: Mit der staatlich garantierten Religionsfreiheit könnten die Entgleisungen des Militärbischofs nicht legitimiert werden. Der Minister müsse handeln, schon mit Blick auf den großen Anteil konfessionsfreier Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr.
Konfessionsfreie Beobachter reagierten entsetzt auf den Vorfall, der Kölner Psychologe Frank Hichert forderte die grundsätzliche Ablösung der Armee-Priester. Und bei schriftlicher Kritik oder Appellen blieb es nicht: ein Reserveoffizier verweigerte als Reaktion auf das Ereignis nachträglich den Wehrdienst. Insgesamt drei Strafanzeigen gegen Franz-Josef Overbeck gab es bis Ende Mai.
Heinrich Klussmann ist einer der Anzeigensteller. Der Internist im Ruhestand lebt in Germering nahe der bayerischen Landeshauptstadt München. Im Interview spricht er über die Motive für seine Anzeige und seine Erwartungen an die Behebung der Missstände.
hpd: Herr Dr. Klussmann, Sie hatten eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung gegen den katholischen Militärbischof und Bischof von Essen, Franz-Josef Overbeck, erstattet. Erwarten Sie wirklich, dass die Anzeige auch Konsequenzen nach sich ziehen wird?
Dr. Heinrich Klussmann: Eine Reaktion erwarte ich auf jeden Fall. Doch wahrscheinlich wird es nicht zu einer Bestrafung, sondern wieder zu einer Ausrede kommen. Vielleicht kann man damit dann in der Öffentlichkeit etwas anfangen.
War das eigentlich das erste Mal, dass Sie wegen solcher Vorfälle aktiv geworden sind?
Ich habe schon einmal eine Anzeige gegen die Piusbrüder bei der Bundesanwaltschaft erstattet. Die hatten in einem 18-seitigen Brief an alle deutschen Bischöfe – der offen im Internet stand – neben vielen verfassungsfeindlichen Passagen geschrieben, dass auch alle heutigen Juden weiter eine Mitschuld an der Kreuzigung Jesu tragen würden. Nach einigem Hin und Her hieß es schließlich, diese Behauptung falle unter die Religionsfreiheit!
Dass die letzte Rede des Bischofs Overbeck in das Internet geraten ist, war vielleicht nur ein Versehen, das den Beteiligten nicht noch einmal unterläuft.
Das ist vom Bischof gewollt in die Öffentlichkeit gekommen. Das gehört zum katholischen Selbstverständnis. Da ist das keine Diffamierung, sondern einfache Wahrheit. Wegen ihrer Sonderrechte nehmen die Herren unsere Gesetze ohnehin nicht so ernst. Außerdem vertrauen sie auf den Schutz durch unsere Regierung. Die Bundesrichter werden von den Parteien gewählt, da kommen nur „fromme“ hin. Und im Zweifel ist das wieder Religionsfreiheit!
Glauben Sie denn, dass hinter solchen Reden des Bischofs eine bestimmte Absicht steckt?
Der Bischof hat mit seiner Rede sicher eine Absicht verbunden. Er wollte den Generälen klar machen, dass sie religiöse Soldaten bevorzugen sollen, besonders bei Beförderungen. Wahrscheinlich träumt Herr Overbeck von einem katholischen, zumindest christlichen Offizierskorps, oder zumindest einem christlichen Kader. Das ist seine Aufgabe. Jeder katholische Bischof vertritt immer zuerst die Interessen des Papstes, denn der schickt ihn und dem hat er Gehorsam geschworen. Er ist nicht der religiöse Vertreter der Soldaten, sondern zuerst der Vertreter des Papstes bei den Soldaten.
Und konnten Sie sich denn erklären, warum die anwesenden Bundesoffiziere überhaupt nicht auf die grotesken Ausführungen des Bischofs reagiert haben? Offiziell heißt es, die Angehörigen der Bundeswehr sollten zuerst Staatsbürger in Uniform sein. Halten Sie es für normal, dass Staatsbürger in Uniform zu solchen Reden applaudieren?
Entweder haben die Generäle und Admiräle nicht so schnell begriffen, was sie da gehört haben, oder sie gehören zu einem harten Kern katholischer Offiziere. Beides spricht nicht für ihre Qualität. Beifall aus Höflichkeit darf es bei so krassen Behauptungen einfach nicht geben. Unter „Staatsbürgern in Uniform“ stelle ich mir jedenfalls etwas anderes vor. Ist es mangelnde Intelligenz oder mangelnder Charakter? Diese Offiziere machen mir jedenfalls Angst.
Wie meinen Sie das, was für Offiziere sind das, die Ihnen Angst machen?
Offiziere, die ohne Nachzudenken Beifall klatschen, selbst wenn man soeben ihre Soldaten und Kameraden beschimpft hat. Offiziere, die Bücklinge vor Ideologen machen. So etwas hatten wir schon mal. Eigentlich ist mit wenigen Ausnahmen die ganze Geschichte voll von solchen Personen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde bei dem Neuaufbau der Bundeswehr ein neues Leitbild für die Bundeswehrangehörigen kreiert, der „Staatsbürger in Uniform“ mit dem Recht auf Ungehorsam aus Gewissensgründen. Denn Offiziere, die kritiklos jeden Befehl von oben ausführen, sind potentielle Verbrecher. Mit kritiklosem Beifall für Vorgesetzte und Höherstehende fängt es immer an. Und dass der Bischof hier eine Spaltung der Bundeswehr angestiftet hat, haben die Herren anscheinend auch nicht begriffen. Dabei halten sie sich für die Elite.
Wussten Sie eigentlich, dass der Bischof auch für den Lebenskundlichen Unterricht zur berufsethischen Orientierung für die Soldatinnen und Soldaten zuständig ist und falls ja, was denken Sie darüber?
Ja, das habe ich inzwischen gelernt. Ich halte es für eine große Schweinerei. Es besteht die Gefahr, dass die kritischen Soldaten bei ihren Vorgesetzten angeschwärzt werden und Beförderungen hintertrieben werden. Es ist auch damit zu rechnen, dass durch den Bischof wieder die falschen Ideale den Soldaten untergejubelt werden.
Welche Art von falschen Idealen sehen Sie, die hier eine Rolle für die Bundeswehr spielen?
Zum Beispiel das große Vorbild Moses. Der legt seine 10 Gebote – mitsamt dem Gebot „Du sollst nicht töten!“ – nach seiner Rückkehr vom Sinai sofort zur Seite und schlägt erst einmal alle Andersdenken tot. Seine eigenen Landsleute! Oder bei Abraham. Der auf Befehl „von Oben“ bereit ist, seinen eigenen Sohn zu erschlagen! Ja, da ist man am Ende doch glücklich, wenn man „nur“ den Sohn des Nachbarn erschlagen soll. Und dann tut man das auch gerne, bevor sich „der da Oben“ das anders überlegt.
Welche Alternative sehen Sie denn zu biblisch geprägten Moralvorstellungen, wie sie die Bischöfe vertreten?
Schillers Wilhelm Tell kommt in eine ähnliche Situation. Der rächt sich dafür und erschießt den Herrn „da oben“, den Landvogt. Das sollte das Vorbild für unsere Soldaten sein! Nicht der Bischof und die Bibel, sondern Friedrich Schiller und Wilhelm Tell.
Kann die Präsenz von Militärbischöfen in Ihren Augen heute überhaupt noch eine Legitimation haben?
Den katholischen und protestantischen Soldaten sei für ihre Seelennöte ein Pfarrer oder Bischof gegönnt. Den dürfte meinetwegen sogar der Staat bezahlen als Fürsorge für seine Soldaten. Schließlich müssen die oft fürchterliche Dinge tun. Aber Pfarrer natürlich nur auf Wunsch jedes einzelnen Soldaten. Freigeister haben aber das Recht, von solchen Menschen unbehelligt zu bleiben!
In den USA arbeiten die nichtreligiösen Truppenangehörigen daran, dass es neben den Geistlichen in der Armee auch humanistische Berater gibt, die sich adäquat um die Bedürfnisse der nichtreligiösen Soldatinnen und Soldaten kümmern können. Etwa, wenn es um Beziehungsfragen oder vergleichbare Themen betrifft, wo für Armeeangehörige besondere Umstände vorhanden sein können. Was halten Sie von dem Ansatz?
Religionsfreie, humanistische Psychologen könnte ich mir auch für atheistische und nichtreligiöse Soldaten gut vorstellen. Denn die seelischen Belastungen sind im Einsatz oft wirklich groß.
Was würden Sie den konfessionsfreien Soldatinnen und Soldaten sowie den zahlreichen früher in der Bundeswehr Dienst leistenden Menschen raten, damit Vorträge wie der von Franz-Josef Overbeck in Zukunft nicht mehr die Staatsanwaltschaft beschäftigen müssen?
Sie sollten zuerst von ihrem Recht auf Ungehorsam Gebrauch machen und den Bischof einfach stehen lassen. Dann sollten sie sich bei ihren Vorgesetzten, dem Wehrbeauftragten und dem Minister über ihn beschweren und notfalls an die Öffentlichkeit gehen. Man muss den Bischof klar in seine Schranken weisen. Über Ethik hat er nichts zusagen. Der Mann besitzt eine falsche, menschenfeindliche und inhumane Ethik.
Und was würden Sie dem Militärbischof sagen, wenn Sie – mal ganz fiktiv gedacht – der Chef des Bundesministeriums für Verteidigung wären?
Dass er den Sinn seiner Aufgabe nicht verstanden hat. Wegen seines Fundamentalismus würde ich ihn rausschmeißen. Schließlich kämpfen unsere Soldaten in Afghanistan gegen den Fundamentalismus der religiösen Taliban. Sie sollen den armen Menschen da unten doch wohl auch die Aufklärung und Menschenrechte näherbringen und nicht die Leute katholisch machen. Deshalb sollte der Bischof den Soldaten auch etwas über die Aufklärung erzählen und nicht über Katholizismus. Der Bischof ist mit seiner Ideologie völlig fehl am Platz.
Was wurde denn in Afghanistan verteidigt, wenn nicht das christliche Abendland? Sogar Bundeskanzlerin Merkel hatte in einer über das Internet übertragenen Videobotschaft Anfang Mai 2010 gemeint, dass ihre Vorstellungen vom christlichen Menschenbild weltweit gelten sollen.
Wir kämpfen dort auch für eine Kultur der Aufklärung und der Menschenrechte. Davon versteht der Mann nichts, bzw. er will nichts verstehen. Stattdessen wiegelt er die Offiziere gegen ihre andersdenkenden Kameraden auf. Die Soldaten sollten einen charakterlich integeren Menschen und keinen Intriganten als Seelsorger verlangen.
Herr Dr. Klussmann, vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Arik Platzek