Zur Ehre des Größten

Migration und Nahrungssuche

Walhaie sind in allen Ozeanen gefunden worden, sie dringen aber nicht ins Mittelmeer ein. Bevorzugt werden warme tropische und subtropische Gewässer mit Temperaturen zwischen 21 und 26 °C, die zwischen den Wendekreisen des Krebses und des Steinbocks liegen. Allerdings driften Walhaie mit den warmen Meeresströmungen auch hin und wieder in Richtung des 38. Breitengrads, etwa an die Küsten Südafrikas und Australiens (Victoria) in der südlichen Hemisphäre sowie ins Rote Meer (Golf von Aqaba), Japan und dank des Golfstroms an die Ostküste der USA auf der nördlichen Erdhalbkugel.

Rhincodon typus lebt im Epipelagial bis zu 1000 m Tiefe, findet aber die meiste Planktonnahrung im 20-m-Bereich. Es ist nicht bekannt, welche Entfernungen Walhaie auf ihren Wanderungen zurücklegen. Heute nimmt man aber nicht mehr an, dass sie etwa so lange Wege wie vom Indischen Ozean um das Kap Horn herum in the Karibik zurücklegen. Vielmehr dürften ihre Wanderungen futterbezogen sein und im jährlichen Rhythmus großräumig begrenzt dort stattfinden und sich wiederholen, wo nahrungsreiches Tiefenwasser nach oben steigt oder das Massenablaichen von Korallen die Nahrungskette in Bewegung setzt, so wie beispielsweise am Ningaloo Riff an der Westküste Australiens.

Viele neue Erkenntnisse verdanken wir dem Walhaiforscher Geoff Taylor, ein praktischer Arzt aus Exmouth, der über Jahre am Ningaloo Riff geforscht hat. Während einer Westaustralien-Forschungsreise besuchte ich ihn dort 1989. Seitdem informiert er mich mit neuen Erkenntnissen, die er gefunden hat. Geoff fielen als begeistertem Taucher in den 1980er Jahren die Zusammenhänge zwischen dem Ablaichen der Korallen im März und dem dann folgenden vermehrten Auftreten von Walhaien auf. Das Meer ist nach den Vollmonden im dortigen Herbst bald von riesigen rosa und lila Schleiern des Korallenlaichs bedeckt. Diese Proteinmasse ist der Beginn einer interessanten Nahrungskette: Riesenschwärme des tropischen Krills (Pseudeuphasia latifrons) laichen aus der Tiefe des Indiks kommend dann ebenfalls ab. Während man die Krillkrebse sonst nur nachts im Oberflächenbereich sieht, halten sie sich während der Korallenlaichzeit auch tagsüber dort auf – und somit auch die Walhaie, deren Lieblingsfutter eh Krebstiere sind. Natürlich kommen auch Schwärme von Anchovies und Sardellen, um sich am Korallenlaich zu laben, was wiederum pelagische Fische wie Thunfische und Makrelen anzieht. Sie treiben die Anchovies zu riesigen Bällen zusammen, um danach in diese Fleischmasse von unten einzutauchen. Das gefällt wiederum den Walhaien, die eigennützig mithelfen, die Fischbälle zu dezimieren.

In den Filmsequenzen von den Seychellen, die ich schon erwähnt habe, werden erstmals mehrere Walhaie beim Fressen gezeigt. Gibt es eine Interaktion zwischen den Tieren bei der Nahrungsaufnahme? Es fällt auf, dass sich die Haie ungewöhnlich viel bewegen und auch ihre Kiemen heftig zum Filtern bewegen. Da die Aufnahmen praktisch vier „kesselartig“ schwimmende Walhaie zeigen, wurde der Filmer Adrian Tyte nochmals befragt. Auch er ist davon überzeugt, dass sich die Walhaie gegenseitig das Futter zutrieben! Das gilt insbesondere für die Unmengen von Füsilierfische im Oberflächenbereich, die fast die Sonne verdunkelten.

Während diese Beobachtungen am Tag gemacht wurden, sah Geoff Taylor ähnliches Verhalten in der Dämmerung und in die Nacht hinein, allerdings vom Boot aus. Er spricht sogar von einer „Feeding Frenzy“. Eine solche Fütterungs-Ekstase wirkt bei denen, die die freundlichen „zahnlosen“ Gesellen bislang nur dahintreiben sahen, eher erheiternd. Aber am Ningaloo-Riff peitschten die Krill fressenden Walhaie mit ihren Flossen dermaßen die Oberfläche und drehten und wendeten sich mit einer Energie, dass man wegen einer möglichen Kollision mit dem Beobachtungsboot Angst bekam. Dieses Phänomen wurde dort 1991 und in den darauffolgenden Jahren dokumentiert. Die Ursache war jedesmal, dass tropische Krillkrebse aus den Tiefen des Meers vertikal an die Wasseroberfläche gewandert waren. Bei genauen Untersuchungen der Krebsmassen fand Geoff auch Larven von Krabben und  Fangschreckenkrebsen.

Die nächtliche Jagd kann auch mal für den Walhai tödlich enden: 1990 kollidierte nachts im nördlichen Golf von Exmouth ein Garnelenfangschiff mit einem großen Objekt. Kurz danach wurde von einem benachbarten Fischerboot ein an der Oberfläche treibender Walhai gesehen, dem ein  Teil des Rückens fehlte. All das ist aber auch ein Beweis dafür, dass Walhaie überwiegend nachts fressen. Dann strebt nämlich das Zooplankton zur Oberfläche. Und dies erklärt auch, warum man als Taucher den Walhai tagsüber so selten sieht.

Walhai-Forschung

Die Zählungen am Ningaloo Riff vor Westaustralien ergaben über mehrere Jahren eine wiederkehrende Population von etwa 200 Walhaien. Höhere Schätzungen konnten nicht verifiziert werden, da oft die Markierungs-Tags an den Tieren verschwunden waren. 1993 wurden 200 und 1994 220 Walhaie gezählt. Erstaunlich ist die Tatsache, dass es sich dabei mehrheitlich um männliche Tiere mit bis zu 7,5 m Körperlänge handelte, die noch nicht geschlechtsreif waren. Weil dort so viele Walhaie vorkommen hatte man vermutet, dass sich Walhaie auch zur Fortpflanzung am Ningaloo Riff treffen. Das kann aber nunmehr ausgeschlossen werden.

Eine wichtige Frage versuchte Geoff Taylor zu klären: Wo schwimmen Walhaie hin, wenn sie wieder das Ningaloo-Riff verlassen? Er hatte von erfolgreichem „Radio-Tracking“ bei Riesenhaien vor Schottland gehört, bei dem über Funkgeräte Daten von den Tieren an Satelliten weitergegeben wurden. Das sollte mit Walhaien doch auch funktionieren! Als das  „National Geographic Magazine“ 1991 ein Team zum Ningaloo-Riff schickte, übernahm es die Kosten für das Vorhaben, die Wanderrouten der Walhaie zu ergründen. Das Hauptproblem war zunächst das Befestigen der Sender an den Tieren (dabei wurde es bestätigt, wie zäh die Haut eines Walhais tatsächlich ist). Nach vielen vergeblichen Versuchen haftete kurz vor Ende der Walhai-Saison endlich eine Funkanlage dank einer starken Harpune an der Rückenflosse. Aber schon nach einer Nacht hörten die Signale auf. Da das Gerät weiter aufzeichnete, hoffte man auf weitere Daten. Nach drei Monaten jedoch wurde es unbrauchbar angeschwemmt.

Weitere Versuche scheiterten ebenfalls. So bleibt noch einiges zu tun, um den Geheimnissen des Walhais auf die Spur zu kommen. Aber die Möglichkeiten werden immer besser, zumal man weitere Plätze kennt, an denen Walhaie regelmäßig auftauchen. So sah ich im März 1994 nach 18 Jahren – unfreiwilliger – Pause den nächsten Walhai nach präziser Vorankündigung eines Tauchlehrers in der Nähe der Similan-Inseln vor Thailand. Obwohl auf sein Erscheinen vorbereitet, war ich wieder sehr ergriffen, an der Seite des größten Fisches der Erde zu schwimmen.