Das Theater mit der Abdankung

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Abdankungserklärung / screenshot

ODERNHEIM. (hpd) Der Ratzinger-Papst verabschiedet sich von seinem Papstamt mit einem Paukenschlag, den es so seit fast 600 Jahren nicht mehr gegeben hat, als nämlich Papst Coelestin V. nach ein paar dürren Regierungsmonaten auf sein Amt verzichtet hatte. Coelestin also der erste Resignationspapst, Benedikt XVI. in gehörigem Zeitabstand der zweite.

Ein Kommentar von Hubertus Mynarek

Nun überschlagen sich die Lobeshymnen auf ihn. Verstummt ist fast durchweg alle vorher teilweise so lebhafte Kritik an seiner radikal konservativ-restaurativen Kirchen- und Gesellschaftspolitik. Auch Kanzlerin Angela Merkel hat inzwischen vergessen, was sie einmal an harschen Worten über den Regierungsstil Benedikts vor allem bezüglich der Aufhebung der Exkommunikation für die „Pius-Brüder“ gesagt hatte, feiert ihn vielmehr nun als „einen der bedeutendsten religiösen Denker der Gegenwart“, der den „allerhöchsten Respekt“ verdiene. Nun lässt sie sich ja bekanntlich gern als Naturwissenschaftlerin apostrophieren, aber vom religiösen Denken der Gegenwart scheint sie auf jeden Fall nicht die geringste Ahnung zu haben. Der Bereich der Vergleichenden Religionswissenschaft jedenfalls kennt einen Denker namens Joseph Ratzinger oder Benedikt nicht.

Ratzinger war vor wie während seines Pontifikats immer nur Theologe, Kirchentheologe, der sich als Glaubenswächter und entschiedener Verteidiger der traditionalistischen Gestalt der Kirche verstand. Aber den Unterschied zwischen freier, voraussetzungsloser Religionswissenschaft und kirchengebundener, von der Voraussetzung der Wahrheit der Dogmen ausgehender Theologie kennen ja nur wenige Politiker und Journalisten. Da steht die Kanzlerin keineswegs allein da. Zwar hat Ratzinger noch vor Antritt seines Pontifikats ein Buch über die Weltreligionen herausgebracht. Aber dieses eine keineswegs religionswissenschaftlich überragende Werk macht ihn natürlich noch nicht zu einem bedeutenden religiösen Denker der Gegenwart. Selbstverständlich bläst Bundespräsident Joachim Gauck ergebenst und dienstbeflissen ins selbe Horn wie die Kanzlerin. Er sei „tief beeindruckt“ von „Ratzingers Weisheit“, seinem „großen Mut und seiner Selbstreflexion“.

Aber Gauck ist von Haus aus evangelischer Theologe und hat ähnlich wie seine protestantische Glaubensgenossin mit Religionswissenschaft wenig am Hut. Man erinnere sich, dass die meisten protestantischen Geistlichen des 20. Jahrhunderts von der Dialektischen Theologie Karl Barths infiziert waren, einer Theologie, die alle anderen Religionen als Teufelswerk, jedenfalls als nicht von Gott herkommend desavouierte und nur dem Glauben an Christus und dem Hören seines Wortes rechtfertigende und erlösende Wirkung zuschrieb. Konsequenterweise war durch diese Art von Theologie auch die Religionswissenschaft entwertet und spielte in der Mehrheit der evangelisch-theologischen Fakultäten dementsprechend keine Rolle. Vielleicht wirkt in dieser sehr minimalisierten Bedeutungssicht der Religionswissenschaft auch Altvater Luthers Degradierung der menschlichen Vernunft zu einer durch die Erbsünde verdorbenen Hure noch nach, denn natürlich stützt sich die Vergleichende Religionswissenschaft auf die historische und komparative Vernunft, während Theologen, selbst wenn sie sich anderen Religionen widmen, die Vorgabe ihrer Kirche nicht vergessen dürfen, dass aber nur die christliche Religion Offenbarungs- und Erlösungscharakter habe.

Auch die Ditib als größter islamischer Dachverband in Deutschland, die Benedikt als „Förderer des Dialogs unter den Religionen“ lobpreist, liegt da völlig falsch und will offenbar nichts mehr davon wissen, was der Papst in seiner berühmt-berüchtigten Vorlesung an der Uni Regensburg im September 2006 dem Propheten Mohammed attestiert hat, nämlich nichts Neues, dafür aber „nur Schlechtes und Inhumanes“ gebracht zu haben. Zwar zitierte Ratzinger in diesem Zusammenhang den byzantinischen Kaiser Manuel II., aber dies in keinen Zweifel zulassender Zustimmung zu diesem.

Praktisch die ganze islamische Welt tobte damals ob der exklusiven Zuschreibung der Glaubensverbreitung durch das Schwert allein an den Islam, so als ob das Christentum stets nur friedliche Völkerbekehrung betrieben hätte: Aber, wie sich zeigt, hält sich jetzt auch der islamische Dachverband an die lateinische Maxime „De mortuis nihil nisi bene“. Zwar lebt Ratzinger physisch noch, aber für die offizielle Vatikan-Politik ist er nach der offiziellen Verkündigung seines Verzichts auf das Papstamt bereits geistig tot. (Indirekt wird Ratzinger allerdings evtl. noch lange nachwirken, denn er hat eine ganze Reihe von konservativen Klerikern zu Kardinälen erhoben, die dann den nächsten Papst in seinem Sinne wählen werden.)

Und auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, hat offenbar in dieser Hinsicht kein gutes Gedächtnis, wenn er ohne Einschränkung „die Verdienste des Papstes um die Zusammenarbeit von Christen und  Juden“ hervorhebt, ohne ein einziges Wort darüber zu verlieren, dass der Papst in die Karfreitagsliturgie wieder den Passus über die verstockten Juden einführte, für deren Bekehrung Christen beten müssten.

Wenn schon so viele Stimmen von außerhalb der Kirche den Papst ohne tatsächliches Fundament in der Sache so überschwänglich loben, müssen zwangsläufig von vornherein noch größere Lobeshymnen seitens der katholischen Theologen auf den Papst erwartet werden und tatsächlich: Der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz von Elst beispielsweise, nicht gerade positiv aufgefallen durch den kostspieligen Bau seines Bischofspalastes und seine Flugreise in der First-Class-Luxuskabine zu den Ärmsten der Armen in Indien, bezeichnet Benedikt als einen „brillanten Theologen, der mit seinen klaren Worten Halt und Orientierung“  gegeben habe. Der Bischof erinnere sich gerne an die persönlichen Begegnungen mit dem Heiligen Vater, die „stets geprägt gewesen seien von der geistlichen Tiefe, dem theologischen Wissen und der Sorge des Papstes um die Weitergabe des Glaubens“. Da hat aber der Bischof einen ganz und gar wesentlichen Punkt seiner vollen Übereinstimmung mit dem Papst vergessen, nämlich die außerordentliche Prunksucht der Beiden. Bekanntlich hat der bis zu seiner Papstwahl stets bescheiden daherkommende Ratzinger nach derselben einen ungeheuren Luxus sowohl in Bezug auf seine eigene päpstliche Gewandung als auch auf die Insignien päpstlicher Herrschaft entfaltet, die er aus den verstaubten Schatzkammern des Vatikans wieder hervorgeholt und zu neuer Geltung gebracht hat. Merke: Den Massen imponiert man nur mit Äußerlichkeiten, mit äußerem Gepränge.

Lobt Bischof Tebartz den Papst als „brillanten Theologen“, so kann natürlich Bischof Lehmann von Mainz hinter diesem Diktum nicht zurückstehen. Für Lehmann ist nun also der Ratzinger-Papst „als großer Lehrer des Glaubens in die Geschichte des Papsttums eingegangen“. Er habe unserer Gegenwart „seine spirituelle und intellektuelle Kraft“ geschenkt. Seine zwei Bände über die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils und sein dreibändiges Werk über das Leben Jesu „bilden in ihrer spirituellen und theologischen Synthese … eine ganz wichtige Nahrung und verlässliche Orientierung für den Weg der Kirche in die Zukunft“.

Wie gesagt: „De mortuis nihil nisi bene!“ Denn auch Bischof Lehmann will offenbar nicht mehr wahrhaben, dass sich Ratzinger noch als Chef der Glaubenskongregation mit seinem großen Einfluss im Vatikan heftig gegen eine Ernennung Lehmanns zum Kardinal wehrte und damit auch lange beim Wojtyla-Papst Erfolg hatte. Der immer vorsichtige und etwas ängstliche Ratzinger, der ja auch die Missbrauchsskandale seiner Kleriker lange, viel zu lange unter den Tisch kehrte, fürchtete natürlich unter anderem auch, dass das Image des Papsttums beschädigt werden könnte, wenn es einen Bischof, der jahrelang seine Wohnung mit einer Frau geteilt hatte, zum Kardinal erheben würde. Diese Frau, Redakteurin einer Düsseldorfer Zeitung, war ja auch zu intelligent, um sich nur als Haushälterin Lehmanns zu verstehen. Der Biograf Lehmanns hat diesen Sachverhalt sehr zurückhaltend beschrieben, aber in Klerikerkreisen ging man damit weit offener um.

Andererseits hat aber Lehmann derart viele Verdienste für die Kirche, dass man ihm den Kardinalshut auf die Dauer nicht vorenthalten konnte. Er hatte glänzende Verbindungen zu vielen Konzernherren und Groß-industriellen in der Bundesrepublik und zu deren zahlreichen Clubs und Vereinigungen. Außerdem leistete Lehmann gute Informationsdienste über die Situation der Kirche in Deutschland und die Stimmung unter führenden Theologen. Selbst der gemäßigt progressive, seine Treue zur Kirche stets betonende Hans Küng beschwert sich in seinen Memoiren über so manche gegen ihn gerichtete Aktion Lehmanns. Küngs Charakterisierung zufolge erwies sich Lehmann als ein zwiespältiger Mensch, der ständig zwischen seiner begrenzten Freundschaft zu Küng und seinem Ehrgeiz, eine große Kirchenkarriere zu machen, lavieren musste. Er wollte mindestens Bischof und Kardinal werden, also musste er, um Rom zu gefallen, sich auch immer wieder den innerkirchlichen Gegnern Küngs anbiedern.