Deutschland und Afghanistan

Verraten und allein gelassen

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Wie der Norddeutsche Rundfunk meldete, konnten am Mittwoch 28 Afghaninnen und Afghanen nach Deutschland einreisen. Um allerdings das Versprechen der Bundesregierung, unterstützende Ortskräfte aus dem Land zu fliegen, einlösen zu dürfen, mussten diese Menschen vor deutschen Gerichten klagen.

Den 28 Afghaninnen und Afghanen wurde nach dem Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan (BAP) für besonders gefährdete Personen eine Aufnahme zugesagt. Allerdings mussten sie sich ihre Visa vor Gericht einklagen. Auf diese Weise konnten bereits Anfang September 47 Personen einreisen. Seit dem Regierungswechsel im Mai hat das Auswärtige Amt freiwillig keine Visa im Rahmen der Aufnahmeprogramme mehr erteilt.

Das Programm gibt es seit dem 17. Oktober 2022 und es richtet sich an Afghan*innen, die sich in Afghanistan für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben und seit dem Machtwechsel im August 2021 besonders gefährdet sind oder verfolgt werden. Die NGO rescue erklärt in einem Artikel, an wen sich das Programm wendet und welche Schwierigkeiten es bei der Umsetzung gab und gibt: "Zielgruppe des BAP sind Afghan*innen und ihre Kernfamilien, die sich zum Zeitpunkt der Registrierung noch in Afghanistan aufgehalten haben und individuell gefährdet oder verfolgt werden aufgrund ihres Einsatzes für die Menschen- und/oder Frauenrechte oder ihrer Tätigkeit als Journalist*in oder in der Politik, Justiz oder Wissenschaft." Aber auch Gefährdungen wegen ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität fallen darunter. Ebenso Menschen, die wegen ihrer Religion unter dem Regime der Taliban gefährdet sind.

Von Beginn an stand das BAP in der Kritik. "Die tatsächlichen Aufnahmezahlen bleiben weit hinter den ursprünglich gesetzten Zielen zurück. Bis Juli 2024 wurden für insgesamt 3.071 Personen Aufnahmezusagen im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan erteilt. […] Davon sind nach offiziellen Angaben bis Februar 2025 nur 1.262 Personen eingereist." Dies habe aber auch mit den verschiedenen Zählungsarten zu tun. Darauf weist die Bundestagsabgeordnete Simone Borchardt (CDU) bei abgeordnetenwatch hin. "Die unterschiedlichen Zahlen resultieren aus mehreren Faktoren, die sich im Verlauf der Evakuierungsmaßnahmen und der politischen Entwicklungen in Afghanistan zwischen 2021 und heute ergeben haben. […] Im ursprünglichen Kontext wurden unter dem Begriff ‚Ortskräfte‘ primär jene Personen verstanden, die direkt bei der Bundeswehr oder deutschen Behörden in Afghanistan angestellt waren – beispielsweise Dolmetscher, Fahrer oder technische Hilfskräfte. Diese Gruppe war vergleichsweise klein und wurde in der ursprünglichen Statistik erfasst (die von ca. 1.100 betroffenen Personen inklusive Familienangehörigen ausging). Nach dem abrupten Machtwechsel in Afghanistan im August 2021 wurde der Kreis der Schutzberechtigten jedoch erheblich ausgeweitet."

Das erklärt die unterschiedlichen Zahlen, die genannt werden. Es erklärt aber nicht, weshalb bislang erst rund 1.300 Personen über das BAP nach Deutschland einreisen durften. Laut Bundeswehr waren es allein "1.800 Afghanen, die bis zum Jahr 2021 als Ortskräfte für die Truppe gedient haben, [das] sind so genannte berechtigt klassifizierte Ortskräfte, die mit ihren Kernfamilien nach Deutschland dürften." Hinzu kommen noch all die anderen gefährdeten Menschen, die die oben genannten Kriterien erfüllen. Auch Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, stellv. Vorsitzender des Deutschen Bundeswehr Verbandes, erkennt an, dass Deutschland "eine moralische Verantwortung" habe, für Sicherheit für diese Menschen zu sorgen.

Doch wo bleibt diese "moralische Verantwortung", wenn die aktuelle Bundesregierung das "Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan" Anfang dieses Jahres quasi gestoppt hat. Vergessen ist längst, dass die vorherige Bundesregierung einmal versprach, "monatlich bis zu 1.000 gefährdete Afghaninnen und Afghanen aufzunehmen." Inzwischen müssen betroffene Afghaninnen und Afghanen bei deutschen Verwaltungsgerichten im Einzelfall die damaligen Zusagen der Bundesrepublik einklagen.

Deutschland verspielt mit diesem Verhalten nicht nur international seine Reputation (wer wird der Bundeswehr im Ausland zukünftig helfen, wenn er weiß, dass er danach verraten werden wird?). Wenn die deutsche Botschaft in Kabul noch immer eine Liste von FAQ zum BAP online hat, kann das für Betroffene wie ein Hohn wirken. Denn auf der anderen Seite will die Bundesregierung mehr Menschen nach Afghanistan abschieben. Sie führt dazu direkte Gespräche mit den islamistischen Taliban.

Die am Mittwoch in Hannover gelandeten Menschen kamen aus Pakistans Hauptstadt Islamabad. Dort befindet sich eine deutsche Botschaft und von dort gehen Linienflüge nach Deutschland. Der Deutschlandfunk berichtet: "Derzeit warten in Pakistan noch mehr als 2.000 Afghanen auf eine Ausreise nach Deutschland. Manche von ihnen wurden zuletzt von den Behörden festgenommen, einige auch nach Afghanistan abgeschoben." Abgeschoben in ein Land, in dem die Taliban eine Geschlechterapartheid installierten, deren niederträchtige Auswirkungen gerade jüngst bei einem Erdbeben wieder deutlich wurden: Frauen wurden nicht aus den Trümmern zerstörter Häuser gerettet, weil Vorschriften der Taliban verhindern, dass Männer Frauen berühren.

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