Kirchensteuer auf dem Prüfstand

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Kirche und Geld / Foto: S. Hofschlaeger (pixelio.de)

BERLIN. (hpd) Aus verschiedenen Parteigliederungen der politischen Parteien – mit Ausnahme der CDU/CSU – sind in den vergangenen zwei Wochen Überlegungen laut geworden, die Kirchensteuererhebung und die Staatsleistungen an die Kirche zu überprüfen und beides neu sowie anders zu gestalten. Eine Chronik und Bestandsaufnahme.

Als die Piraten-Partei im Mai 2012 im Berliner Abgeordnetenhaus die Forderung erhob, dass die Kirchensteuer nicht mehr vom Staat eingezogen werden dürfe, hat das medial eigentlich niemanden interessiert.

Wenn dieses Jahr vom Geld der Kirche die Rede war, dann u. a. die Tatsache, dass die Kirche für die Finanzierung von Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft nichts beiträgt, oder dass künftig auch für Kapitalerträge von Kirchenmitgliedern automatisch die Kirchensteuer abgeführt wird und es „Mehr Geld für die Kirchen“ geben wird.

Dann gab es vor Ostern einen kleinen medialen Donnerhall, als die FDP in Sachsen „für die Abschaffung von Kirchensteuer und Religionsunterricht“ plädierte. Ein Beschluss des Landesparteitags, der „Christen in der Koalition empört“.

Eine Entscheidung, die, zeitversetzt, bis in die russischen Medien vordrang, wie die Tageszeitung Kommersant (auf russisch) und die Agentur RIA Novosti (auf deutsch).

Die FDP in Sachsen bekam Unterstützung vom FDP-Chef in Thüringen und vom Chef der Jungen Liberalen, Lasse Becker.

Dann zeigte der Apostolische Nuntius in Deutschland, Jean-Claude Perisset, in einem Interview der Mittelbayerischen Zeitung seine Unkenntnis zur Kirchenfinanzierung in Deutschland, als er auf die Frage, ob die katholische Kirche auf die Kirchensteuer verzichten wird, antwortete: „Nein, ohne Kirchensteuer müssten wir unsere Krankenhäuser, Schulen, Pflege- und Altenheime und viele andere Einrichtungen schließen. Es ist eine Tradition des Frühchristentums, dass wir ein Drittel der materiellen Güter der Kirche für Arme und Bedürftige verwenden, ein Drittel für kirchliche Angelegenheiten, ein Drittel für Entlohnung der Mitarbeiter. Das alles ist selbst mit der Kirchensteuer schwer genug.“ Aber Hallo, wovon redet der Mann? Was berichtet er nach Rom, wenn er schon in diesen wesentlichen Fragen vom Wunschdenken geleitet wird?

Das zeigt eine gleiche eigenartige Auffassung von Kirche und Gesellschaft, die sich auch in dem Protest gegen die mit den Kirchen ausgehandelte Bäderordnung in Schleswig-Holstein darstellt.

Auf Bundesebene zeigte sich der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, offen für die Forderung der Sachsen-FDP. Widerspruch gab es dann vom Präsidenten des Evangelischen Kirchentages, der das System der Kirchensteuer verteidigte. Zeitgleich äußerte Kardinal Woelki in einem langen Interview „Haben wollen darf kein Götzendienst werden“ zur Kirchensteuer, dass die katholischen Kindertagesstätten und Schulen nicht ohne Kirchensteuereinnahmen aufrechterhalten werden könnten und der neue Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland beklagte das schlechte Image der Kirchen, wenn fast jeder mit Kirche zuerst die Kirchensteuer in Verbindung bringe.

Dann war Ostern vorbei und auch bei den SPD-Laizisten und den Grünen wurden die Stimmen lauter, die kirchliche Finanzierung durch den Staat zu beenden. Das katholische domradio stellte „Alte Fronten“ fest. Zeitgleich setzte das Domkapitel in Münster zwei Bettler in die Kälte vor die Tür der Kathedrale und Erzbischof Zollitsch, der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz warnte vor Abschaffung der Kirchensteuer und sprach von dem Schaden für die Menschen, die „von der sozialen Fürsorge“ der Kirche leben, vor allem in der Dritten Welt.

Verfassungsrang aller Facetten der Kirchensteuer?

Gerne wird auch dargestellt, dass die Kirchensteuer in der Verfassung verankert sei, also Verfassungsrang habe, und nur durch eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag geändert werden könne.

Das ist, wie so manches in den Diskussionen zur Kirchenfinanzierung nur ansatzweise richtig, im Detail aber eine falsche Darstellung.

Es ist richtig, dass es in Art. 140 GG heißt (in der Übernahme des Art. 137, Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung): „Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, aufgrund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.“ Mehr nicht.

Vergangenheitssteuer und eigenes Inkasso

Das heißt nur, dass diese körperschaftlichen Religionsgesellschaften berechtigt sind, Kirchensteuern zu erheben und Grundlage dafür sind die staatlichen Steuerlisten. Mit anderen Worten: Verfassungsgemäß ist diese Kirchensteuer zum einen eine Vergangenheitssteuer, da sie ja erst rückwirkend berechnet werden kann, wenn die staatlichen Steuerlisten der Kirchenmitglieder vorliegen, und zum anderen wird sie von den Kirchen selbst erhoben. Von einer weiteren Mitwirkung des Staates ist keine Rede und hätte auch dem Grundsatz der Weimarer Verfassung, (wie auch des Grundgesetzes,) widersprochen, der lautet: „Freie Kirche im freien Staat“ – d. h. die institutionelle und finanzielle Trennung von Staat und (vormaliger Staats-)Kirche.

Staatliches Inkasso

Alles Weitere, insbesondere das staatliche Inkasso, hat keinen Verfassungsrang, sondern bewegt sich auf der Landesebene in einfachen Gesetzen, die jederzeit mit einfachen Mehrheiten auch geändert werden können. So heißt es beispielsweise in Artikel 11 des Kirchensteuergesetzes des Landes Niedersachsen:
„§ 11 Mitwirkung der Finanzämter
(1) Auf Antrag der Landeskirchen oder Diözesen sind die Festsetzung und Erhebung ihrer staatlich genehmigten Landes-(Diözesan-)Kirchensteuer nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 und 4 hinsichtlich der Steuerpflichtigen, bei denen Einkommensteuer oder Vermögensteuer festzusetzen und zu erheben ist, durch das Finanzministerium den Finanzämtern zu übertragen. (…)“

Es ist deutlich, dass die Landeskirchen und Diözesen die Antragsteller sind und die Finanzministerien das dann an die Finanzämter übertragen können. Von einer Übertragungspflicht kann dabei keine Rede sein, auch wenn man es verkürzt so herauslesen könnte.

Gegenwartssteuer

Die Hauptfrage bei der Überprüfung der Regelungen zur Kirchensteuer ist das staatliche Inkasso. Dass die Kirchen Mitgliedsbeiträge erheben können, wird ja von niemandem bestritten, aber es wird gefragt, warum der Staat dieses Inkasso zwar für die Kirchen aber beispielsweise nicht für die Gewerkschaften durchführt.

Trotz des sie privilegierenden Körperschaftsstatus gehören die Kirchen nicht zur staatlichen Sphäre, in der staatliche Finanzämter oder andere staatliche Dienststellen für staatliche Einrichtungen auf dem Dienstwege übernehmen können.

Zudem setzt dieses aktuell angewendete staatliche Inkasso ein Informations-Merkmal voraus, dass nicht nur strittig ist, sondern historisch einen erheblichen Makel aufweist, der Eintrag der Religionszugehörigkeit auf der staatlich ausgegebenen Lohnsteuerkarte.

Es ist strittig, da im Grundgesetz (Art. 140 GG / Art. 137,3 WRV) steht: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.“ Die Rechte und die Pflichten eines Kirchenmitglieds sind eine ausschließliche Angelegenheit der Kirchen und haben den Staat nicht zu interessieren. Klagen gegen diesen Religionseintrag wurden aber bisher stets vom Bundesverfassungsgericht mit der Begründung abgewiesen, es sei nur ein geringfügiger Eingriff in die Rechte des Einzelnen und würde den staatlichen Kirchensteuereinzug erheblich erleichtern.

Kircheninteressen mit staatlicher Autorität durchgesetzt

In dieser Verschiebung einer innerkirchlichen Angelegenheit in die Staatsphäre, in der dann der Staat Kircheninteressen mit staatlicher Autorität durchsetzt, liegt der Kern des Problems. Denn wenn es in Deutschland seit 1919 keine Staatskirche mehr gibt, hat der Staat sich aus kirchlichen Angelegenheiten herauszuhalten und die Kirche aus staatlichen Angelegenheiten.

In der Hinsicht hat es dann noch ein besonderes ‚Geschmäckle’, dass dieser Eintrag auf der Lohnsteuerkarte 1934 von den Nationalsozialisten angeordnet wurde. Als, wie es heißt, Dankeschön für die Zustimmung des katholischen Zentrums zum Reichskonkordat. Dass die kirchenfreundliche CDU seit Beginn der Bundesrepublik dieses Nazigesetz bestehen ließ, zeigt nur die Willkürlichkeit politischer Opportunität.

Staatsleistungen

In der Diskussion werden manches Mal der Kirchensteuereinzug und die Staatleistungen, die seit 1919 als Verfassungsbefehl beendet werden sollen, da sie auf Gesetzen, Verträgen und sonstigen Rechtstiteln aus dem 19. Jahrhundert beruhen und keine demokratische Begründung haben, in einem Zusammenhang genannt.

Der Zusammenhang besteht allerdings auch darin, dass die Verfassungsgarantie eines grundsätzlichen Rechts der Religionsgemeinschaften Kirchensteuern zu erheben, genau in diesem Zusammenhang steht: als Ausgleich für die wegfallende staatliche Finanzierung und Alimentierung. Die deutsche Demokratie beruht seit 1919 auf der Volkssouveränität (Art. 20 GG) und braucht keinerlei religiöse Begründung mehr, wie sie für die „Könige von Gottes Gnaden“ in der „Einheit von Thron und Altar“ noch geboten war.

Aber ebenso wie in Österreich, wo der Kirchenbeitrag die Zahlungen aus dem aufgehobenen Religionsfonds ersetzen sollte und es den Kirchen 1955 dennoch gelungen ist, aus diesem ehemaligen Religionsfonds Zahlungen zu erhalten, sich also doppelt entschädigen zu lassen, haben die beiden großen Kirchen in Deutschland das Ende des ‚demokratischen Frühlings’ in Deutschland (1923, mit der zweiten Reichstagswahl und der Hyperinflation) zu nutzen gewusst, um nicht nur die Beendigung der Staatsleistungen zu verhindern, sondern ebenfalls sehr erfolgreich den Staat für ihre kirchenpolitischen und finanziellen Zwecke einzuspannen.

Eigene Kirchensteuerämter

Man erkennt den kirchlichen Standpunkt einer Argumentation, wenn gesagt wird, dass der Staat für dieses automatisierte staatliche Inkasso eine großzügige Aufwandsentschädigung von durchschnittlich drei Prozent des Kirchensteueraufkommens erhalte, rund 280 Millionen Euro. Ja, das wird sogar manchmal als wesentlicher Beitrag der Kirchen für die Staatseinnahmen dargestellt.

Wiederum nicht benannt wird dabei, welche Kostenersparnis dieses staatliche Inkasso für die Kirche selber bedeutet, also inwiefern der deutsche Staat die Kirchen gegenüber anderen Großorganisationen (Gewerkschaften, Parteien, ADAC, u.a.m.) privilegiert, indem er ihnen diese Verwaltungskosten erspart.

Es gibt nur Schätzungen, wie hoch die Kosten für  kircheneigene Kirchensteuerämter wären, die EKD nennt rund 15 Prozent, Erfahrungen aus Österreich weisen eher in Richtung auf 20 bis 25 Prozent der Beitragsaufkommens. Das würde, auf Deutschland übertragen, bedeuten, dass die Kirchen dafür bis zu 2,1 Milliarden Euro aufbringen müssten, der Staat die Kirchen also mit den 280 Millionen Euro, die für das Inkasso vereinnahmt werden, um rund 1,8 Milliarden Euro entlastet bzw. subventioniert.

Von den drei Milliarden Einnahmenverlusten des Bundes und der Länder durch die steuerliche Absetzbarkeit der gezahlten Kirchensteuer ganz zu schweigen.

Es ist also gut zu verstehen, dass die Kirchen und ihre Bundesgenossen kein Interesse daran haben, dieses staatliche Inkasso zu beenden und das deutsche Staatskirchenwesen zu verändern.

Allerdings ist es die innere Angelegenheit der Kirche wie sie mit ihren, dann geringeren Einnahmen umgeht. Das hat den Staat nicht zu interessieren.

Vielleicht als Hinweis: Auch gerade hinsichtlich der Auffassungen des neuen Papstes hinsichtlich Armut, könnte nicht nur die „verfettete“ (so ein katholischer Prälat vor zwei Wochen auf Phönix) katholische Kirche beispielsweise überlegen, ob die deutsche Sondersituation, dass Pastoren und Priester wie Staatsbeamte (nach A 13 bis A 15) bezahlt werden, Bestand haben muss.

Für die evangelischen Pastoren war die Maßnahme Bismarcks im Kulturkampf, dass Geistliche ein Hochschulstudium absolvieren müssen, das jahrzehntelang angestrebte Eintrittsbillet in die bürgerliche Mittelschicht der Akademiker und der Staatsbeamten, für die katholische Kirche war es der Zwang, die eigenen Priesterseminare zu schließen und die Theologenausbildung einer gewissen öffentlichen Kontrolle zu unterwerfen. Ob diese staatliche Finanzierung der Theologenausbildung noch zeitgemäß ist, wird eine weitere Frage sein.

Carsten Frerk.