Tornado der Tunfische

Sobald sie im westlichen Mittelmeer angekommen sind, schlägt die Stunde der industriellen Fangflotten: Helikopter oder Flugzeuge spähen die Meeresoberfläche nach Tunfisch-Schwärmen aus wenn die Tiere zum Laichen zwischen Mai und Juli ins Flachwasser  kommen und geben die Position per Funk an die Fangflotten weiter. Mit Ringwadennetzen wird der Schwarm eingekreist und – im Gegensatz zu früheren Zeiten – lebendig zu den Mastbetrieben transportiert. Schließlich werden die Tiere durch den Befischungsdruck nicht mehr so groß wie vor 30 Jahren.

Reproduktion findet in den Netzen bislang nicht statt. Die Zucht in Aquakulturen ist bislang nur einmal geglückt, vor der Küste Australiens, mit dem nahe verwandten Südlichen Blauflossen-Tun. Derzeit wird mit Manipulation von Lichtverhältnissen und Hormonpräparaten experimentiert. Bis die Forschungen Früchte tragen – oder auch nicht – werden weiterhin auch die Jungfische weggefangen, etwa im letzten bedeutenden Laichgebiet vor den Balearen, was dem Bestand der Art in freier Wildbahn massiv schadet.

Erntetag

Solche Gedanken tauchen im Netz unweigerlich mit. Bis plötzlich ein Knall die Stille zerreißt, in einem Sekundenbruchteil gefolgt von einer Druckwelle. Mir schwant Übles. Augenblicklich erhöhen die Tunfische ihre Schlagzahl, einige Körper zeigen weiße Flecken. Ob es „nur“ ihr Instinkt oder die tiefen Frequenzen der letzten Zuckungen ihrer Artgenossen sind – die Tiere spüren offenbar genau, dass es den anderen Tunfischen ein paar hundert Meter weiter an die Kiemen geht. Geräusch und Druckwelle können nur von einer Dynamit oder dem Explosivsprengkopf einer Harpune stammen. Der ohnehin schon unangenehme Sog, den die kreisenden Fische erzeugen, wird mit einem Mal fast unerträglich. Immer wieder knallt es und immer mehr Panik verbreitet sich unter den Fischen. Egal, wie viel Luft der Inflator ins Jacket bläst, ohne Fußgas erscheint die Oberfläche unerreichbar.

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Hinter Gittern: Immer unter Beobachtung des Zuchtpersonals reifen die Tunfischschwärme heran.

Der Anblick, der sich hinter mir bei den anderen Netzen bietet, ist so lustig wie ein Angstschrei: Ein Taucher hängt mehrere frisch erlegte Riesentunas an den Haken und Sekunden später hebt der dazugehörige Hydraulikarm die gewaltigen Körper aus dem Wasser. Bevor sie auf dem Transportboot landen und abgespült werden, laufen dicke Blutfäden aus den harpunierten Köpfen und klatschen auf's Wasser. Mit Mühe hieve ich Kameragehäuse und Tauchequipment auf die schmale Trittstufe am Außenrand des Netzes. In dem Moment ist das Transportboot schon auf dem Weg zu einem Fabrikschiff, das zweihundert Meter weiter vor Anker liegt. Beim Rückweg zum Boot scannt der Blick instinktiv das Blauwasser: Systematisch getötete Tunfische und reichlich Blut im Wasser sind Schlüsselreize, die früher regelmäßig auch Weiße Haie zu Tunfischfarmen gelockt haben. Dass das auch heute noch mangels natürlicher Nahrung der Fall ist, beweist ein zwei Monate altes Youtube-Video, in dem zu sehen ist, wie ein trächtiges Haiweibchen in einer tunesischen Farm mit Schrot förmlich durchsiebt wird.

Tauziehen um Tunas

Zurück an Bord ist der Griff zur Kamera selbstverständlich – Kommissar Zufall taucht schließlich nicht jeden Tag mit, aber wenige Fotos später ist das Transportschiff auch schon auf dem Weg zu uns. Die Kamera verschwindet unter einem Handtuch und Skipper Sean (Name geändert) wimmelt die Besatzung des Transporters mitsamt ihrer Fragen ab so gut es geht.

Zwar hat das „Oh Yeah Cruises & Watersports“ in der Bucht von Mellieha ein Abkommen mit der Fischereigenossenschaft, das ihnen erlaubt, Schnorchler oder Taucher zu den Tunas ins Wasser zu lassen, aber das wird auf deren Webseite weder beworben noch gibt es Tauchausrüstungen zu leihen. Für die meisten Tauchbasen auf Malta sind Besuche der Mastbetriebe tabu wie der Chef einer britischen Basis erklärt: „Es ist außerdem gut möglich, dass Tauchgänge darin im nächsten Jahr gar nicht mehr möglich sind weil die Firma ihre Thunfischnetze falsch deklariert hat und sie rein rechtlich viel weiter entfernt vor der Küste liegen müssten.“

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Der Markt für das Fleisch eines Blauflossentuns ist nicht mehr zu sättigen.

Das Thema selbst wird in der Presse und in Internetforen diskutiert, speziell im Netz der unbegrenzten Möglichkeiten bekriegen sich Gegner und Befürworter bis auf's Blut. Profit, Tradition, der Job des Einzelnen versus Artenschutz, Wasserverschmutzung durch Futter und Fäkalien und die potentielle Einladung an das Große Weiße Schreckgespenst der Badegäste. Die bösen Blicke, die ich an Bord ernte, sprechen jedenfalls Bände - das Thema ist hochsensibel.

„Schreib nichts Schlechtes, die Fischfarm ist hundertprozentig legal“, meint Sean kurz angebunden. „So geht das jetzt noch weiter bis nach Einbruch der Dunkelheit, die haben noch eine Menge zu tun bis alle Netze leer sind.“

Tatsächlich: Am nächsten Morgen liegt das Fabrikschiff immer noch auf Reede. An die Leine gelegt wurde dagegen zeitweise das Kommandoschiff „Steve Irwin“ von Sea Shepherd. Vor zwei Jahren zog eine maltesische  Fischereigenossenschaft vor ein britisches Gericht, nachdem die radikalen Tierschützer ein Tunfischnetz auf hoher See rammte. Dabei entstand angeblich ein Schaden von einer Million Euro, ein maltesischer Taucher wurde schwer verletzt. Die Klage wurde in diesem Sommer abgewiesen, die Gerichtskosten der Genossenschaft angelastet. In einer offiziellen Stellungnahme von Sea Shepherd heißt es: „Wir haben 800 große, gefährdete Blauflossen-Tunfische befreit, die von Wilderern illegal vor der Küste Libyens gefangen wurden. Wir haben die Netze zerschnitten, und als uns das maltesische Unternehmen, das den Besitz der befreiten Fische beansprucht, verklagt hat, haben wir vor Gericht unseren Mann gestanden und gewonnen – die Tunfische haben gewonnen und die Wilderer verloren.“