(hpd) Der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar geht in seinem Buch den Hintergründen von vier Anschlägen im Februar 1970 nach. Für seine Auffassung, wonach es sich hierbei um eine Kooperation von deutschen und palästinensischen Terroristen gehandelt habe, kann er indessen keine definitiven Belege, aber sehr wohl einige Indizien präsentieren.
Der Satz „... wann endlich beginnt bei Euch der organisierte Kampf gegen die heilige Kuh Israel?“ findet sich in einem „Brief aus Amman“, der von dem Achtundsechziger Kommunarden Dieter Kunzelmann in der Szene-Zeitschrift „Agit 883“ im November 1969 veröffentlicht wurde. Nur wenige Tage zuvor kam es unter seiner Anleitung zu einem Anschlagsversuch auf das Jüdische Gemeindezentrum in Berlin, ausgerechnet am Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November. Die Bombe explodierte nicht – ob aus politischer Absicht oder aus technischem Versagen nicht ist bis heute ungeklärt. Ihr zum Opfer gefallen wären ältere Juden, meist Überlebende des Holocaust. Der Initiator war kein Alt- oder Neonazi, sondern ein „Linker“, der seine Solidarität mit den Palästinensern damit zum Ausdruck bringen wollte.
Diese Geschichte arbeitete der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar, Mitarbeiter im Hamburger Institut für Sozialforschung, akribisch in seinem bereits 2005 erschienenen Buch „Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus“ auf.
Der einleitend erwähnte Satz bildet auch den Haupttitel eines Nachfolgebandes zum Thema, der den Untertitel „München 1970: über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus“ trägt. Darin geht er ausführlich auf fast 900 Seiten den Hintergründen von vier Anschlägen im Februar 1970 nach: Am 10. Februar scheitert die geplante Entführung einer El-Al-Maschine durch ein palästinensisches Terrorkommando dank des beherzten Eingreifens eines Passagiers in München-Riem, wobei ein Mensch getötet und elf Menschen schwer verletzt wurden. Am 13. Februar findet ein Brandanschlag auf die Israelitische Kultusgemeinde München statt, wobei sieben Bewohner getötet und neun verletzt werden. Am 21. Februar muss ein Flugzeug der Austrian Airlines aufgrund eines Bombenanschlags notlanden, wobei es aber glücklicherweise keine Verletzten gab. Und am gleichen Tag stürzt eine Maschine der Swissair in Richtung Tel Aviv ebenfalls aufgrund eines Anschlags ab, wobei 38 Passagiere und neun Besatzungsmitglieder ums Leben kommen.
Auch für die beiden letztgenannten Aktion werden palästinensische Terroristen verantwortlich gemacht. Der opferreiche Brandanschlag auf die Israelitische Kultusgemeinde war seinerzeit für den späteren Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland Heinz Galinski die Fortsetzung des Anschlags vom 9. November 1969. Auch für Kraushaar ist dem so. Er geht darüber hinaus von einem inneren Zusammenhang der Ereignisse aus: „Denn es ist zu fragen, ob die Abfolge mehrerer terroristischer Aktionen innerhalb von nur wenigen Tagen an ein und demselben Ort mehr als nur ein Zufall gewesen ist. Es spricht einiges dafür, dass es sich hier um eine Serie handelte, hinter der möglicherweise ein Regisseur gestanden hat. Eines aber steht auf jeden Fall fest: die Anschläge verbindet eine gemeinsame Zielsetzung. Sie richteten sich gegen israelische Staatsbürger und in der Bundesrepublik lebende Juden“ (S. 673). Für Kraushaar sind sie darüber hinaus die Folge einer engen Kooperation deutscher Linksterroristen und palästinensischer Nationalterroristen.
Dafür kann der Autor indessen keine Beweise, sondern lediglich Indizien vorlegen. Sie bestehen in Hinweisen auf die fanatisch antiisraelische Prägung von Achtundsechzigern wie Dieter Kunzelmann und Fritz Teufel, die auch nachweislich enge Kontakte mit palästinensischen Terroristen pflegten. Doch aus politischen Verbindungen müssen noch nicht notwendigerweise gemeinsame Gewaltaktionen folgen. Genau dies legt der Autor aber mit seiner Darstellung nahe, ohne es aber dezidiert behaupten oder beweisen zu können.
So sehr man seine Fachkenntnis und seinen Rechercheeifer schätzen mag, so viel Skepsis und Zurückhaltung bedarf es dann doch gegenüber dieser zugespitzten Deutung. Kraushaar listet eine Reihe von Fakten auf, welche dazu passen. Er ignoriert aber gegenteilige Gesichtspunkte, was dann nicht für seine Differenziertheit spricht. Auch hätte er die These aus dem Untertitel „über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus“ näher erläutern können. So bleiben all zu viele Fragen zu einem interessanten Kapitel der Nachkriegsgeschichte offen.
Armin Pfahl-Traughber
Wolfgang Kraushaar, „Wann endlich beginnt bei euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?“ München 1970: über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus, Reinbek 2013 (Rowohlt-Verlag), 875 S., 39,95 €.