TRAISKIRCHEN. (hpd) Die Flüchtlingsbetreuungsstelle bei Wien ist wieder einmal voll. 1.500 Asylwerberinnen und Asylwerber sind hier untergebracht. 1.000 mehr als es laut einer Vereinbarung zwischen Stadtregierung und dem zuständigen Innenministerium sein sollten. Und mehr als es laut allen Rahmenbedingungen sein müssten.
Wer mit der Lokalbahn im Stadtzentrum Traiskirchens ankommt, wird sie am Bahnhof stehen sehen. Meist junge Männer, die versuchen, die Zeit totzuschlagen. Wenige Frauen sind zu sehen. Insgesamt sind an die 1.000 erwachsene Asylwerber im Flüchtlingslager untergebracht. Nicht wenigen wird kalt sein. Sie sind die Temperaturen eines mitteleuropäischen Herbstes nicht gewöhnt. Bis zur „Erstbetreuungsstelle für Asylwerber“, wie das Flüchtlingslager offiziell heißt, die einige Gehminuten vom Bahnhof entfernt liegt, werden sie grüppchenweise vor Call Shops oder kleinen Lokalen stehen. Oder auf Parkbänken sitzen. Ein Eindruck, den man nicht schnell vergisst. Der Autor hat das in seiner Berichterstattung über das Flüchtlingslager oft genug gesehen, um diese Bilder im Kopf zu haben, wenn er hört, das Flüchtlingslager sei wieder einmal voll. Bilder der Armut, der Hoffnungslosigkeit und der Langeweile. Kurz: des Elends. Es gibt schönere Bilder.
Diesmal sind nicht wenige Jugendliche im Stadtzentrum. 550 so genannte unbegleitete Minderjährige sind nach offiziellen Angaben in der Erstaufnahmestelle untergebracht. Ohne Eltern sind sie in den vergangenen Monaten in Österreich gestrandet. Das macht die Situation noch komplizierter: „Für sie muss die Bezirkshauptmannschaft die Vormundschaft übernehmen oder dafür Sorge tragen, dass es jemanden gibt, der die Sorgepflicht für die Jugendlichen übernimmt“, beschreibt es der Traiskirchner Stadtrat Andreas Babler (SPÖ). „Bei der Unterbringung gibt es dann besondere Auflagen. Deswegen will sie niemand.“ Das führt dazu, dass sie länger in Traiskirchen bleiben müssen als vorgesehen. Und in der Luft hängen.
Die Erstaufnahmestelle Traiskirchen ist Österreichs größte Unterbringungsstelle für Flüchtlinge. Seit mehreren Jahren ist es als Durchgangsstation gedacht. Wer irgendwo in Ostösterreich einen Asylantrag stellt, kommt zuerst hierher. Die Stelle wickelt das so genannte Erstverfahren ab. Die Behörden stellen fest, ob der oder die Betreffende nicht in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt hat. Das ist das so genannte Dublin-Verfahren, benannt nach dem „Dublin II“-Vertrag der EU. Der erklärt das EU-Land für ein Asylverfahren zuständig, in dem ein Asylwerber zuerst einen Antrag gestellt hat. Oder das EU-Land, in dem der oder die Betroffene zuerst nachweislich einen Asylantrag hätte stellen können. Ein Verfahren, das den südlichen und östlichen EU-Ländern die Last der Flüchtlingsströme aufbürdet. Die reicheren Staaten Mittel- und Westeuropas bleiben, so weit irgend möglich, außen vor. Die Regelung ist mitverantwortlich, dass das Flüchtlingswesen in Griechenland zusammengebrochen ist – noch bevor das Land in den Strudel der Finanzkrise geriet. Mittlerweile dürfen Flüchtlinge nicht mehr dorthin abgeschoben werden. Nicht einmal aus Österreich, dessen Behörden im Allgemeinen wenig zimperlich sind, Menschen abzuschieben.
Das österreichische Recht stattet das Erstverfahren für Asylwerber mit zahlreichen Schikanen aus. Während der ersten Verfahrenstage dürfen Betroffene die Erstaufnahmestelle Traiskirchen nicht verlassen. Und niemand darf später Gründe für Asyl vorbringen, die er oder sie nicht schon im Erstverfahren genannt hat. Das Gesetz nennt das etwas euphemistisch: „Neuerungsverbot.“ Theoretisch sollte das Verfahren innerhalb weniger Wochen abgeschlossen sein. Die Behörden verteilen die Flüchtlinge, die es überstanden haben, von Traiskirchen aus übers ganze Land. In Quartiere, wo sie warten müssen, bis ihr Asylantrag entschieden wurde. Das kann Jahre dauern.
Würde all das so geschehen, wie es die Gesetze vorsehen, in der ehemaligen Kadettenschule wären kaum mehr als 300 oder 400 Asylwerber untergebracht.
Allein, es wäre nicht Österreich, würde sich das Zusammenspiel der Behörden verschiedener Verwaltungsebenen jemals glatt gestalten oder den Gesetzen immer auf Punkt und Beistrich folgen. Theoretisch ist das Innenministerium dafür zuständig, dass Asylverfahren korrekt abgewickelt und Asylwerber währenddessen einigermaßen menschenwürdig untergebracht werden. Das Ministerium, das seit Jahren in christlichsozialer Hand ist, hat einen Teil der Verantwortung auf die Landesregierungen abgewälzt. Die Flüchtlinge werden gemäß einer Quote auf die neun Bundesländer aufgeteilt. Die haben sich darum zu kümmern, dass sie auch untergebracht werden.
Das ist in einer so genannten 15a-Vereinbarung geregelt, einem Vertrag zwischen den Rechtskörperschaften Republik Österreich und Bundesländer. Letztere geben die Verantwortung oft auf ihre Gemeinden ab, die sich um Quartiere für Flüchtlinge umschauen soll. Was die Sache zusätzlich verkompliziert. Nicht einfacher wird das, wenn, wie meistens, der private Sektor ins Spiel kommt. Im Regelfall warten Asylwerber in Landgasthöfen darauf, dass die Behörden ihr Verfahren entscheiden. Vereine oder professionelle Betreuungsstellen sind die Ausnahme.
Das darf einen angesichts der Entschädigungen nicht überraschen. 17 Euro pro Kopf bekommt man pro Tag, wenn man Asylwerber bei sich unterbringt, demnächst sollen es 19 werden. Die erste Inflationsanpassung seit 2004. Das muss Essen, Reinigung und Betriebskosten abdecken. Grundversorgung nennt sich das. Bei diesen Tagsätzen braucht man eine gehörige Portion Altruismus oder Geschäftssinn, um sich darauf einzulassen. Nicht selten sind es abgewirtschaftete Pensionen, die Asylwerber unterbringen wollen. Mit entsprechenden Abschlägen bei der Qualität. Für Menschen, die sich um die Asylwerber kümmern oder gar Dolmetscher, bleibt da kein Geld. Auch Betreuungsvereine sind auf zusätzliche Geldquellen angewiesen, wenn sie den Asylwerbern eine halbwegs sinnvolle Tagesbeschäftigung bieten wollen. Wer, wie Besitzer von Pensionen, mit Asylwerbern Geld verdienen will, verzichtet auf derlei im Regelfall ganz.
In diesem Wirrwarr aus Kompetenzen bleiben aktuell – wieder einmal – die Asylwerber aus Traiskirchen übrig. „Außer Wien und Niederösterreich erfüllt kein Bundesland die Quoten“, erzählt Andreas Babler. Und Niederösterreich erfüllt die Quote auch nur dank Traiskirchen, aber das nur nebenbei. Niemand will Asylwerber haben und das Innenministerium macht keinen Druck, dass die Landesregierung doch bitte schön die Verpflichtungen erfüllen sollen, die sie in einem Vertrag gemäß den Bestimmungen der Bundesverfassung eingegangen sind. Politik am Rücken von Menschen, wie auch Babler beschreibt. Man hört den Zorn in seiner Stimme, wenn er an den Landtagswahlkampf des burgenländischen Landeshauptmanns Hans Niessl denkt. Der hatte offen Stimmung gegen Asylwerber geschürt. Dass Niessl auch Sozialdemokrat ist, mildert Bablers Enttäuschung und vermutlich auch Verbitterung nicht.
„Über Kärnten brauch ich dir gar nichts mehr erzählen“, fügt er im Telefonat mit mir hinzu. Die Landesregierung aus der rechtslastigen Abspaltung der Rechtspartei BZÖ (ihrerseits eine Abspaltung der FPÖ, Anm.) namens FPK und der ÖVP betreibt seit Jahren je nach Bedarf Hetze gegen Asylwerber. Bis vor kurzem wurden dort „straffällige Asylwerber“ in einer abgeschiedenen „Sonderanstalt“ auf der Kärntner Saualm untergebracht. Im Verständnis der Landesregierung waren das auch Asylwerber, gegen die bloße Strafanzeigen vorlagen. Rechtskräftig verurteilt musste man nicht sein. Für Sicherheitsmaßnahmen war genug Geld da. Für eine ordentliche Betreuung offenbar nicht. Das Heim wurde wegen massiver Mängel vor kurzem behördlich geschlossen. Rechtsstaatlich war das Vorgehen nicht in Ordnung. Es verletzte die Menschenrechte der Asylwerber eindeutig. Das störte aber jahrelang nur NGOs und einige Politiker wie Babler. Das Menschenrechtsbewusstsein in Österreich kann man als unterdurchschnittlich beschreiben. Hierzulande gilt es als Erfolg der Humanität, wenn ein Politiker zurücktreten muss, der in einem Wahlkampf den Slogan plakatieren lässt: „Heimatliebe statt Marokkanerdiebe“.