(hpd) Der Wiener Biowissenschaftler Franz M. Wuketits kritisiert in seinem Buch „Evolution ohne Fortschritt" die weitverbreitete Annahme von einer Höherentwicklung im Verlaufe der natürlichen, aber auch der kulturellen Entwicklung. Anschaulich geschrieben und stringent argumentierend widerlegt er dabei die weit verbreitete Illusionen über die Vollkommenheit und Zielgerichtetheit der Evolution.
In vielen Darstellungen der Evolution wird ihre Entwicklung über Stammbaum-Modelle veranschaulicht, wobei die Äste des Baumes von unten nach oben weisen. Die damit verbundene Vorstellung suggeriert, es gebe auch einen kontinuierlichen Fortschritt im Sinne einer Höherentwicklung und Verbesserung. Doch ist diese Auffassung angebracht? Nein, antwortet der Wiener Biowissenschaftler Franz M. Wuketits in seinem entsprechend betitelten Buch „Evolution ohne Fortschritt. Aufstieg oder Niedergang in Natur und Gesellschaft". Es handelt sich dabei um eine aktualisierte und ergänzte Neuausgabe seines bereits 1998 veröffentlichten Werkes „Naturkatastrophe Mensch. Evolution ohne Fortschritt". Sie erschien demnach mit dem ehemaligen Untertitel als Haupttitel, was Wuketits in seinem Nachwort damit erklärt, dass so das eigentliche Ansinnen besser getroffen sei. In der Tat läuft seine Grundthese darauf hinaus, „dass die Evolution nicht progressiv, fortschrittlich verläuft und sich nicht als eine lineare Entwicklung zum Höheren beschreiben lässt" (S. 237).
„Evolution ohne Fortschritt" gliedert sich in zwei große Teile: Zunächst geht Wuketits auf die Entstehung und Hintergründe der Fortschrittsidee sowie ihre Ausprägungen und Folgen im Kontext der biologischen Evolutionstheorie und der sozialen Kulturgeschichte ein. Ihren Ursprung habe die kritisierte Auffassung wohl in der Annahme eines Weltarchitekten, welcher religiös als Gottesfigur oder säkular als Vernunftinstanz die Entwicklung hin zu einem Besseren und Höheren vorantreibe. Vorstellungen von der Vervollkommnung und Vollkommenheit, Zielgerichtetheit und Zwangsläufigkeit prägten mitunter auch die naturwissenschaftlichen Auffassungen von der Evolution. Danach nimmt der Autor sowohl für den kulturellen wie für den organischen Bereich eine grundlegende Kritik wie letztendliche Verabschiedung der Idee vom universellen Fortschritt vor. Bei genauer Betrachtung sei vielmehr vom Chaos und der Planlosigkeit des Werdens auszugehen. Außerdem müsse der Prozess der Zivilisation als gescheitert gelten.
Im Kern will Wuketetis bei diesen Ausführungen „die Entwicklung und das Ende einer Illusion" beschreiben, nämlich „der Illusion, dass in unserer Welt alles langsam, aber stetig zum Besseren fortschreite" (S. 11). Denn: „Die Natur, die Evolution kennt keinen Höhepunkt." Und weiter: „Der Stammbaum der Lebewesen ist kein mit gleichmäßig nach oben strebenden Ästen wachsender Baum." Regelmäßig breche ein Ast ab, was für das Aussterben von Arten und Gattungen stehe. Demgemäss gelte: „Die Evolution ist eine mehr oder weniger kontinuierliche Abfolge von Katastrophen", welche mitunter beträchtliche Ausmaße erreichten. Wuketits verbindet diese Auffassung dann aber auch mit einem Urteil zum Homo sapiens: „Der Mensch selbst ist die größte Naturkatastrophe, weil sein Einfluss seinen Planeten innerhalb relativ kurzer Zeit verändert hat" (S. 186). Zwar seien seine kognitiven Fähigkeiten enorm angestiegen, er bediene sich ihr aber vor allem zur Ausnutzung der Erde ohne Rücksicht auf andere Arten.
Anschaulich geschrieben und stringent argumentierend zeigt Wuketits auf, dass man bei der Evolution statt von einer Höherentwicklung von einem „Zickzackweg" (S. 150) sprechen müsse. Dabei zerstört er heute noch weit verbreitete Illusionen und trägt so zur Entwicklung eines realistischen Menschen- und Naturbildes bei. In dieser ideologiekritischen Dimension ist auch das besondere Verdienst von „Evolution ohne Fortschritt" zu sehen. Der damit einhergehende Verlust von liebgewonnenen Auffassungen verweist auch auf eine „offene Zukunft" (S. 226) - und die damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten für den Menschen. Wuketits' rigorose Kommentierung des menschlichen Zivilisierungsprozesses müsste aber um einer Differenzierung willen etwas abgeschwächt werden, lassen sich doch in den letzten Jahrzehnten durchaus Fortschritte (z.B. Akzeptanz von Demokratie und Menschenrechten) - aber auch immer wieder Rückschritte - ausmachen. Beide Entwicklungen stehen in der Tat nicht für teleologische Fortschrittsannahmen, sondern für menschliche Handlungsoptionen.
Armin Pfahl-Traughber
Franz M. Wuketits, Evolution ohne Fortschritt. Aufstieg oder Niedergang in Natur und Gesellschaft, Aschaffenburg 2009 (Alibri-Verlag), 269 S., 18,50 €
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.