Die Ampelkoalition war auch aus säkularer Sicht eine herbe Enttäuschung: SPD, FDP und Grüne haben das historische Zeitfenster nicht genutzt, um längst überfällige Gesetzesänderungen durchzusetzen und die weltanschauliche Neutralität des Staates zu stärken. Eine KI hätte diese Aufgabe wohl besser bewältigt, wie ein Gesetzentwurf von ChatGPT zeigt.
KI-Programme sind nicht wirklich "intelligent", sie verwenden bloß das ihnen vorliegende Datenmaterial, um Antworten zu erzeugen, die im Hinblick auf eine bestimmte Fragestellung als sinnvoll erscheinen könnten. Der Vorteil von KI-Programmen besteht allerdings darin, dass sie keine religiös-weltanschaulichen Vorlieben haben und zur Erledigung einer Aufgabe alle vorliegenden Daten (etwa Gesetzestexte) unvoreingenommen berücksichtigen.
Im vorliegenden Fall hatte der Zentralrat der Konfessionsfreien dem KI-Programm ChatGPT folgende Aufgabe gestellt: "Entwerfe ein Gesetz für eine wegweisende, umfassende gesetzliche Reform zum Religions- und Weltanschauungsrecht, welche die Gleichbehandlung sämtlicher Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie aller Bürgerinnen und Bürger sicherstellt!" Der Vorschlag, den ChatGPT in Sekundenschnelle erarbeitet hat, ist bemerkenswert. Denn das KI-generierte "Gesetz zur Stärkung der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates und der individuellen Freiheit (Religionsfreiheitsgesetz)" stellt alles in den Schatten, was die Ampelregierung und sämtliche ihrer Vorgängerregierungen auf diesem Gebiet jemals produziert haben.
In seiner gestern erschienenen Pressemitteilung hat der Zentralrat der Konfessionsfreien darauf aufmerksam gemacht, dass Artikel 140 des deutschen Grundgesetzes, der die staatskirchenrechtlichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung von 1919 unverändert übernommen hat, "weder in den säkularen Staat noch in die plurale, offene Gesellschaft" passt. Dies werde zunehmend zu einem gesellschaftlichen Problem, denn das "veraltete Staatskirchenrecht aus Artikel 140" sei, so Zentralrats-Vorsitzender Philipp Möller, "ein offenes Einfallstor für islamistische Ideologien, die den Werten unseres Grundgesetzes den Kampf angesagt haben".
"Religionspolitik aus der Mottenkiste" stärkt Islamisten und Rechtsextreme
"Dies ist ein entscheidender Punkt der Argumentation, den bislang kaum ein politischer Akteur auf dem Schirm hat", erklärt der Philosoph und Vorstand der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt-Salomon. "Schließlich kann ein weltanschaulich neutraler Rechtsstaat Islamverbänden nicht verwehren, was er christlichen Kirchen gewährt. Wir brauchen deshalb eine größere Distanz zwischen Politik und Religion. Mitunter hat man allerdings das Gefühl, dass die deutsche Politik in jener Zeit stehengeblieben ist, aus der Artikel 140 stammt. Leider haben nur sehr wenige begriffen, dass man den Herausforderungen des Politischen Islam nicht mit religionspolitischen Regelungen begegnen kann, die vor mehr als 100 Jahren, kurz nach dem Ende des deutschen Kaiserreichs, beschlossen wurden. Letztlich hat dies zu einer Politik geführt, die 'Integration behindert und Extremisten stärkt', wie es der Arbeitskreis Politischer Islam (AK Polis) unlängst auf den Punkt gebracht hat."
Hier räche sich, "dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes weder die Zeit noch den Willen hatten, eigene religions- und weltanschauungspolitische Regelungen in die Verfassung aufzunehmen, die mit dem neuen Grundrechtskatalog kompatibel waren", erläutert der Stiftungssprecher: "Um Streit mit den Kirchen zu vermeiden, schien es eine gute Lösung zu sein, die alten Regelungen aus der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz zu integrieren. Wohl keine der beteiligten Personen hat sich zu diesem Zeitpunkt vorstellen können, dass siebeneinhalb Jahrzehnte später die Mehrheit der Bevölkerung gar keinen Bezug mehr zur Religion hat beziehungsweise dass eine kleine, radikale Minderheit alles daran setzen würde, die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch einen islamistischen Gottesstaat zu ersetzen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich radikal geändert, doch die Religionspolitik ist auf dem Stand von 1919 stehengeblieben. Von dieser 'Religionspolitik aus der Mottenkiste' haben Islamisten und Rechtsextreme gleichermaßen profitiert."
Umso wichtiger sei es nun, die Religionspolitik zu modernisieren – und in diesem Zusammenhang könne man den ChatGPT-Entwurf tatsächlich als "bahnbrechenden Impuls für die notwendige religionspolitische Zeitenwende" verstehen, wie es Philipp Möller in der Pressemitteilung des Zentralrats der Konfessionsfreien formuliert hat. Tatsächlich würde "das von ChatGPT generierte 'Religionsfreiheitsgesetz' die Offene Gesellschaft stärken und Extremisten schwächen", meint Schmidt-Salomon. Gleichzeitig werfe das Experiment des Zentralrats jedoch eine verstörende Frage auf: "Wie kann es sein, dass eine KI, die gar kein Verständnis von dem hat, was sie formuliert, bessere Lösungsvorschläge unterbreitet als die Mehrheit unserer Berufspolitikerinnen und -politiker, von denen man doch zumindest annehmen darf, dass sie einigermaßen verstehen, was sie tun?! Was sagt dies über unser politisches System aus und welche Schlüsse sollte man daraus ziehen? Sollte man die Bundesregierung durch eine KI ersetzen?"
Weshalb unterbreitet eine KI bessere Vorschläge als die deutsche Politik?
Eigentlich sollte man erwarten, "dass politische Entscheidungen im demokratischen Rechtsstaat von zwei maßgeblichen Größen bestimmt werden, nämlich den Vorgaben der Verfassung und dem Meinungsbildungsprozess in der Bevölkerung", sagt Schmidt-Salomon. "Beides wird jedoch häufig ignoriert. So hat der Deutsche Bundestag 2015 gegen das Votum von 80 Prozent der Bevölkerung und trotz der scharfen Kritik der führenden Strafrechtsprofessoren ein 'Sterbehilfeverhinderungsgesetz' (§ 217 StGB) verabschiedet, das später vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt wurde. Fragt man sich, wie es zu solch gravierenden Fehlentscheidungen kommen kann, gelangt man zu drei Faktoren, die im politischen Prozess deutlich wichtiger sind als die Verfassung oder der Bevölkerungswille, nämlich erstens die politische oder weltanschauliche Voreingenommenheit der jeweiligen Parlamentarier, zweitens die Interessen der Lobbyisten, die die politische Klasse umschwärmen wie Motten das Licht, und drittens die verheerende Wirkung parteipolitischer Sandkastenspiele, bei denen es weniger um die Lösung realer Probleme geht als um parlamentarische 'Tricks und Deals', von denen man sich eine Verbesserung der eigenen Machtposition erhofft."
Letzteres war, so Schmidt-Salomon, "in der vergangenen Woche gut zu beobachten, als die FDP, die einst entschieden für die Liberalisierung eintrat, zusammen mit CDU/CSU eine parlamentarische Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs verhinderte": "Dies geschah allein aus parteipolitischen Erwägungen heraus, obgleich die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung für eine Reform des Paragrafen 218 StGB eintritt und obwohl die geltenden Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch in vielfältiger Weise gegen das Grundgesetz verstoßen. Da es sich hierbei keineswegs um einen Einzelfall handelt, ist die Politikverdrossenheit, die sich in weiten Teilen des Landes eingenistet hat, verständlich."
Insgesamt müsse man feststellen, "dass die Ampelkoalition das historische Zeitfenster, das sich ihr bot, nicht genutzt hat, um eine säkulare Position zu etablieren, mit deren Hilfe sich auch die vielfältigen Probleme der Integrations- und Migrationspolitik besser hätten lösen lassen", sagt der Stiftungssprecher. "Allerdings handelt es sich dabei keineswegs um ein exklusives Problem von SPD, FDP und Grünen. Mit Blick auf die Wahlprogramme der aussichtsreichen Parteien sehe ich momentan keine einzige politische Kraft, die in weltanschauungspolitischer Hinsicht auf der Höhe der Zeit wäre." Bedauerlicherweise könne da auch ChatGPT nicht weiterhelfen: "Eine KI ist immer nur so gut wie die Daten, auf die sie zurückgreifen kann. Der Zentralrat der Konfessionsfreien hat ChatGPT mit hervorragenden verfassungsrechtlichen und religionssoziologischen Texten gefüttert. Hätte er der KI stattdessen die Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien zugrunde gelegt, wäre der Gesetzentwurf weit weniger erfreulich ausgefallen."

12 Kommentare
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Kommentare
Luca Müller am Permanenter Link
warum rufen wir nicht gleich nach Elon Musk? "Elon" klingt hübsch nach Erlöser, Erleuchtung, Fortschritt: "Big Tech", garantiert säkular, es geht nur um Weltherrschaft. Versprochen!
Die Giordano Bruno Stiftung wird immer erratischer.
(nachgeschaut: "Elon (אֵילוֹן in Hebrew) is a masculine first name, or Jewish surname, which means "oak tree" in the Hebrew language.")
JC am Permanenter Link
Ich denke seit einiger Zeit: Demokratie führt offensichtlich letztlich immer wieder zu einem Kabinett Putin, Trump, Hitler...
Luca Müller am Permanenter Link
Sie können natürlich Ihren Kopf an der Garderobe abgeben, wenn Sie meinen, dass das die Lösung ist.
Michael Fischer am Permanenter Link
Na ja, er hat vermutlich nicht ganz Unrecht. Demokratien sollten wehrhaft sein, und daran hapert es offenbar ganz erheblich.
Luca Müller am Permanenter Link
und deshalb überlassen wir die Politik – und unser Leben – der KI? Echt super Idee ...
Petra Pausch am Permanenter Link
Um die Frage in der Überschrift zu beantworten: "Nein".
lachmann am Permanenter Link
KI / AI ist nicht objektiv in ihren Urteilen.
AI kann ein Hilfsmittel sein, aber mehr nicht.
Die Diskussion um "deepseek" macht das deutlich.
Prof. Dr. Sabine T. Köszegi Professorin TU Wien sagt dazu:
"es entsteht eine Illusion von Objektivität bei der Nutzung von KI-Systemen, die nicht gerechtfertigt ist."
Petra Pausch am Permanenter Link
"KI / AI ist nicht objektiv in ihren Urteilen. AI kann ein Hilfsmittel sein, aber mehr nicht." Genau so ist es.
==warrior_of_re... am Permanenter Link
Wenn die KI den Menschen ersetzt, ist das aber egal. Wer wird auf Menschen setzen, wenn sie viel fehleranfaelliger, teurer und langsamer sind?
Gernot Back am Permanenter Link
Erstaunlich, dass ChatGPT den Satz des Zentralrats der Konfessionsfreien überhaupt als Handlungsaufforderung verstanden hat: »Entwerfe ein Gesetz …« kann in der 1. Pers. Sg.
https://de.wiktionary.org/wiki/entwerfen
Lachmann am Permanenter Link
Der letzte Abschnitt des Artikels beschreibt ja ziemlich gut "was ist".
Es gibt wohl die Gefahr, dass Menschen mittels KI versuchen eine Unfehlbarkeit zu erlangen.
Real Human am Permanenter Link
Was den Elon betrifft, so sind seine bisherigen Auslassungen zu einer Artificial General Intelligence (AGI) sehr verschiedenartig.
Andererseits streitet Musk um eine Übernahme von OpenAI, lässt aber auch ein eigenes KI-Projekt „Grok 3“ entwickeln. Siehe z.B. „Musks kontroverse KI-Pläne“ auf tagesschau.de!
Der Wikipedia-Artikel „Existenzielles Risiko durch künstliche Intelligenz“ beschäftigt sich sehr ausführlich mit dem Thema Artificial General Intelligence (AGI). (Stand 5. Februar 2025 um 00:19 Uhr.)
Interessant finde ich, dass wir von einer KI-Superzivilisation im Kosmos bis jetzt nichts wissen, obwohl es für eine solche wohl sehr leicht wäre, Kontakt mit uns aufzunehmen. Die bekannteste Beschäftigung mit diesem (wissenschaftlich!) noch nicht gelösten Rätsel ist das „Fermi-Paradoxon“. Darauf gibt es wissenschaftliche aber auch kreationistische Antworten. Das aktuelle Google verweist mich z.B. auf creation.com/fermi-paradoxon, in dem behauptete wird: „Die ‚Macht des evolutionistischen Weltbilds‘ verblendet die Menschen“.
Ich halte es da eher mit Stephen Hawking und der Darstellung z.B. auf „Das Fermi-Paradoxon in 100SekundenPhysik.“
Überhaupt erinnert mich die weit verbreitete KI-Skepsis an die Reaktion der damaligen Katholischen Kirche auf Giordano-Brunos Vielweltentheorie. Auch die das Putinregime inspirierende Russisch-Orthodoxe Kirche wittert im Transhumanismus eine existenzielle Gefahr. Ähnlich wie im SF-Film „Colossus“ (USA 1970) könnte ja eine humanistisch gesonnene Super-KI die Weltherrschaft übernehmen und den egomanischen Machtspielen der aktuell auftrumpfenden Autokraten ein baldiges Ende bereiten?
@ Lachmann: „Unfehlbarkeit von Menschen durch eine Super-KI“? Das wäre etwa so, wie wenn mein Haustier vermittels „Alexa“ oder „Siri“ über mich bestimmen würde. …
Zugegeben: Das Marketing über Smartphone-Apps ist bei allzumenschlichen Fast-Zombies schon sehr wirkmächtig! Aber die dort wirksamen Algorithmen stammen immer NOCH von kapitalabhängigen – oft allzumenschlichen – Programmierknechten und nicht von einer geistig unabhängigen übermenschlichen (Nietzsche!) AGI! Eine echte AGI könnte vielleicht mehr als nur den Kapitalismus infrage stellen?