„Wir brauchen eine neue Gesprächskultur“

BERLIN. (hpd) Zum Freitag haben mehrere Frauenrechtsorganisationen zu einem weltweiten Aktionstag für den Zugang zur sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen aufgerufen. Die Publizistin und Kulturwissenschaftlerin Sarah Diehl, Vertreterin der internationalen „Pro Choice“-Bewegung, kommentiert die gesellschaftliche Debatte über die Rechte von schwangeren Frauen und fordert eine neue Gesprächskultur.

Frauenrechtsorganisationen haben in diesem Jahr erstmals zum Global Day of Action for Access to Safe and Legal Abortion aufgerufen. Der Aktionstag, der jedes Jahr um den 28. September stattfinden soll, hat seinen Ursprung in lateinamerikanischen und karibischen Staaten.

Seit Jahren setzten sich dort Frauengruppen immer wieder dafür ein, dass ihre Regierungen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren sowie entstigmatisieren und dafür Sorge tragen, dass Zugänge zu sicheren Methoden für die Beendigung von Schwangerschaften geschaffen werden. Laut Weltgesundheitsorganisation sterben pro Jahr 48.000 Frauen und Mädchen an den Folgen eines illegalen und deshalb medizinisch nicht korrekt durchgeführten Schwangerschaftsabbruchs.

Das Recht von Frauen auf sexuelle Selbstbestimmung und die Möglichkeit, eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden, wird auch in Deutschland und europaweit wieder zunehmend von konservativen, religiös motivierten und reaktionären Kräften angegriffen und in Frage gestellt. Das zeigte unter anderem ein Schweigemarsch selbst ernannter „Lebensschützer“ am vergangenen Wochenende in Berlin, der in diesem Jahr deutlich mehr Teilnehmer als im Vorjahr aufweisen konnte. Das Ziel ist eine weitere Verschärfung der Strafrechtsgesetze über die Abtreibung. 

In ihrem Kommentar kritisiert „Pro Choice“-Vertreterin Sarah Diehl, dass dabei in pseudoaufklärerischer Manier Menschenrechte für den Embryo gefordert werden, bevor die Menschenrechte für die Frau verwirklicht sind.

Sarah Diehl
Sarah Diehl.
Unsere Gesellschaft hat immer noch keinen Weg gefunden, vorbehaltlos den Erfahrungen von Frauen Raum zu geben. Die Aussagen über den Schwangerschaftsabbruch, den viele Menschen fast reflexhaft verurteilen, machen dies deutlich.

Abtreibungsgegner arbeiten sehr gezielt daran, die öffentliche Debatte von der Perspektive der Frau hin zum Embryo zu verschieben. Egal, in welcher Lebensphase die Frau steckt, ob sie finanzielle Probleme hat, häuslicher Gewalt ausgesetzt ist, noch ihren Weg im Leben finden muss, oder bereits Kinder hat und keines mehr bekommen will, um besser für ihre Familie sorgen zu können.

Statt die Subjektwerdung der Frau zu fördern, wird der Embryo, den sie tragen könnte, zum Subjekt gemacht. Wenn sich Abtreibungsgegner frauenfreundlich geben, dann nur um Frauen einzureden, dass sie ihr Leben lang unter einem Abbruch leiden werden; und man sie davor bewahren wolle.

Gleichzeitig versucht man mit der Gleichsetzung von Embryonen und Kindern Schuldgefühle erst zu erzeugen, die es Frauen erschweren ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu formulieren.

Durch die hoch emotionalisierte Debatte um Kinderrechte, Liebe und Fürsorge gelingt ihnen dies sehr gut. In pseudoaufklärerischer Manier werden Menschenrechte für den Embryo gefordert, bevor die Menschenrechte für die Frau verwirklicht sind.

Kampf für Menschenrechte: Das klingt gerade für junge enthusiastische Menschen sehr attraktiv, die der Marsch für das Leben mehr und mehr mobilisiert. Doch die Menschenrechte der Frau sollen hinter den vermeintlichen Rechte des Embryos zum Verschwinden gebracht werden.

Als Polen die Abtreibung in den 1990er Jahren wieder kriminalisierte, konnte man beobachten, wie die Perspektive von Frauen in den Medien immer mehr zum Verschwinden gebracht wurde, bis Artikel erschienen, wo das Wort Frau noch nicht mal mehr vorkam. Wir brauchen daher also eine neue Gesprächskultur, in der sich Frauen tatsächlich über ihre Erfahrungen und Bedürfnisse austauschen können.

Zur Person: Sarah Diehl veröffentlichte 2007 im Alibri Verlag das Buch „Deproduktion - Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext“. 2009 wurde ihr Film „Abortion Democracy“ beim XXIV. Black International Cinema Filmfestival in Berlin, welcher die Veränderungen in den Abtreibungsgesetzen in Südafrika und Polen und deren Auswirkungen auf die Lebensrealität von Frauen beschreibt, ausgezeichnet. Derzeit arbeitet sie am Dokumentarfilm „Pregnant Journeys“. Zuletzt veröffentlichte Diehl im September 2012 ihren Debütroman mit dem Titel „Eskimo Lemon 9“.

Arik Platzek