Terre des Femmes fordert Kopftuchverbot für Minderjährige

Den Kopf frei haben!

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Bei der Pressekonferenz am 23.08.2018 in Berlin
Bei der Pressekonferenz am 23.08.2018 in Berlin

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Necla Kelek
Necla Kelek

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Syran Ates
Syran Ates

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Mina Ahadi
Mina Ahadi

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Dr. Sigrid Peter
Dr. Sigrid Peter

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Nina Coenen (Moderation)
Nina Coenen (Moderation)

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Pressekonferenz von Terre des Femmes am 23.08.2018 in Berlin.
Pressekonferenz von Terre des Femmes am 23.08.2018 in Berlin.

Am vergangenen Donnerstag stellte die Terre des Femmes ihre aktuelle Kampagne "Den Kopf frei haben" vor. Die Frauerechtsorganisation fordert ein gesetzliches Verbot des Kopftuchs im öffentlichen Raum vor allem in Ausbildungsinstitutionen bei Minderjährigen.

Wenn ich kleine Mädchen mit Kopftuch und fast völlig bedecktem Körper sehe, trifft es mich immer noch tief. Worte wie "geraubte Kindheit", "Unsichtbarkeit", "Sexualisierung von Minderjährigen" und sogar "Missbrauch" kommen mir unwillkürlich in den Sinn. Das sind einige der Begriffe, die ich – eine in Algerien geborene und aufgewachsene, deutsche Muslimin – mit dem Mädchenkopftuch verbinde. Die Verbreitung und Durchsetzung dieses Korsetts einer patriarchalen und fundamentalistischen Ideologie habe ich bereits in meinem Geburtsland Algerien erlebt. Anders als diejenigen, die im Sinne der Freiheitsrechte die Verschleierung verteidigen, habe ich hautnah mitbekommen, wie schleichend der Prozess ablief bis immer mehr Schulmädchen ein Kopftuch trugen – ob sie wollten oder nicht. Am Ende wurde ein Mädchen in der Nachbarschaft erschossen, als sie mit offenem Haar auf die Straße trat. 20 Jahre später erreichen nun die ersten Anzeichen dieser Epidemie des religiösen Rigorismus meine neue Heimat, Deutschland.

Bis jetzt hat sich in Deutschland nur TERRE DES FEMMES die Aufgabe gestellt, gegen diese Entwicklung ein Zeichen zu setzen. Um ihre im Juni dieses Jahres gestartete Petition "DEN KOPF FREI HABEN!" der Öffentlichkeit vorzustellen, veranstaltete die Frauenrechtsorganisation vergangenen Donnerstag eine Pressekonferenz, bei der ExpertInnen aus unterschiedlichen Fachgebieten die Tragweite des Mädchenkopftuchs veranschaulichten. Grundlage der Petition ist das 2017 mit großer Mehrheit ihrer Mitfrauenversammlung verabschiedete Positionspapier für ein gesetzliches Verbot des Kopftuchs im öffentlichen Raum vor allem in Ausbildungsinstitutionen bei Minderjährigen. Im Vergleich zu den bisherigen Verbotsforderungen des Kinderkopftuchs, die nur in den Grundschulen oder bis zum 14. Lebensjahr gelten sollten, geht die Frauenrechtsorganisation in ihrer Forderung bis zum 18 Lebensjahr. Denn laut der UN-Kinderrechtskonvention sind alle Personen unter 18 Jahren Kinder.

Bereits 2013 bezeichnete die tunesische Kinderrechtorganisation die Verschleierung von Mädchen als "Verbrechen gegen die Kindheit". 2017 interpretierten tunesische Psychiaterinnen und Wissenschaftlerinnen das Kopftuch bei Kindern als "Missbrauch". Zusammen mit 43 prominenten ErstunterzeichnerInnen tritt nun auch die deutsche Frauenrechtsorganisation mit ihrer Forderung dezidiert gegen die Verharmlosung des Mädchenkopftuchs ein. Alle sind sich einig: das Kinderkopftuch gefährdet auf vielfältige Weise das Kindeswohl und bringt Probleme mit sich, die den Werten unseres demokratischen und humanistischen Systems diametral entgegen stehen.

Die Frühverschleierung beeinträchtigt die gesunde körperliche und seelische Entwicklung der Mädchen. Diese geschlechtsspezifische Kleidungsweise reduziert etwa die Lichtexposition massiv, folglich die natürliche Herstellung von Vitamin D. Ein Mangel dieses für Wachstum und Gesundheit wichtigen Hormons kann zahlreiche Risiken mit sich bringen. So Dr. Sigrid Peter vom Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte. Sie berichtete bei der Pressekonferenz von der regelmäßig festgestellten Unterversorgung mit Vitamin D bei ihren kleinen und großen Patientinnen – und auch von gravierendem Bewegungsmangel, der vor allem bei Heranwachsenden für eine gesunde Entwicklung überaus wichtig sei.

Wenn auch weniger sichtbar: Die psychischen Folgen der Frühverschleierung sind nicht unerheblich. Denn das Kinderkopftuch steht für die Sexualisierung von Minderjährigen und "markiert diese als Sexualwesen, als Verführerin, die ihre Reize vor den Männern zu verbergen" haben. Konservativen muslimischen Familien und Gemeinschaften gilt das Haar als erotisch und sei deshalb zu bedecken. Die Verschleierung ist für solche fundamentalistischen Gruppen eine notwendige Maßnahme, um die Nicht-Verfügbarkeit, Reinheit und Keuschheit der weiblichen Mitglieder der Gemeinschaft kundzutun. Anders übersetzt ist es ein Kontrollinstrument über die Frau. Demnach wird bei sexueller Gewalt die Schuld des Täters auf das Opfer übertragen. Eine Verantwortung, die für ein minderjähriges Mädchen extrem belastend ist, da es stets von der Idee begleitet wird, der eigene Körper sei eine Gefahr für die Gemeinschaftsordnung oder gar "sündig".

Ein geläufiger Einwand gegen ein Verbot des Kinderkopftuchs ist der Hinweis auf die Freiwilligkeit. Dabei wird häufig ignoriert, wie die Entscheidungsfindung, ein Kopftuch zu tragen, verläuft. Während manche konservative Familien sich rigoroser Erziehungsmaßnahmen bedienen, wie Psychoterror (zum Beispiel Androhungen mit der Hölle) oder physischem Druck, greifen andere auf "modernere" Methoden zurück, wie Lob, Taschengeld oder Geschenke, wie iPads. In diesem Zusammenhang betonte Rechtsanwältin Seyran Ates bei der Pressekonferenz die Obhutspflicht des Staates bei Missbrauch von Kindern durch Autoritätspersonen. Sie wies darauf hin, dass Gesetze auch die Kraft haben, einen positiven Wandel in der Gesellschaft voranzutreiben.

Auf gesellschaftlicher Ebene erinnert das stets zu tragende "Stigma" die muslimischen Mädchen als auch ihr Umfeld, dass sie "anderen" Gemeinschaften angehören. Es fördert somit die Teilung der Gesellschaft in ethno-religiöse Gruppen und erschwert den Umgang mit und die Akzeptanz anderer Weltanschauungen. Fälle von "religiösem Mobbing" unverschleierter Mädchen sind bedauerlicherweise keine Seltenheit mehr in unseren Schulen. Prof. Dr. Susanne Schröter, Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, wies bei der Pressekonferenz darauf hin, dass bereits die Verschleierung erwachsener Frauen als religiöse Pflicht selbst in der muslimischen Lehre immer noch umstritten ist. Ein Gebot des Mädchenkopftuchs ist im Koran nicht zu finden. Allerdings ist es wohl eine der zahlreichen Maßnahmen in der Agenda des politischen Islam. Das Verbot des Mädchenkopftuchs schränkt somit nicht die Religionsfreiheit ein.

Das Mädchenkopftuch dient eher als Instrument der frühen Verinnerlichung eines archaischen Frauenbildes, sei es für Mädchen als auch für Jungen. Wie in Algerien und in vielen anderen muslimisch geprägten Ländern sollen Mädchen auch hier dazu angeleitet werden, Werbeträgerinnen für die Abschaffung der Gleichberechtigung und die Wiedereinführung der Geschlechterapartheit zu sein. Ali Ertan Toprak, Präsident der Bundesgemeinschaft der Immigrantenverbände unterstrich bei der Pressekonferenz die politisch-gesellschaftlichen Aspekte und betonte, dass "der Islamismus eine rechtsextremistische Ideologie sei, der unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit Schritt für Schritt den öffentlichen Raum besetzen möchte, bis Andersdenkende und -gläubige keinen freien Raum mehr haben" und ruft alle Demokraten dazu auf, die Errungenschaften der Aufklärung zu verteidigen.

Ich persönlich unterstütze die Petition DEN KOPF FREI HABEN!, weil ich es als Pflicht ansehe, die Mädchen und Familien, die das Mädchenkopftuch ablehnen und deshalb extremen sozialen Druck von Communitys und/oder Moscheen ertragen müssen, zur Seite zu stehen. Unser Rechtsstaat sollte Kindern einen säkularen Schutzraum gewähren, in dem Gleichberechtigung und Menschenwürde garantiert sind. Denn die Menschenrechte sind universell, Kinderschutz und Gleichberechtigung dürfen nicht ausschließlich den Nicht-Muslimen gehören. Die Menschenrechte den muslimischen Frauen, vor allem den säkularen, nicht zu gewähren, gleicht meines Erachtens einem Ethnozentrismus. Es gibt nur ein Mittel, dieser komplexen Problematik entgegenzutreten: Öffentliche Ausbildungsstätten in Deutschland sollten frei von religiösen, patriarchalen und ideologischen Symbolen sein.