Ist Kritik am Islam automatisch rassistisch?

Sunnitisch-schiitisches Gewaltpotential

Aber bin ich deswegen anti-muslimisch? Schließlich setze ich mich für die körperliche Unversehrtheit von weiblichen und homosexuellen Muslimen ein. Das gilt auch im großen Maßstab. Denn die ersten Opfer des Islam sind weder Juden, noch Christen, noch Atheisten, sondern Muslime selbst. Das sunnitisch-schiitische Gewaltpotential, das den Irak seit 2003 und Syrien seit 2011 zerstört, betrachte ich mit Abscheu, seine Opfer jedoch mit Mitleid. Der sudanesische Präsident Umar al-Baschir, der in Darfur hunderttausende Muslime ermordet, steht einer islamistischen Regierung vor. Auch dürfte wenigen bekannt sein, dass nicht nur Israel für den Tod tausender Palästinenser verantwortlich zu machen ist, sondern auch Jordanien und Syrien. Genauso fallen der „Intrafahda“ zwischen Hamas und Fatah Muslime zum Opfer.

Natürlich zieht harte Islamkritik immer auch den Vorwurf nach sich, sie wäre die perfekte Begründung für Militäroperationen gegen islamische Staaten. Dafür gibt es genug Beispiele, doch auch die gegenteilige Auffassung birgt Gefahren. So kann man dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush vorwerfen, zu unkritisch seinen neokonservativen Beratern gelauscht, oder nur wirtschaftliche Interessen verfolgt zu haben, jedoch nicht, als Kreuzritter den Islam vernichten zu wollen. Als er sich kurz vor Beginn des Irakkrieges mit Exilpolitikern traf, die ihm das sunnitisch-schiitische Schisma erklären wollten zeigte er sich verdutzt: „Ich dachte, die Iraker wären Muslime.“ Vermutlich wurde der Irakkrieg vor allem deshalb zum Desaster, weil sich Bush des enormen islamischen Gewaltpotentials nicht voll bewusst war.

Die Vorbereitungen für die Invasion wurden hauptsächlich von Verteidigungsminister Rumsfeld und Vizepräsident Cheney vorangetrieben. Die Einnahme Bagdad gelang der US-Armee fast mühelos. Die Einschätzung, dass aber nur 30.000 US-Soldaten nach dem Sturz der Diktatur für Ruhe und Ordnung sorgen könnten, war eine allzu optimistische Hoffnung. Auch nachdem der US-Präsident die Parole „mission accomplished“ ausgegeben hatte, gab es weitere Terroranschläge. Bush musste einsehen, dass die Pläne über eine kleine Besatzungsmacht nicht länger zu halten waren. Der Abzug der großen Invasionstreitmacht wurde gestoppt, ca. 150.000 amerikanischen Soldaten blieben in den Folgejahren als Provisorium im Land. Auch sie konnten die Eskalation der Gewalt von 2005 bis 2006 nicht verhindern. Erst als der US-Präsident 2007 weitere 20.000 Soldaten in den Irak schickte, konnte er den Terrorismus im Land entschieden zurückdrängen und die Zahl der toten Zivilisten deutlich senken. Nach dem Abzug der US-Truppen stieg die Gewalt im Irak wieder leicht an.

Das Projekt Iraqbodycount wurde 2003 von Kriegsgegnern ins Leben gerufen und will die Toten, die Bushs Feldzug hinterlassen hat, zählen. Obwohl man der Website keine Sympathien für die Expansionsgelüste der Neocons unterstellen kann, bestätigt sie, dass „nur“ ca. 13 Prozent der zivilen Opfer im Irak von der US-Armee und ihren westlichen Alliiert getötet wurden. Größtenteils sind die rivalisierenden Konfessionen der Sunniten und Schiiten, sowie die realpolitischen Interessen der Anrainerstaaten verantwortlich für den Tod von schätzungsweise 150.000 Irakern.

Bush betonte immer wieder, dass er keineswegs im Krieg mit dem gesamten Islam stehe, sondern nur einzelne Extremisten ausschalten wolle. Die Mehrheit der Muslime sei friedlich und bereit, die Demokratie anzunehmen, die die USA ihnen schenken wollten. Wer sich seine miserable Besatzungspolitik anschaut, die er erst im allerletzten Moment und unter starkem innenpolitischen Druck änderte, kann zu dem Schluss kommen, dass Bush tatsächlich glaubte, was er sagte und das islamische Gewaltpotential unterschätzte.

Auf lange Sicht hat sein verheerender Feldzug unbequeme neue Realitäten geschaffen. Saddam Husseins weitgehende säkulare und von sunnitischen Eliten getragene Diktatur liegt am Boden. Die neue schiitisch geprägte Regierung des Landes sucht den Schulterschluss mit den Glaubensbrüdern im Iran. Präsident Ahmadinedschad kann im Atomstreit die UN-Sanktionen dank des neugewonnenen Vasallenstaates mühelos umgehen.

Doppelmoral

Ungeachtet dessen kann Islamkritik natürlich rassistische Züge annehmen. Allen Muslimen Nähe zum Terrorismus zu unterstellen, ist höchst bedenklich. Dies pauschal allen islamisch aussehenden Menschen vorzuwerfen, kann nur als rassistisch bezeichnet werden. Erst vor wenigen Wochen hatte eine New Yorkerin einen hinduistischen Inder vor eine einfahrende U-Bahn gestoßen und damit getötet, weil sie ihn wegen seines fremdländischen Erscheinungsbildes für einen Terroristen hielt. Ihre Tat erklärte die Frau damit, dass sie sich an den Hintermännern der Anschläge vom 11. September 2001 rächen wolle.

Genauso kann auch eine völlig berechtigte Kritik am Islam einen üblen Nachgeschmack hinterlassen, wenn sie sich erkennbar zweierlei Maß bedient. Man kann einem fundamentalistischen Christen nicht verübeln, dass er die Hinrichtung Schwuler im Iran anprangert. Wenn er aber bald darauf warnt, dass die Legalisierung der Homoehe zum Untergang des Abendlandes führe, hat er seine Glaubwürdigkeit verspielt. Die Doppelmoral, wie man sie auf Websites wie beispielsweise politically incorrect findet, nimmt teilweise amüsante Züge an. So wurde dort kürzlich die mangelnde Bildung britischer Muslime belächelt, da sie die Evolutionslehre mehrheitlich ablehnen. Umgekehrt war nur wenige Tage später ein Artikel zu finden, der den Kreationismus der republikanischen Präsidentschaftskandidaten in den USA verteidigte.  

Rassismusvorwurf sitzt locker

Das alles sind Differenzierungen, die sich eigentlich von selbst verstehen sollten, und die schnell klar machen, ob man es mit berechtigter oder überzogener Islamkritik zu tun hat. Im linksextremen Lager sitzt der Rassismusvorwurf jedoch traditionell locker und trifft oft auch Humanisten. Hier aber lediglich eine gut gemeinte, jedoch übersteigerte Sensibilität gegenüber Fremdenfeindlichkeit, infolge der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft anzunehmen, greift zu kurz. Viele Kommunisten stehen dem Islam deshalb unkritisch gegenüber, weil sie ihn als Bündnispartner im Kampf gegen US-Imperialismus und Israel benötigen. Sie bemerken dabei nicht, wie sehr sich ihre Position mit derer Hitlers deckt, der aus ganz ähnlichen Motiven gegenüber Großmufti al-Husseini bereit war, ihn zu unterstützen.

Linker Antizionismus

Bei der, in ihren Augen legitimen, Kritik am Staat Israel handelt es sich um einen Antizionismus, der in der Grauzone zum Antisemitismus anzusiedeln ist. Oft genug gerieten explizit Juden in das Visier linksextremer Gruppierungen. Die Tupamaros, Stadtguerilla aus Berlin, hatten sich während des Sechstagekrieges 1967 radikalisiert und attackierten Israel scharf. Am 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, platzierten sie eine Bombe im Jüdischen Gemeindehaus Berlin. Diese zündete nur wegen technischer Mängel nicht. Unter den Anwesenden des damaligen Tages befand sich auch Heinz Galinski, erster Vorsitzender des Zentralrats der Juden.

Deutsche und palästinensische Terroristen entführten 1976 gemeinsam eine Maschine der Air France, die von Tel Aviv nach Paris fliegen sollte. Die Piloten wurden gezwungen, Uganda anzusteuern, das Israel feindselig gegenüberstand. Auf dem Flughafen von Entebbe selektierte der Begründer der „Revolutionären Zellen“, Wilfried Böse, jüdische Passagiere ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft aus. Die übrigen Insassen des Flugzeugs wurden freigelassen. Im Zuge der Befreiungsaktion durch das israelische Militär starben vier Geiseln, alle Terroristen, sowie der Offizier Jonathan Netanjahu, dessen Bruder indessen bis zum Ministerpräsidenten aufgestiegen ist.

Die Fernsehserie „Holocaust“, die 1979 die bundesrepublikanische Gesellschaft erschütterte und sie zwang, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, hätte eigentlich bei Kommunisten auf viel Lob stoßen müssen. Schließlich wurden die nationalsozialistischen Verbrechen von vielen Deutschen lieber ausgeblendet. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Statt einer jüdischen Familie hätte man Protagonisten aus der Arbeiterklasse zeigen sollen, da es sich bei ihnen um die genuineren Opfer Hitlers handele. Die „Gleichsetzung von Faschismus und Judenverfolgung“ wurde beklagt. (S.36)

Der nationalsozialistische Rassismus werde nur gezeigt, um den zionistischen Rassismus gegen die Palästinenser zu rechtfertigen. Im damaligen Klima wurde auch die Kollektivschuldthese als rassistischer Angriff des amerikanischen Kapitals gegen das deutsche Volk beklagt. In den Augen der Kommunisten solle sie von der Komplizenschaft des deutschen Kapitals und dem Widerstand der Arbeiterklasse in den Jahren von 1933 bis 1945 ablenken.