FRANKFURT/M. (hpd/sh) Am 7.9.2012 startete die Herbst-Veranstaltungsreihe der GBS Rhein-Main – Säkulare Humanisten im Saalbau Bornheim mit einem Vortrag zum Buch »PaläoPower – Das Wissen der Evolution nutzen für Ernährung, Gesundheit und Genuss« von Dr. Sabine Paul.
Bericht und Kommentar von Thomas Wessely
Bereits in einer früheren Vortragsstaffel konnte Sabine Paul für die Facetten der Evolutionstheorie begeistern. Damals ging es um teilweise recht seltsame menschliche Verhaltensweisen, die sich im Lichte unseres evolutionären Erbes dann doch häufig sehr plausibel erklären lassen. Im aktuellen Vortrag ging Sabine Paul einen Schritt weiter und fragte, wie man das Wissen über die Evolution für eine »artgerechte« Lebensweise nutzen kann.
»Wann haben Sie zuletzt eine übergewichtige Giraffe gesehen?«, war der Einstieg in einen informativen, anregenden, auch Widerspruch auslösenden Vortrag. Nach 50 Jahren Ernährungsempfehlungen, die für den federleichten Jockey genauso gelten sollen wie für den schwer adipösen Sumoringer, fragt die evolutionäre Medizin nach dem »Warum« bei der Entstehung von Merkmalen, verortet Gesundheit und Krankheit unter dem Blickwinkel der Evolution und betrachtet das Zusammenspiel von Genen und Umwelt.
Warum gibt es Zivilisationskrankheiten? Schnell wird klar, dass nach zwei Millionen Jahren Leben als Jäger und Sammler unsere Gene sich wenig geändert haben, unsere Umwelt in den letzten 10.000 Jahren seit der Erfindung des Ackerbaus und Viehzucht jedoch enorm. So ist die Lust auf Süßes und Fettreiches keine Charakter-/Willensschwäche, sondern ein Millionen Jahre altes biologisches Erfolgsprogramm. Und die vermutliche 3,5-Tage-Woche der Jäger und Sammler lässt einen auch nachdenklich werden.
In einem heiteren Frage- und Antwortspiel wurde das Publikum gekonnt eingebunden, zum Beispiel in die Klassifizierungen von Fruchtfressern, Insektenfressern, Körnerfressern, Aasfressern, Holzfressern und Exkrementefressern. Wobei sich mancher Teilnehmer als fundierter Kenner der Materie erwies. Dass der Mensch eigentlich kein »Allesfresser« ist (der Speiseplan eines Mistkäfers wird für kaum jemanden attraktiv sein), sondern eher ein »Gemischtesser«, beruhigt.
Mit Hilfe der Paläopathologie konnten schon »Zivilisationskrankheiten« bei den alten Ägyptern vor etwa 4.000 Jahren festgestellt werden. Aufgrund von Reaktionen gegen glutenhaltiges Getreide über Laktose-Intoleranz stellte Sabine Paul immer wieder heraus, wie wichtig es ist, individuell auszuprobieren und nicht einfach irgendwelchen Standard-Empfehlungen oder Tests zu vertrauen. Wenn rund 15 Prozent der Deutschen (und mehr als 80 Prozent der Chinesen) aus biologischen Gründen keine Milch vertragen, dann macht eine allgemeine Empfehlung einfach keinen Sinn.
Dass Essen und Trinken auch mehr als reine Energie- und Nährstoffaufnahme ist, bildete den Abschluss des kurzweiligen Vortrags, der ja nur einen kleinen Teil des 300 Seiten starken Buches aufzeigen konnte.
Die anschließende Diskussion war dann durchaus etwas bizarr. So wurden einerseits konkrete Ernährungsempfehlungen vermisst, allgemeine Empfehlungen wie lokale Küche (die in der Regel Umweltgegebenheiten berücksichtigt) und auf Vielfältigkeit und Qualität zu achten, als »etwas dünn« tituliert. Andererseits wurden vehement und sehr engagiert wissenschaftliche Belege für einige Thesen eingefordert.
Dass Sabine Paul mit manchen Ansichten gegen tradierte Meinungen bürstet, mag irritieren, doch warum gerade bei Ernährungsfragen die Kritik in solch hochemotionaler Weise geäußert wird, nicht nur im Vortrag, sondern auch in verschiedenen Internetforen, irritiert mindestens genauso sehr. Ein weniger aufgeregter Ton würde es leichter machen, sich über Sachverhalte auszutauschen und die Dinge voranzutreiben.
Als Regionalgruppe räumen wir uns einen größeren Spielraum als die gbs ein, so dass wir auch weiterhin den Ansatz, Ernährungsgewohnheiten durch die Brille unseres evolutionären Erbes zu betrachten, verfolgen werden.
Bei der nächsten Veranstaltung am 5.10.2012 wird der katholische Theologe Dr. David Berger, dessen Karriere ihn bis in den Vatikan führte, über seine Erfahrungen mit der Kirchenhierarchie berichten.
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