Katholisch, monarchistisch, antipreussisch

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Foto: Franz-Josef Strauß 1982, Foto: Robert Ward (public domain)

MÜNCHEN. (hpd) In diesen Tagen gedachten die Bayern nicht nur der Hochzeit von Kronprinz Ludwig und Prinzessin Therese vor über 200 Jahren, also einem Ereignis, dem sie inzwischen das größte Volksfest der Welt und die am meisten vollgekotzte Wiese zu verdanken haben. In diesen Tagen jährte sich auch der Todestag des letzten, wenn auch ungekrönten Königs Bayerns, zum 25. Mal.

Am 3. Oktober 1988 starb Franz Josef Strauß, seines Zeichens ehemaliger Bundesminister für Atomfragen, Bundesminister für Verteidigung, Bundesminister für Finanzen und 10 Jahre lang bayerischer Ministerpräsident; nach Ludwig II. und noch vor Franz Beckenbauer der vielleicht bekannteste Bayer der sog. Neuzeit überhaupt.

In diesen Tagen waren und sind im Freistaat im Süden der Republik, in dem die Uhren anders, will sagen: richtig gehen [1], die Zeitungen, Radiosendungen und Fernsehbeiträge voll der Erinnerung an diesen "Paradebayer" (Abendzeitung), der im Anschluss an seinen Oktoberfest-Besuch 1988 an multiplem Organversagen starb, was aber entgegen häufiger Annahmen eher mit den Folgen eines Luftsturzes beim selbst gesteuerten Flug kurz zuvor zu tun hatte, als mit dem wahrscheinlich auch nicht unbeachtlichen Alkoholkonsum im Hofbräu-Zelt. Mit mehr als 100.000 Trauergästen, also mit der größten Beerdigung, die die Stadt München in über 800 Jahren ihrer Geschichte gesehen hat, ging die Ära einer politischen Ausnahmeerscheinung am 7. Oktober 1988 zu Ende.

Einser-Schüler, süddeutscher Straßenmeister und NS-Führungsoffizier

Der junge Franz Josef Strauß ist als Sohn eines Metzger-Ehepaares mit eigenem Laden im Herzen Münchens aufgewachsen, war als begeisterter Radfahrer 1934 süddeutscher Straßenmeister, machte als Kind aus kleinbürgerlichen Verhältnissen 1935 das beste Abitur bayernweit (seit 1910) und studierte Altphilologie und Geschichte für das Lehramt an Gymnasien. Seine Studienzeit war belastet durch die Teilnahme als Soldat in der deutschen Wehrmacht, er wurde zu Studienzwecken mehrfach beurlaubt, dann aber wieder eingezogen. Auch als Soldat zeigte er seine Zielstrebigkeit und wurde in Hitlers Armee Leutnant und sog. nationalsozialisticher Führungsoffizier. "Nach Überprüfung der eingereichten Unterlagen durch die Spruchkammer Schongau stufte diese ihn am 15. Oktober 1946 in die Gruppe V "entlastet" ein, da Franz Josef Strauß außer dem NSKK keiner anderen Gliederung der NSDAP angehört hatte und auch kein Parteimitglied gewesen war."(Quelle)

Die politische Karriere von Strauß begann bereits 1945 als von den Amerikanern eingesetzter Landrat in Schongau, der dann ab 1949 für diesen Landkreis ohne Unterbrechung ein Direktmandat für die CSU im Deutschen Bundestag innehatte. Er ist Mitbegründer der Christlich Sozialen Union (CSU), die sich unter seiner Mitarbeit insbesondere gegen die Bayernpartei als "moderne überkonfessionelle Volkspartei" etablierte.

1958 holte er Eberhart Taubert, der hoher Funktionär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda gewesen war und das Drehbuch zu dem antisemitischen Hetzfilm "Der ewige Jude" geschrieben hat, als Berater für sein neu eingerichtetes Referat "Psychologische Kampfführung".

Bis zu seinem Tod bleibt Strauß Vollblut-Politiker, der nicht nur bayerische, sondern auch bundesdeutsche Geschichte geschrieben hat. Und das in jeder nur denkbaren Hinsicht. Die Liste der Skandale, in die er verwickelt war, ist mindestens genauso lang wie die Liste seiner politischen Verdienste, und doch haben Lockheed/Starfighter-, FIBAG-, Amigo/Zwick-, Spiegel-Affäre... ihn bestenfalls vorübergehend leicht aus der politischen Bahn geworfen, ernsthaft geschadet wohl aber nicht. Lächerlich auch anzunehmen, dass außereheliche Affären den bekennenden verheirateten Katholiken Strauß in der Entfaltung seiner politischen Kraft hätten einbremsen können.

Der Deutsche Herbst, der deutsche Terrorismus, der bayerische Kanzlerkandidat

Die Zeit im Herbst 1977 gilt als eine der schwersten Krisen der Bundesrepublik Deutschland und stellt gewissermaßen den Höhepunkt/Schlusspunkt des Terrorismus durch die Rote Armee Fraktion (RAF) dar. Unter der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt wird im Oktober 1977 Hanns Martin Schleyer, der damalige Arbeitgeberpräsident und frühere Nationalsozialist [2] entführt, um RAF-Gefangene zu befreien. Die Lufthansa-Maschine "Landshut" wird gekapert, schließlich in Mogadischu von GSG 9-Einheiten gestürmt, und dann brachten sich in der Nacht vom 17. auf 18. Oktober die verurteilten RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in ihren Zellen in Stuttgart-Stammheim um, wobei zur damaligen Zeit viele Ungereimtheiten in Zusammenhang mit diesen Todesfällen bei vielen den Verdacht aufkommen ließ, dass es sich gar nicht um Selbstmorde, sondern um staatlich organisierten Mord handelte.

In den Jahren von 1972 bis 1977 war der Terrorismus der RAF das alles beherrschende Thema und alle, die nach seinen Ursachen fragten, wurden als sog. "Sympathisanten" pauschal verdächtigt. „Neue polizeitaktische Methoden, unter anderem die Rasterfahndung, hatten zu einigen Fahndungserfolgen geführt, aber auch viele Unbeteiligte in den Fahndungsprozess mit einbezogen. Straßensperren, Personenkontrollen und schwer bewaffnete Polizisten gehörten zum Straßenbild. Die Angst vor neuen Anschlägen war weit verbreitet. Die linke Szene, aber auch weite Teile sozialdemokratischer und liberaler Kreise fühlten sich andererseits durch die neuen Gesetze in ihren Grundrechten bedroht und wollten sich ideologisch mit der RAF auseinandersetzen." (Wikipedia).

Das innenpolitische Klima war extrem angespannt, das politische Interesse insbesondere auch unter jungen Menschen erwacht, und letztlich begann eine Ära wichtiger alternativer politischer Bewegungen (Frauenbewegung, Friedensbewegung, Gründung der GRÜNEN 1980..), die das politische Klima der 80er Jahre in der Bundesrepublik prägen sollten.

Die vielleicht insgeheim wichtigste Figur für den Start der Aktivitäten der politischen Bewegungen außerhalb des Parlaments wurde spätestens mit seiner Kanzler-Kandiatur 1980 gegen Helmut Schmidt - der Paradebayer Franz Josef Strauß.

Kanzler ist er zwar damals dann doch nicht geworden, aber er ist mit Sicherheit der berühmteste Kanzler-Kandidat der Bundesrepublik geblieben. "Stoppt Strauß" war als Reaktion auf seine Kandidatur eine eher spontane politische Massenbewegung aus Menschen unterschiedlichster politischer Herkunft gegen einen Politiker, der sich neben allem auch noch zu behaupten traute "ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen." (frei zit. nach Frankfurter Rundschau 1978).

Und unliebsame politische Gegner wurden von ihm durchaus mal als "Ratten und Schmeißfliegen" öffentlich beschimpft. Nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland solidarisierten sich die Leute gegen Strauß und zeigten dies mit ansteckbaren Buttons deutlich. Aufgrund der aufgeheizten innenpolitischen Stimmung (s.o.) hatte dies teilweise beachtliche Konsequenzen, förderte aber ein heute nicht mehr gekanntes Maß an zivilem Ungehorsam.

Die damals 18-jährige Schülerin Christine Schanderl aus Regensburg flog wegen des Tragens der "Stoppt Strauß"-Plakette vom dortigen Albertus-Magnus-Gymnasium und erstritt sich im Anschluss das Recht auf Meinungsfreiheit durch alle juristischen Instanzen. Mindestens 22 weitere Fälle ähnlicher Art sind dokumentiert, wobei in Baden-Württemberg das Tragen dieser Buttons durchaus erlaubt war. Die Schülerin Christine Schanderl ist im übrigen heute selbständige Rechtsanwältin mit Fachbereich Arbeitsrecht (und heißt jetzt Christine Roth).

Geh doch rüber! – eine Aufforderung zum aktiven Da-Bleiben

In Bayern auf alle Fälle, vielleicht gar in der ganzen Bundesrepublik wird Franz Josef Strauß wohl unvergesslich bleiben. 25 Jahre nach seinem Tod scheint sich das Andenken an ihn mehr und mehr zu glorifizieren, so dass man sich im Süden gar nicht ausmalen mag, was hier an seinem 50. Todestag alles los sein mag.

Doch nicht nur die bayerischen Medien bringen teilweise ganz unverhohlen ihre Bewunderung für den ehemals viel Kritisierten zum Ausdruck. Auch die kritischen Geister jener Zeit aus Bayern und außerhalb gestehen ihm heute vor allen Dingen eines zu: ein Vollblut-Politiker gewesen zu sein mit Originalität, dessen verbale Schlagabtauschs im Bundestag mit Herbert Wehner und seine teilweise über 4-stündigen frei gehaltenen Reden in Vilshofen, Sonthofen und Passau nicht nur von politischer Bedeutung, sondern obendrein ausgesprochen unterhaltsam für Menschen unterschiedlichster politischer Gesinnung gewesen sind.

Heute ist die Verurteilung der von ihm ausgelösten Skandale, seine öffentlich gewordenen Fehltritte und der ungehobelte Umgang mit politisch Andersdenkenden scheinbar immer mehr hinter die Bewunderung für seine Person zurückgetreten. Das dürfen wir alle mit kritischem Blick zur Kenntnis nehmen und daraus unsere eigenen Lehren ziehen. Es war wohl kein Wahlkampf noch langweiliger als der zurückliegende, der dem ehemaligen preußischen "Mädchen" und der jetzigen "Mutti" zum dritten Mal die Kanzlerschaft brachte. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ein Heer von rundgeschliffenen, kantenlosen und dialektfrei sprechenden politischen Funktionären, deren Parteizugehörigkeit kaum noch erkennbar ist, die politische Bühne dieses Landes zu einem einzigen großen Schlafwagen gemacht hat.

Was immer man gegen Franz Josef Strauß berechtigt vorbringen kann, eines hat er auf alle Fälle sehr erfolgreich geleistet: die Förderung des politischen Interesse in weiten Teilen der Bevölkerung und die vermutlich von ihm nicht beabsichtigte Förderung des zivilen Ungehorsams. Für die säkulare Szene kann der etwas längere Blick auf ihn und seine politische Karriere als Bestandteil der jüngeren deutschen Geschichte vielleicht eine Diskussion darüber auslösen, was es braucht, um das politische Anliegen der Trennung von Staat und Kirche noch öffentlichkeitswirksamer vorzubringen.

Assunta Tammelleo
 

Zum Titel: Mit den Worten: "katholisch, monarchistisch, antipreussisch" beschreibt Franz Josef Strauß selbst sein Elternhaus in seiner Biographie.

[1] "In Bayern gehen die Uhren anders. Wenn in Bayern die Uhren anders gehen, dann haben wir, soweit die Politik es vermag, diesen Beitrag zur geistigen Führung unseres Landes geleistet, damit in Bayern die Uhren richtig gehen und nicht nach Zeitgeist jeweils verschieden eingestellt werden." (O-Ton Franz Josef Strauß, Zitat Abendzeitung 2./3.10.).

[2] „...Schleyer hatte "zur mittleren Elite des NS-Staates" ... gehört und seine braune Vergangenheit stets verschwiegen ... - Spiegel-Online