ASCHAFFENBURG. (hpd) Soeben erschienen ist MIZ 3/12. Der Schwerpunkt befasst sich mit der Beschneidungsdebatte und ihren ethischen wie juristischen Aspekten. Allerdings wird das Thema unter der Überschrift „Beschnittene Kinderrechte“ in einen weiteren Kontext von Partizipations-, Versorgungs- und Schutzrechten gestellt.
Christoph Lammers sieht in seinem Editorial drei Fragen, die beantwortet werden müssten, um zum Kern der Diskussion über die Beschneidung von Jungen vorzudringen. Die erste, auch grundsätzlicher zu verstehende lautet: Warum sollten sich Säkulare für die Rechte anderer einsetzen und sich auf diese Weise gewissermaßen in die Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften einmischen? Dann wäre zu klären, wie weit die religiöse Selbstbestimmung in einer demokratisch verfassten Gesellschaft gehen darf. Und schließlich muss reflektiert werden, welche Mittel zum Zwecke der Aufklärung legitimerweise eingesetzt werden dürfen. Konkret: Wann ist Kritik an der Beschneidung ein Ausdruck von Antimuslimismus und Antisemitismus?
Kindeswohl und Religionslobbyismus
Zunächst geht es um das Beschneidungsthema im engeren Sinne und damit in erster Linie um den betreffenden Gesetzentwurf. Fiona Lorenz berichtet von jener Sitzung, in der sich der Deutsche Ethikrat mit der „Beschneidung von Minderjährigen aus religiösen Gründen“ befasst hat. Ins Zentrum rückt sie die Argumentation des Juristen Reinhard Merkel, der von einem „rechtspolitischen Notstand“ ausgeht; dem stellt sie die Sichtweisen der den Religionsgemeinschaften nahestehenden Vertreter gegenüber.
Auch im Interview mit dem Rechtswissenschaftler Rolf Herzberg steht die Frage im Mittelpunkt, inwieweit der Gesetzentwurf das Wohl des Kindes im Auge hat. Herzberg verweist darauf, dass der Kindeswille in der jetzigen Formulierung zwar angesprochen, aber so unscharf benannt wird, dass doch „alles offen“ bleibe: „Wenn der Vierjährige um Verschonung fleht und trotzdem fachgerecht beschnitten wird, ist dann die Körperverletzung rechtmäßig oder rechtswidrig?“ Argumentationen, die sich auf das sogenannte Selbstbestimmungrecht der Religionsgesellschaften berufen, hält Herzberg entgegen, dass in Fragen der körperlichen Unversehrtheit der Staat den gesetzlichen Rahmen setze und auch das Elternrecht hier seine Grenzen finde. Als Beispiele nennt er die Sterilisierung von Kindern oder die Genitalbeschneidung von Mädchen.
Körper und Kopf
Die nächsten beiden Beiträge ziehen den Rahmen dann etwas weiter. Die Juristin Juana Remus thematisiert, dass Kinder, die keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale aufweisen, bis heute zumeist operiert werden, damit sie in eines der beiden Geschlechter „männlich“ oder „weiblich“ passen. Auch hier hat der Staat bislang versagt, intersexuelle Kinder vor diesen Eingriffen zu schützen, im Gegenteil: indem im Personenstandsgesetz nur zwei Geschlechter vorgesehen sind, tragen die Behörden bis heute sogar dazu bei, dass die Kinder unters Messer kommen. (In Ländern wie Australien oder Indien gibt es hingegen für Menschen mit uneindeutigem Geschlecht den Eintrag „anderes“.)
Der Erwachsenenpädagoge Ulrich Klemm lenkt den Blick gewissermaßen vom Körper auf den Kopf des Kindes. Ausgehend von der UN-Kinderrechtskonvention zeigt er, dass unser heutiges Schulsystem zentrale Rechtsbereiche nur bedingt umsetzt, das gelte sowohl für die Partizipations- als auch für die Versorgungs- und Schutzrechte.
Bayern, Nigeria und die Hölle
Um Kinder geht es auch in Roland Eberts Beitrag, zumindest mittelbar. Er wirft einen Blick auf die Aktivitäten der katholischen Kirche im Vorfeld des kommenden Rechtsanspruchs auf einen Kinderbetreuungsplatz. Ab 1. August 2013 soll dieser in Kraft treten und bereits jetzt wird allerorten Klage geführt, dass zuwenig Fachpersonal vorhanden sei. Da die katholische Kirche weiterhin daran festhält, dass Konfessionslose, Muslime, Buddhisten, Schwule, wiederverheiratete Geschiedene und andere der ewigen Verdammnis Anheimgegebene nicht in Sozialeinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft beschäftigt werden, muss sie ihren Personalbedarf anderweitig decken. In Bayern sieht es derzeit so aus, als wolle sie dies dadurch erreichen, dass sie – mit Hilfe des CSU-Filzes – staatliche Fachakademien für Sozialpädagogik übernimmt (so zuletzt geschehen in Haßfurt und Aschaffenburg). Wenn schon die Ausbildungsstätten katholisch sind, so offenbar die Kalkulation, dann wird es am Ende schon genug linientreue Erzieherinnen geben.
Leo Igwe, zuletzt Referent auf der Atheist Convention in Köln, gibt einen Überblick über die Situation der Atheisten in Nigeria. Dort ist Atheismus ein Tabu, Ungläubige haben einen sehr schweren Stand, ein normales Leben zu führen, sobald sie sich outen. Im muslimisch dominierten Norden, meint Igwe, gebe es nur zwei Orte für Atheisten: die Verborgenheit oder das Grab.
Einen sich andeutenden Paradigmenwechsel beschreibt Gerhard Rampp (ansonsten in der MIZ zuständig für die Internationale Rundschau). Denn die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen hat in ihrer Materialreihe eine Broschüre mit dem Titel „Vom interreligiösen Dialog zum Dialog der Weltanschauungen“ herausgebracht. Der allerdings, so schränkt Rampp ein, könne nur in Gang kommen, wenn dabei auch über die Privilegien der Kirche geredet wird.
Um Heavy-Metal geht es im Beitrag von Frank Welker. Sahen vor allem fundamentalistische Christen darin jahrzehntelang Botschaften des Bösen, gibt es mittlerweile eine christliche Metal-Szene. Und so mancher, der früher als „Vorzeigesatanist“ galt, gibt sich heute als frommer Christ...
Daneben gibt es Berichte über säkulare Veranstaltungen und Publikationen, Buchbesprechungen sowie die Internationale Rundschau mit einschlägigen Kurzmeldungen aus aller Welt.
Martin Bauer
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