Man hatte es befürchtet, doch nun steht es fest: Das Zeitfenster zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, die sich eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung wünscht, hat sich geschlossen. Die Neuregelung fiel parteitaktischem Kalkül zum Opfer. Unter einer zu erwartenden konservativen Mehrheit wird ein neuer Anlauf auf absehbare Zeit nicht zu erwarten sein.
Bis zum Schluss wurde gekämpft. Gestern haben Aktivist:innen noch einmal auf die Dringlichkeit der Legalisierung der Abtreibung hingewiesen. Über 50 zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter ver.di, DGB, ProFamilia Deutschland, der Paritätische Gesamtverband, der Deutsche Frauenrat sowie die Petitionsplattformen innn.it und WeAct übergaben mehr als 300.000 Unterschriften zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen an Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Mehr als 30 Abgeordnete der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke waren bei der Übergabe vor dem Paul-Löbe-Haus anwesend, darunter prominente Politikerinnen wie Carmen Wegge, Ulle Schauws und Heidi Reichinnek.
Der Anlass war die Anhörung der Sachverständigen im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zum Gesetzentwurf zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, der noch kurz nach dem Scheitern der Ampel-Koalition eingebracht worden war. Zusammen mit dem Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und deren Eil-Appell auf der Petitionsplattform innit.it forderte auch das Bündnis für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen mit seiner WeAct-Petition die Abschaffung von Paragraf 218 StGB. Beide Petitionen wurden mit insgesamt 311.288 Unterschriften übergeben.
Der Rechtsausschuss verhinderte nach der gestrigen Anhörung jedoch, dass der Gesetzentwurf zur Legalisierung der Abtreibung noch im Parlament zur Abstimmung kommt. Wie konnte es dazu kommen?
Nach der Bundestagswahl 2021 war die Hoffnung groß, dass mit der Ampelkoalition eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs möglich werden könnte. Im Koalitionsvertrag fand sich bereits ein Hinweis darauf. Doch die FDP stand von Anfang an auf der Bremse.
Deshalb wurde eine Kommission eingesetzt, die prüfen sollte, ob und wie eine verfassungskonforme Reform der gesetzlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs aussehen könnte. Nach einem Jahr legte die Kommission einen mehr als 600 Seiten umfassenden Bericht vor. Das Ergebnis lautete: Legalisierung ist möglich und notwendig, zumindest in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft. Der Kommissionsbericht machte abgestufte Vorschläge, was dringend notwendig ist und wo Spielraum für eine Gesetzgebung besteht.
Es passierte nichts.
Schließlich gaben 26 Fachverbände die Formulierung eines Gesetzentwurfs in Auftrag, um zu zeigen, wie ein Gesetz im Rahmen der Kommissionsvorschläge aussehen kann. Im Oktober legten drei Professorinnen den Entwurf vor.
Es passierte nichts.
Weder die Regierung noch eine Fraktion oder eine Gruppe von Abgeordneten konnte sich dazu durchringen, eine gesetzliche Neuregelung auf den Weg zu bringen. Dann platzte die Ampel-Koalition. Nun nahmen einige Abgeordnete von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke die Sache in die Hand. Sie schrieben einen reduzierten Gesetzentwurf, der auch für Konservative, die das Selbstbestimmungsrecht von ungewollt Schwangeren achten, zustimmungsfähig gewesen wäre. Innerhalb kurzer Zeit fand der Entwurf 328 Unterstützer:innen unter den Abgeordneten. Am 5. Dezember fand die Erste Lesung im Bundestag statt. In einer leidenschaftlichen Debatte wurden die unterschiedlichen Lager deutlich. Es war auch klar: FDP-Abgeordnete halten sich zurück, obwohl bereits einige liberale Frauen Zustimmung für eine Reform des Paragrafen 218 StGB signalisiert hatten. Der Gesetzentwurf wurde nach der Lesung vom Bundestag in den Rechtsausschuss überwiesen. Dieser hätte den Entwurf ohne Sachverständigenanhörung direkt zur Abstimmung an das Parlament zurück überweisen können. Doch stattdessen begann ein Tricksen von CDU und FDP.
Parlamentarische Gepflogenheiten wurden ignoriert, stattdessen wurden die parlamentarischen Regelungen genutzt, um eine Abstimmung über den Gesetzentwurf zu verhindern. CDU und FDP forderten zunächst eine Anhörung von Sachverständigen und legten den Termin auf den vorletzten Tag der Sitzungsperiode. Eine Rückverweisung ans Parlament zur Abstimmung am nächsten Tag war damit kaum noch möglich. CDU und FDP sorgten mit ihren Stimmen im Rechtsausschuss dafür, dass über eine Abstimmung nicht einmal mehr beraten wurde. Damit endet der Gesetzgebungsprozess mit der Anhörung im Rechtsausschuss und bleibt dort stecken.
Alle in der Debatte aufgeführten Probleme für ungewollt Schwangere, für Ärzt:innen und Berater:innen bleiben bestehen und damit auch die Notwendigkeit, eine politische Lösung zu finden. Die Verantwortung dafür wird dann bei der nächsten Bundesregierung liegen.
5 Kommentare
Kommentare
regina am Permanenter Link
Verstehe ich das richtig, dass es nur darum geht, ob Frauen sich BERATEN lassen müssen vor der Abtreibung oder nicht? Das wäre ja wirklich eine winzige Hürde!
Andreas am Permanenter Link
Diese winzige Hürde hat es aber juristisch massiv in sich.
Ist Abtreibung offiziell als Mord deklariert, so teilen sie mit der Beratung einer Behörde mit, dass sie einen Mord planen. Findet keine Geburt statt, so gehen die Behörden davon aus, dass sie den Mord begangen haben. Als Offizialdelikt muss sich (!) die Staatsanwaltschaft bei Mord einschalten. Dies kann im Bundeszentralregister vermerkt werden, wenn die Beratungszentren (Kirche) sie namentlich melden.
Juristisch gesehen sind sie damit nicht unschuldig, sondern gelten als attestierte Mörderin, die lediglich nicht bestraft wurde. Damit sind sie von einer Reihe von Berufen ausgeschlossen, zumal sich Vorstrafen im Bundeszentralregister auch im Führungszeugnis niederschlagen.
Ulla Bonnekoh am Permanenter Link
Es geht hauptsächlich darum, dass der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch steht und nur unter bestimmten Auflagen nicht bestraft wird. Rechtswidrig ist er trotzdem.
Angelika Wedekind am Permanenter Link
Sollte man jetzt nicht einen Volksentscheid auf den Weg bringen?
Rüdiger Weida am Permanenter Link
Laut NZZ gibt es aber noch eine andere Ursache: