Von Meta- und Superorganismen

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Alle Fotos: (c) A. Schatton

MÜNCHEN. (hpd) Auf der 106. Jahrestagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft (DZG) in München trafen sich etwa 500 vor allem deutsche aber auch internationale Wissenschaftler um ihre Forschung und neue Zukunftsperspektiven zu diskutieren - mit großen und auch kleinen Themen.

Sie trugen Erkenntnisse aus so verschiedenen Forschungsbereichen wie der Paläontologie, Neurophysiologie und Verhaltensforschung zusammen um das tierische Leben auf diesem Planeten ein kleines Stückchen weiter zu enträtseln.

Tagung in der Bayerischen Landeshauptstadt

Die DZG wurde 1890 in Frankfurt/Main gegründet und lud seither (bis auf neun Ausnahmen) jedes Jahr zu einem Fachbereichsübergreifenden Kongress in eine deutsche Stadt ein. Zum ersten Mal seit 1986 richtete die Ludwig Maximilian Universität die Veranstaltung wieder aus. Das Hauptgebäude verwandelte sich für fünf Tage in eine Art Bienenstock, in dem Forschungsergebnisse wie Nektar eingetragen und gemeinsam verdaut wurden, damit jedes DZG-Mitglied nun mit seinem Töpfchen erkenntnisreichem Honig nach Hause fliegen kann, schlauer oder verwirrter als zuvor.

Die vor kurzem gewählte Präsidentin und Neuroethologin Prof. Constance Scharff eröffnete die Veranstaltung und verglich die Wissenschaftscommunity ebenfalls mit einem „Superorganismus“. Dieser Begriff wird gern für sozialstaatenbildende Insekten wie Bienen- oder Ameisen verwendet, beides übrigens Modellorganismen, über die in den folgenden Tagen noch das eine oder andere zu lernen war. Prof. Benedikt Grothe, Dekan der biologischen Fakultät der LMU stellte in seiner anschließenden Rede einen historischen Abriss der Zoologie in München dar.

In dem Zusammenhang blieb auch die Säkularisierung 1803 und die damit einhergehende Ordensunabhängige Forschung nicht unerwähnt. Auch bei ihm durften die sozialen Insekten nicht fehlen, da der Nobelpreisträger Karl von Frisch in den 20er Jahren in München forschte und den berühmten Tanz der Biene entschlüsselte. Frauen dürfen übrigens seit 1903 in München studieren, heute beginnen etwa 1,5-mal mehr Frauen als Männer ihr Studium an der LMU! Im Bienenvolk sind die weiblichen Individuen tonangebend, auf der DZG-Tagung noch nicht. Betrachtet man die Gesamtredezeiten der größeren 60 und 30-Minuten und der kleineren 15-Minuten Vorträge und Postervorstellungen, kommen die Herren auf 3225, die Frauen hingegen auf 2135 Minuten Redezeit. Hier fällt aber besonders ins Gewicht, dass unter den 15 großen 60-Minuten-Vorträgen nur 3 Frauen sprachen. Der Vergleich mit dem Superorganismus funktioniert jedenfalls wieder in Hinsicht auf die weibliche Spitze.

Die Bedeutung der Bakterien

Auch in dem öffentlichen Abendvortrag sollte es um Metaorganismen gehen: Prof. Thomas CG Bosch fasste spannende Studien aus der Mikrobiom-Forschung zusammen und bewarb die Bedeutung von Bakterienzusammensetzungen für die Evolution der Tiere. Auf den menschlichen Körper verteilt leben etwa 10 mal mehr Mikroorganismen als menschliche Zellen und sogar 100 mal mehr Viren. Die Definition eines Tieres muss in Hinsicht auf diesen genetischen Mix neu überdacht werden! In neun Krimiähnlichen Kapiteln erörterte der in München promovierte Zoologe den bisher völlig unterschätzten mikrobiellen Einfluss auf Immunabwehr, Stoffwechsel, Entwicklung oder Evolution von Tieren. Statt genetische Stammbäume mit Hilfe des Mitochondriengenoms aufzustellen, kann man auch die hochspezifische Bakterienzusammensetzung im Darm von z.B. Menschenaffen analysieren um die Verwandtschaftsverhältnisse darzustellen! Schlanke Mäuse, die das Mikrobiom von fettleibigen Artgenossen transplantiert bekommen, werden adipös. Welche Auswirkungen haben Antibiotika (in der Landwirtschaft) auf unsere „Bakterienhaushalt“? Welche neurogenerativen Krankheiten lassen sich auf falsche Zusammensetzungen der Darmbakterien zurückführen? Fragen, über die anschließend bei einem Glas Wein auf dem Empfang noch kontrovers diskutiert wurde.

Die großen Themen

In den morgendlichen Schlüsselvorlesungen der etablierten internationalen Wissenschaftler_innen ging es um den Gehirnenergiehaushalt, soziale Insekten und deren Kolonie-Persönlichkeiten oder Methoden und Erkenntnisse der Evolutionsgenetik, Elektronenmikroskopie und Evolutionsforschung. Besonders letztere Disziplin hat ganz offensichtliche Probleme, Experimente zu entwerfen, bei denen der Forscher live die Millionen Jahre anhaltende Entwicklung von Flosse zu Fuß beobachten und mit Kontrollexperimenten analysieren kann. Stattdessen muss er auf „natürliche Experimente“ zurückgreifen und post-Hoc Hypothesen in abgegrenzten geografischen Inseln der Artbildung überprüfen. Die Britische Professoring Jennifer Clack kommt der Evolution mit Hilfe von Fossilien auf die Spur: Mit 3D-Animationen der Laufextremitäten unserer Fischähnlichen Vorfahren können sie und ihre Kollegen den irgendwann zwischen Devon und Karbon erfolgten Landgang rekonstruieren und feststellen, dass dieser mehr einer Robbe oder Schlammspringer ähnelt und daher weniger heroisch ausfällt, als gemeinhin angenommen wird.

Die kleinen Themen

Die weiteren Tages-Vorträge wurden von den Fachbereichen organisiert und gruppiert. Diese sind: Physiologie, Ökologie, Morphologie, Neuro-, Evolutions-, Verhaltens- und Entwicklungsbiologie.

In 15 Minuten-Referaten konnten die Vortragenden ihre abgeschlossenen oder aktuellen Projekte vorstellen und sich das nötige Feedback einholen. Oft liefen vier Vorträge parallel, so dass niemand alles hören konnte. Besonders beliebter Modellorganismus (der Verhaltensbiologie) dieses Jahr waren der elektrische Fisch und die Fledermaus mit ihren spannenden Orientierungs- und Kommunikationssystemen. Ähnlich der Echoortung (Biosonar) orientieren sich die Fische mit ihren Magnetfeldern und ohne den kleinen Knorpel am Ohr (Tragus) können Fledermäuse ihre Flughöhe nicht richtig einschätzen.

Orientierung ist überhaupt ein spannendes Thema für Zoologen. Wahrscheinlich, weil sich kaum ein Großstädter ohne sein Smartphone noch zurechtfinden würde. Das Ehepaar Wilschko erforscht den Orientierungssinn von Zugvögeln bereits seit den 60er Jahren. Ihre Doktorandin stellte auf der Tagung ihre Forschung zu dem interessanten Molekül Cryptochrom vor, das bei kurzwelligem Licht aktiviert wird und so die unseren Planeten umspannenden Feldlinien wahrnehmen kann.

In einem anderen spannenden Vortrag ging es um den afrikanischen Dungkäfer (es gibt 30.000 Dungkäferarten weltweit!!), der sich anhand von polarisiertem Licht orientieren kann und eine ziemlich ungewöhnliche (an Schwimmen erinnernde) Gangart zeigt.

Ameisen können bei ihrer Suche nach Futter kreuz und quer durch die Wüste laufen und anschließend auf direktem Weg wieder zurück krabbeln, die Forscher nennen das „path integration“. Um dieses Verhalten zu erklären, manipulieren Zoologen die Beine der Insekten, indem sie sie mit Stelzen verlängern oder mit Scheren verkürzen oder beobachten, ob huckepack genommene Ameisen den Weg nach Hause allein finden können. Optic flow nennen die Wissenschaftler den Fluss an visuell wahrnehmbaren Partikeln, die an der Netzhaut passieren und in Verrechnung mit der Geschwindigkeit Rückschlüsse auf die Weglänge zulassen.

Auch beliebt unter Verhaltensforschern sind nach wie vor Singvögel. Der unheimlich komplexe Gesang der Nachtigall zum Beispiel gibt der Berliner Forscherin Prof. Silke Kipper viele Rätsel auf. Sie und ihr Team haben herausgefunden, dass sich die Weibchen für bestimmte Gesangselemente der Männchen, sogenannte buzzes interessieren, weil diese ehrliche Informationen über die Fitness des Sängers transportieren.

Der Evolution der akustischen Kommunikation widmet auch der amerikanische Prof. Andrew Bass seine Arbeit. Auch er interessiert sich für unsere Fisch-ähnlichen Vorfahren: In seiner Schlüsselvorlesung trägt er Argumente zusammen, dass bereits diese neuronale Verschaltungen hatten, die die die Produktion von akustischen Signalen möglich machten. Dazu braucht es nicht unbedingt eine Stimme. Fische produzieren Töne indem sie mit den Brustflossen an den Körper klatschen. Prof. Bass argumentierte, dass die neuronale Verschaltung für dieses Verhalten gemeinsame Wurzeln mit dem der Stimmbildung hat.

Sehr possierlich waren auch die Zeitlupenaufnahmen von tanzenden Zebrafinken des jungen Berliner Verhaltensbiologen Robert Ullrich, die einen mit dem Gesang koordinierten Balztanz aufführen. Die galoppierenden Dungkäfer hingegen wirkten in Zeitlupe unglaublich schwerfällig und plump. Der lustigste Vortrag handelte übrigens von schwulen Gliedertieren: Dr. Inon Scharf aus Tel Aviv fasste die Studien zum Thema zusammen und überprüfte die möglichen Hypothesen um homosexuelles Verhalten bei Arthropoden zu erklären. Die meisten Argumente streicht auch die einfachste Erklärung ein: „Verirrung“.  „Vertan, schrie der Hahn und stieg von der Ente“ zitierte der israelische Jungforscher ein deutsches Sprichwort. Eine Hypothese zur Gefühlswelt der Krabbeltiere wurde übrigens nicht mal in Erwähnung gezogen.

Begleitprogramm

Neben den wissenschaftlichen Vorträgen gab es auch Informationsveranstaltungen zur Planung der eigenen wissenschaftlichen Karriere, zu der Vertreter der deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) informierten. Zum festlichen Teil gehörte noch die Vergabe von drei Forscherpreisen, dem Jugend-forscht-Preis für Schüler, dem Doktorandenpreis und dem Nachwuchswissenschaftlerpreis. Begleitet wurde der Festakt von zwei jungen Musikern, die natürlich selber in Mathematik und Neurobiologie promovieren.

Am Rande der Mitgliederversammlung unter Sonstiges wurde es noch einmal hochschulpolitisch. Die Tierschutzvereine bemängeln schon lange, dass alle Studierenden im Biologie-Grundstudium den sogenannten „Schnippelkurs“ absolvieren müssen. Ein Kurs, in dem tote Ratten oder Muscheln seziert werden. Viele Studierende wissen schon von Anfang an, dass sie später die botanische Richtung einschlagen wollen oder kritisieren, dass Bachelor-Absolventen anderer Studiengänge ohne Sezierkurs auch zum Bio-Masterstudium zugelassen werden.

Etwas süffisant berichtete Prof. Dr. Jürgen Markl aus Mainz, dass sich gerade einmal neun Studenten für den neu konzipierten Alternativkurs interessiert hätten. Nach einer Informationsveranstaltung hätten aber auch diese bereitwillig am toten Tier seziert. Das Thema Tierethik ist für viele Zoologen ein „Nicht schon wieder“- Leidensthema. Für jeden Tierantrag müssen bürokratische Hürden genommen, die sich von Jahr zu Jahr ändern und strenger werden. Aber auch privat müssen sich Biologen ständig für ihre Arbeit rechtfertigen. Das macht einige taub und abgestumpft. Man wird eigenartigerweise gerade unter Forschern, die Gene für Muttergefühle und Gehirnzellen für Sozialverbände in Ratten und Fischen beschreiben immer belächelt, wenn man bemängelt, dass es kein vegetarisches Mittagsangebot oder keine „Schnippelkurs“-Alternative gibt. Zum gemeinsamen  Abendessen im Brauereikeller musste man die vegetarischen Speisen tatsächlich mit der Lupe suchen, selbst im Krautsalat fanden sich Speckwürfel. Fleischesser fanden sich allerdings im Bayerischen Speisehimmel wieder.

Bleibt zu hoffen, dass der rege Austausch an den Postern, während der Kaffeepausen und abends bei bayerisch deftiger Kost und Gerstensaft genug Grundlage für neue spannende Zusammenarbeiten gelegt hat.

Nächstes Jahr wird die Jahresversammlung in Göttingen stattfinden. Da bleibt kaum noch Zeit, die nächsten Experimente zu planen, auszuwerten und auf bunte Poster und Powerpoint-Folien zu bringen. Der Vorrat an wissenschaftlichen Fragestellungen an das Leben der Tiere ist hingegen unerschöpflichen. Zum Glück.

Adriana Schatton

Titelbild: In den Kaffeepausen und Postersessions wird eifrig diskutiert
Abb. 1: Prof. Grothe hält einen Vortrag zur Geschichte der Zoologie in Bayern
Abb. 2: Geschlechterverhältnis der Vortragenden. Abgebildet ist die Redezeit in Minuten. Rot: Frauen, blau: Männer. Zahlen in den Säulen geben die Anzahl an Vortragenden wider. Das Kreisdiagramm zeigt das Verhältnis der Gesamtredezeit.
Abb. 3: …damit es jeder weiß, der die prächtige Aula betritt