Gerbrand Bakkers tierische Parallelwelten

BERLIN. (hpd) Seine Bücher wurden aus dem Holländischen in 20 Sprachen übersetzt. In „Komische Vögel“, einem Tiertagebuch, spielen Schafe, Hühner und Zootiere manchmal eine Haupt- und mitunter nur eine Statistenrolle. Gerbrand Bakkers Verhältnis zu Tieren ist unsentimental, aber voller Staunen über ihre Individualität und ihren Lebenswillen in einer vom Menschen dominierten Welt.

„Beim Schreiben musst du immer etwas Allgemeines mit etwas Besonderem verbinden, so dass eine Geschichte entsteht“, mit dieser Regel, der sich seine Skizze nicht beugen will, schließt Gerbrand Bakker augenzwinkernd eine der Tagebucheintragungen seines neuen Buches „Komische Vögel“. Dabei passiert eigentlich nichts. Weder Allgemeines noch Besonderes: Ein Gang durch eine Buschlandschaft aus Sanddorn und Wilden Rosen, vorbei an einem Tümpel auf der Suche nach einem Seeadler, der sich nicht zeigt. Der Autor und ein Biologe beobachten das Paarungsverhalten von Libellen, deren Namen allein schon Literatur sind: Herbst-Mosaikjungfer oder Schwarze Heidelibelle. Im ersten Absatz der Eintragung schreibt er: „Wenn ich ein Vögel wäre, würde ich Duin en Kruidberg nie verlassen.“ Wem käme da nicht  das Volkslied „Wenn ich ein Vöglein wär“ von Johann Gottfried Herder in den Sinn.

Der holländische Autor schaut den Vögeln zu, auch tief in die Augen, etwa der Lachmöwe, die gegen die Glasscheibe eines Imbissstands fliegt und benommen und doch würdevoll auf einem Tisch landet, oder den komischen Vögeln der Titelgeschichte, den Wildgänsen. Sie fliegen in die falsche Richtung, nach Norden – gab es da nicht ein Gedicht von Rafael Alberti: „Es hat sich geirrt die Taube, sie wollte nach Süden und flog nach Norden“? Aber Tiere bleiben bei Bakker was sie sind, Wesen in ihrer Parallelwelt neben dem menschlichen Leben. Damit laufen sie Gefahr, zwischen die Räder geraten, wie die flügellahme Möwe zwischen zwei Autofahrstreifen oder die aus dem Zoo entkommenen Asiatischen Rothunde, von denen laut Zeitungsmeldungen einer nach dem anderen tot aufgefunden wird und nur einer verschwunden bleibt und vielleicht irgendwie im Verborgenen sein Auskommen gefunden hat.

Mauersegler können, lesen wir, an einem Tag Ausflüge von Holland nach Paris unternehmen. Ihre Schwärme verdunkeln den Himmel über einer aus dem Boden gestampften Wohnsiedlung. Im nächsten Atemzug beobachtet Bakker Rauchschwalben unter dem Gewirr der Stahlkonstruktion einer Brücke, wo sie neuerdings nisten - und grillt sich nach dem Ausflug eine Portion Rind- und Schweinefleisch.

Bakker, auf dem Bauernhof aufgewachsen, schreibt natürlich auch über die Tiere, deren Existenz eng an die der Menschen gebunden ist. Über die Hunde, deren verschiedene Laute man untersucht hat. Haben sie das Bellen nur dem Menschen zuliebe gelernt? Oder die Kühe. Ihre Methanausscheidungen empfinden die Menschen neuerdings als Bedrohung, weil sie den durch die Zivilisation ausgelösten Treibhauseffekt verstärken. Gar die Mutanten, die der Mensch hervorzubringen weiß. Da ist die Nachricht über Pappeln eingepflanzte Kaninchengene. Sie sollen es den Bäumen erlauben, Schadstoffe aus dem Boden besser zu entsorgen ... Bakker spekuliert über die Möglichkeit, Pflanzen auch menschliche Gene zu implantieren. - Hinter der alltäglichen lauert eine surreale Welt. Beide überschneiden einander, wie die Welt von Tieren und Menschen. Gerade daher resultiert manchmal dieser unheimliche Effekt.

Schafe als Werbeträger am Rand einer Autobahn und nun Lämmer mit Identitätsproblemen, weil sie Schafe nur mit aufgebundenen Plastikdecken kennen? Alles wirklich. Wann werden die Haussperlinge aussterben, weil wir nicht mehr die Tischdecken im Freien ausschütteln? Absurd? Immerhin, gibt Bakker zu bedenken, sind die Alpenkrähen in Schottland schon fast ausgestorben, seit dort keine Rinder mehr an den Klippen grasen – und gelegentlich abstürzen. Der Autor berichtet auf schonendste Weise, dass neuerdings einige Wiederkäuer nun doch wieder auf die Klippen geschickt werden, um den Bestand der Alpenkrähen zu retten...

Welche Rolle der Mensch bei den Tieren einnimmt, lässt Bakker uns angesichts des Rauhhaardackels Boris ahnen, der deshalb so begeistert an ihm emporspringt, weil er ihm Nachrichten über die Paarungsbereitschaft seiner zuvor gestreichelten Artgenossin überbringt -  eine Nebenrolle. Aber manchmal sind auch die Tiere bei Bakker nur literarische Komparsen, wie  die von mobbenden Vögeln traumatisierte Katze in einer Eintragung über einen schönen norddeutschen Nachmittag vor einer Lesung im Garten einer Buchhändlerin. Eher herbeizitiert treiben Schwäne in Solothurn in einer Geschichte übers Wasser. Eigentlich handelt sie von der Bewunderung des Autors für eine Dichterkollegin bei einem Autorentreffen. Es geht eben in diesem Buch nicht nur um Tiere, sondern um Literatur.

Simone Guski

Gerbrand Bakker, „Komische Vögel. Tiertagebuch“, Insel Taschenbuch, Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 157 S., 8,99 Euro.