Eisbein frontal

Zum Glück sind wir nicht mal ansatzweise so verkniffen, wie uns die puritanischen Neider unseres von künstlichen Zwängen entrümpelten Lebens in Ermangelung echter Argumente gerne aussehen lassen wollen.

Puritanismus, lese ich bei R. M. Brown, sei der bohrende Verdacht, irgendjemand könnte sich irgendwo amüsieren.

Um nicht in den Verdacht zu geraten, uns hier bloß oberflächlich amüsieren zu wollen, denken wir mit langen Gesichtern überwiegend einzeln darüber nach, warum wir in den Verbänden nur so wenig Mitglieder haben, wo unsere Ansichten doch generell von vielen Millionen Menschen geteilt werden und sich massenhaft Leute bestens von uns vertreten fühlen, was man aber nur auf direkte Nachfrage erfährt.  

Ein sehr bekannter Teilnehmer des Abschlusspodiums weiß dann, woran es liegt. Wir sind irgendwie noch nicht so richtig sexy. Und wenn man regen Zulauf wüscht, muss man sexy sein, das ist sogar wissenschaftlich erwiesen.

Ich finde aber, das ist Quatsch. Ein humanistischer Verein muss doch nicht sexy sein! Wenn ich Sex will, gehe ich, wenn’s eilig ist, ins Bett und mach’s mir gemütlich selber. Dafür brauche ich keinen Verein.

Das ist wie mit der FKK. Für die gibt es doch tatsächlich einen Verein in unserer gastgebenden Stadt Hamburg - vielen Dank noch mal von Herzen für die unaufdringliche Unterstützung vonseiten der Letzteren -, es gibt einen FKK-Verein in Schleswig-Holstein und so weiter, aber bei uns in Mecklenburg-Vorpommern gibt es so was nicht. Wir gehen einfach an den Strand und ziehen uns aus. Egal, wie breit gesessen unser Hintern ist, egal wie lang gezogen die Kniestrümpfe schon sind, in denen vorne die Orangen baumeln. Wem das nicht gefällt, der kann sich ja Scheuklappen an die Schläfen häkeln.

Diese – noch - selbstverständliche Abwesenheit von Meckerei und Krittelei und ständiger Bewertung an die Stelle der zuweilen in containergroßen Schubkarren vor sich her geschobenen Arroganz mancher Schwerstintellektueller gegenüber nur teilbelesenen An- und Abwesenden (dumm wie drei Sack Herbstlaub!) zu setzen, überlege ich lange anzuregen, fürchte aber doch, dafür von dem einen oder anderen mitteilungseifrigen Sokrates-Forscher hinter mir mit matschigen Tomaten in Gestalt nicht enden wollender Sokrates-Zitate beworfen zu werden.

Meine Liebe zur Sexyness des Humanismus wird rein platonisch bleiben, soviel ist jedenfalls schon mal sicher, und was ein Dekubitus ist, ahne ich auch langsam.

Wie aufs Stichwort bedauert gleich ein Podiumsteilnehmer die Überalterung der Teilnehmenden.

Junge, sei nicht traurig, wir wären auch gern jünger als wir uns fühlen!

Ich zum Beispiel bin erst vierzig und überlege schon, wie ich nach all dem strapaziösen Rumsitzen meine Stelzen auftaue und vom Hocker hochkomme. Die da hinter mir sitzen und einfach disziplinlos kommunizieren, sind so um die dreißig und ahnen noch nichts von alldem.

Eine, die im Gegensatz zu den meisten genügend Auslauf hatte, ist die Moderatorin. Sie hat die physische Präsenz einer wettkampfbereiten Stabhochspringerin und findet Namen und Tätigkeit fast jedes Referenten auf Anhieb in ihren Unterlagen.

Doch erst wenn sie die Zettel weggeschmissen hat, merkt man richtig, welche Bereicherung sie auf diesem Podium ist. Warte mal, gerade entwickelt sie einen echt interessanten Gedanken, sie steuert auf etwas … Zügig jedoch werden wir davor bewahrt, jemals zu erfahren, was sie uns sagen wollte, denn ein Sittenwächter in der zweiten Reihe reißt den Ärmel hoch und meckert, dass das keine Moderation mehr sei! Puh! Das war gerade noch rechtzeitig. Wo kommen wir denn da hin, wenn hier jede einfach sagt, was sie denkt, egal auf welchem Stuhl sie sitzt?!

Dankbar, dass auch diese Erbse für uns gezählt wurde, gehen wir in die letzte Fünf-Minuten-Pipi-Pause vor dem Unterhaltungsblock, bestehend aus intellektuell hoch aufgeladenem Humor und ebensolcher Musik, allerfeinste Sahne. Hieraus muss auf jeden Fall eine Tradition werden. Vielleicht spielen ja beim nächsten Mal dann Feine Sahne Fischfilet? Ein Anruf in Demmin könnte Wunder, oh Wunder wirken und ein paar nichtarthritische Tagungsteilnehmende anlocken.

Es ist spät, meine Lieben, und die Stützstrümpfe kneifen.

Dafür sind die Hacken wieder warm. (Man muss dankbar sein für jede kleine Freude, die einem im Alter noch zuteil wird.) Und meine Katze, die ich tausendmal lieber habe als meinen bekloppten Nachbarn, und die mich auch tausendmal lieber hat als meinen bekloppten Nachbarn – jawohl, Herr Dr. Dr. Kahl! -, will mich endlich in den Schlaf schnurren.

Zarte Träume

So träume ich zart vom 3. Deutschen Humanistentag, bei dem ein bisschen die Sonne scheint, bei dem Frau Kallwass ihre Sätze zu Ende spricht, bei dem Frau Tammelleo täglich drei Stunden Sendezeit in Sachen Zwerchfell bekommt, ich träume von Wolfgang Thierse als eifrigem Neupastafari, und wenn Gloria von Thurn und Taxis einen guten Job als Klofrau hinlegen würde, ließe ich mich gewiss zu einem fetten Trinkgeld überreden. (Von dem guten Gefühl, nicht immer fast nur für „Gotteslohn“ arbeiten zu müssen, könnte sie verträumt auf einer späteren Zusammenkunft mit Caritas-Beschäftigten schwärmen… Zwingende Einstellungsvoraussetzung bei uns wäre natürlich, dass sie amtlich geschieden ist und mit irgendeiner Tussi was am Laufen hat.)

Ich träume von einem 3. Deutschen Humanistentag, bei dem wir uns nicht durch ständiges Verharren im Schaudern vor der finsteren Gestrigkeit der Fantasy-Junkies selbst die Zeit stehlen, bei dem wir auch diejenigen mal ganz doll drücken, die keinen Nobelpreis in der Tasche haben, und wenn Feine Sahne Fischfilet ein m/wildes Liedchen singen, lassen wir alle zusammen die humanistische Sau raus und wippen mit dem Schuh!

Cornelia Tiede