„Die Achse der Abtrünnigen“

(hpd) Der Journalist Marco Carini geht in „Die Achse der Abtrünnigen. Über den Bruch mit der Linken“ der persönlichen und politischen Entwicklung ehemaliger Kommunisten von Arthur Koestler bis Götz Aly nach. Es handelt sich um eine überaus anregende und informative Darstellung, der allerdings ein wenig mehr Analyse gut getan hätte.

„Wer mit zwanzig kein Kommunist ist, hat kein Herz. Und wer mit vierzig immer noch Kommunist ist, hat keinen Verstand“ – lautet eine bekannte Aussage, die mal Winston Churchill, mal George Bernard Shaw, mal aber auch ganz anderen Personen zugeschrieben wird. Sie findet sich gleich zu Beginn eines Buchs, das der Journalist und Politikwissenschaftler Marco Carini mit dem Titel „Die Achse der Abtrünnigen. Über den Bruch mit der Linken“ veröffentlicht hat. Er geht darin dem Phänomen der „Renegaten“ nach. Hierbei handelt es sich um Kommunisten, die nach „Schlüsselerlebnissen“ mit der Ideologie und Partei brachen und ganz unterschiedliche politische Entwicklungen vollzogen. Der Autor fragt in der Einleitung: „Aus welchen Motiven wenden sich Linke vom Kommunismus und Sozialismus ab? Und welche biografischen Konsequenzen, welche politischen Neuverortungen sind das Resultat dieser Abkehr?“ (S. 8). Antworten auf diese Fragen wollen die personenbezogenen Fallstudien des Bandes geben.

Dabei wählt Carini eine historisch-chronologische Perspektive und widmet sich zunächst den „Renegaten“ der ersten Generation: Margarete Buber-Neumann, Arthur Koestler und Wolfgang Leonhard gehörten zu jenen früheren Kommunisten, die nach dem Hitler-Stalin-Pakt und den stalinistischen „Säuberungen“ den Bruch vollzogen. Für die zweite Generation spielte dann die Erfahrung der Repressionspolitik in der DDR von der Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 bis zum Bau der „Mauer“ am 13. August 1961 eine wichtige Rolle. Diese Ereignisse motivierten Heinz Brandt, Ralph Giordano und Alfred Kantorowicz in der Bundesrepublik Deutschland und Robert Havemann, Stefan Heym und Erich Loest in der DDR zum Bruch. Die dritte Generation der „Renegaten“ reagierte schließlich auf den Dogmatismus und Fanatismus der Achtundsechziger und der „Neuen Linken“. Hierfür stehen die heute noch in den Medien allgegenwärtigen Publizisten Götz Aly, Henryk M. Broder, Jan Fleischhauer, Richard David Precht und Klaus Rainer Röhl.

Der zweite, kürzere Teil über die „Abtrünnigen“ widmet sich ihrer öffentlichen Präsenz in Debatten über politische Themen, wozu die polarisierten Kontroversen über Achtundsechziger, Antisemitismus, DDR, „Dritte Wege“, Frieden, Gender, Islam oder Sarrazin gehören. Der Autor veranschaulicht dadurch, welchen hohen Anteil die „Renegaten“ für das politische Meinungsbild haben.

Hierbei kann man aber nicht von einer einheitlichen Linie der Positionen ausgehen. Ganz im Gegenteil, entwickelten sich die genannten Personen in die unterschiedlichsten Richtungen. Einige fanden den Weg nach ganz weit „rechts außen“, wofür Horst Mahler und Bernd Rabehl stehen. Einige polemisierten fanatisch gegen die „Linke“, was man bei Henryk Broder und Klaus Rainer Röhl ausmachen kann. In den erwähnten thematischen Kontroversen treffen die „Abtrünnigen“ dann auf „alte Bekannte“, wodurch sich mitunter die besondere Emotionalität und Schärfe der jeweiligen – auch persönlich geprägten - Auseinandersetzungen erklärt.

Carini legt mit seinem Band eine überaus informative Darstellung zum Thema vor. Er schreibt aber mehr wie ein Historiker und weniger wie ein Politikwissenschaftler. Mit detaillierteren Analysen und Einschätzungen hält er sich zurück. Carini bemüht sich um eine ausgewogene und faire Darstellung der jeweiligen Personen, worin die Stärke des Bandes zu sehen ist. Lediglich gegenüber manchen Repräsentanten der dritten „Renegaten“-Generation findet man polemische Bemerkungen. Wenn sich Broder wie „der Pöbler der Nation“ (S. 235) benimmt, dann sollte man ihn auch so nennen dürfen. Auch eine andere Formulierung des Autors ist durchaus angemessen: „Wer Broders Gleichklang von Israelkritik, Antizionismus und Antisemitismus zu Ende denkt, landet unwillkürlich bei einem Maulkorb“ (S. 218). Insofern hat man es in der Gesamtschau mit einem beachtenswerten und gelungenen Band zu tun. Der Untertitel ist allerdings bezogen auf alle „Abtrünnigen“ schief: Sie brachen alle mit dem „Kommunismus“, aber nicht alle mit der „Linken“. 

Armin Pfahl-Traughber

Marco Carini, Die Achse der Abtrünnigen. Über den Bruch mit der Linken, Berlin 2012 (Rotbuch-Verlag), 286 S., 14,95 €.