Wolfgang Sellinger eröffnet Ausstellung "Kirche mit Kirchenkritik" in der Eichstätter Johanniskirche

Aufruhr um einen Nicht-Friedfertigen

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Wolfgang Sellinger in der Ausstellung "Kirche mit Kirchenkritik"
Wolfgang Sellinger

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Die Laudatio hält Andreas Karlstetter, Pädagoge, Künstler, Mitglied der Säkularen Humanisten Neuburg/Donau

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Aufmerksame Besucher der Vernissage
Aufmerksame Besucher der Vernissage

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Das Publikum steht ein für Glaubens- Meinungs- und Pressefreiheit
Das Publikum steht ein für Glaubens- Meinungs- und Pressefreiheit

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Besucher aus allen Bundesländern, hier u. a. der Verfasser der Reim-Bibel, Prof. Dr. Wolfgang Klosterhalfen
Besucher aus allen Bundesländern

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Anstelle des Altars: Der überdimensionierte Penis in Form eines christlichen Kreuzes
Anstelle des Altars: Der überdimensionierte Penis in Form eines christlichen Kreuzes

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Die juristisch erstrittene Ausstellung in der säkularisierten Johanniskirche
Die juristisch erstrittene Ausstellung in der säkularisierten Johanniskirche

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Wolfgang Sellinger vor der "Galerie der Kirchenkritik"
Wolfgang Sellinger vor der "Galerie der Kirchenkritik"

Im beschaulichen Eichstätt mit seinen ca. 14.000 Einwohnern ist der Galerist Wolfgang Sellinger bekannt wie ein bunter Hund. Der ehemalige Schuhhändler mischt sich grundsätzlich mit bunten großen Brillen, eleganten Hüten und insgesamt auffallend farbenfroh und elegant gekleidet unter die Menschen in der oberbayerischen Kleinstadt. Aber damit nicht genug. Seit einigen Jahren betreibt der umtriebige 68jährige Kaufmann mitten im Zentrum des katholischen Bischofssitzes eine Kunstgalerie der besonderen Art, wie sie es sicherlich in ganz Deutschland kein zweites Mal geben dürfte.

Sein ehemaliges Ladengeschäft in guter Lauflage nutzt Sellinger nämlich als "Galerie der Kirchenkritik". Dort stellt er Gemälde, Plakate und Skulpturen aus, die in aller Regel geeignet sind, gläubigen Katholiken vor Empörung die Zornesröte ins Gesicht zu treiben.

Nun hat der Unternehmer Sellinger in diesem Jahr juristisch erstritten, in der säkularisierten Johanniskirche in Eichstätt – gleich neben dem Dom – die seit geraumer Zeit als Ausstellungsraum genutzt wird, seine umstrittenen Werke ausstellen zu dürfen.

Am vergangenen Samstag war es dann so weit. Die Ausstellung "Kirche mit Kirchenkritik – gestern, heute, morgen" wurde von Wolfgang Sellinger feierlich eröffnet. Für die kommenden zwei Wochen ist sie immer von 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr bei freiem Eintritt für jedermann offen.

Gezeigt werden überwiegend Bildtafeln mit religions- und kirchenkritischen Karikaturen, Gemälden und Zitaten von mehr und auch weniger bekannten Persönlichkeiten. Außerdem Installationen wie z.B. die "Zölibat-Tankstelle", umfunktionierte Toilettenschüsseln und "Päderasten-Nektar" und "Pädophilen-Ejakulat". Größter Blickfang ist – im hinteren Bereich wie auf einer Art Altar positioniert – ist ein überdimensionierter Penis in Form eines christlichen Kreuzes. Gleich beim Eingang hat Sellinger bildlich den geschäftsführenden Beamten der Eichstätter Stadtverwaltung, Hans Bittl, und den Eichstätter Oberbürgermeister Andreas Steppberger ans Kreuz genagelt.

Provokation über alles

Wolfgang Sellinger im lithurgisch lila-farbenen Hemd heißt gegen halb sechs am Samstag Abend die ca. 60 Vernissage-Gäste in seiner Ausstellung herzlich willkommen und übergibt umgehend das Mikrofon an einen freundlich blickenden jungen Mann mit ähnlich gefärbtem Hemd und kleiner schwarzer Fliege. Andreas Karlstetter ist Kunstlehrer, frei schaffender Künstler und Mitglied der Säkularen Humanisten aus Neuburg/Donau. Mit Sellinger verbindet ihn, wie er selbst sagt, "dass er und ich den faktischen Wahrheitsgehalt sämtlicher Religionen bezweifeln, allerdings bei unterschiedlichen Ausdrucksweisen im öffentlichen Raum."

Wo Sellinger "der Meister der Provokation" ist, sieht Karlstetter sich in seinen säkularen Aktivitäten stets um einen "sachlichen Diskurs" bemüht. Die punktuelle Zusammenarbeit von ihnen beiden, so Karlstetter, muss zwangsläufig "eine spannende Mischung" ergeben.

Natürlich ist die Ausstellung der Galerie der Kirchenkritik unglaublich provokant. Allerdings muss "eine demokratische Gesellschaft im 21. Jahrhundert fähig sein, eine Ausstellung wie diese zu ertragen." Und man dürfe zu keinem Zeitpunkt vergessen, dass jedermann die Ausstellung besuchen könne, aber niemand zum Besuch gezwungen würde.

Eine Ausstellung wie die der "Galerie der Kirchenkritik" wäre, so führte Karlstetter fort, vermutlich alleine dann schon überflüssig, wenn alle Bürger und Bürgerinnen die Glaubens-, Meinungs- und Pressefreiheit, die in der Bundesrepublik vom Gesetzgeber gesetzlich garantiert ist, gleich hoch schätzen würden. Aus Sicht säkularer Menschen gibt es allerdings noch jede Menge tatsächlichen Handlungsbedarf, um die Glaubens-, Meinungs- und Pressefreiheit für jedermann, auch für säkulare Menschen, zu garantieren. Und ebensolchen, um die Trennung von Staat und Kirche echte gesellschaftliche Realität werden zu lassen.

Die Werke aus der "Galerie der Kirchenkritik" zeigen daher nicht nur "plakative Kirchenkritik", sondern formulieren in ihrer Gesamtheit eine "plakative Forderung an die Gesellschaft." Und weil, so Karlstetter weiter, "diese Ausstellung laut und unübersehbar ist, provokativ und unmissverständlich", leiste sie einen unverzichtbaren Beitrag zur dringend notwendigen öffentlichen Debatte um die kirchliche/religiöse Einflussnahme im Leben der Bürger auch heute noch, thematisiert u.a. das Verhältnis der großen Religionen zur Sexualität, ihre Scheinheiligkeit bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in den eigenen Reihen, ihre unbeschreibbare finanzielle Privilegierung durch den deutschen Staat, ihre Bigotterie allüberall, ihren unheilvollen Einfluss in Kindergärten und Schulen und noch viele Themen mehr.

Gebet und Opfer sind nutzlos

Wie auch der streitbare Wolfgang Sellinger macht Andreas Karlstetter allerdings keinen Hehl daraus, dass auch für ihn der christliche Glaube eher etwas für intellektuell nicht besonders entwickelte Menschen ist. "Je größer der Dachschaden, desto schöner der Aufblick zum Himmel" zitierte er in diesem Zusammenhang den großen Kirchenkritiker Karlheinz Deschner. Die Religiosität nehme schließlich mit steigendem Bildungsniveau ab, und sogar der ehemalige Kardinal Ratzinger verkündete 1979 bereits, dass "der christliche Gläubige eine einfache Person sei. Und daher (sei es) Aufgabe der Bischöfe, den Glauben dieser kleinen Leute vor dem Einfluss von Intellektuellen zu bewahren." In Anbetracht allerdings der zahlreichen akademischen christlichen Politiker in den höchsten Rängen – man betrachte u.a. Joachim Gauck, Angela Merkel, Thomas de Maizière, Katrin Göring-Eckhardt … – muss diese Feststellung vielleicht doch noch einmal neu bearbeitet werden.

In der Johanniskirche dauerte die Diskussion unter den Besuchern an diesem Samstag noch lange an. Die Besucher diskutierten in kleinen Gruppen bis zum Einbruch der Dunkelheit. Danach wich man in großer Runde in die nahe gelegene italienische Gaststätte aus.

Wolfgang Sellinger, "der Ruhelose", hat derweilen schon die nächste Provokation vorbereitet. Am idyllisch gelegenen Sellinger-Familiengrab auf dem Eichstätter Friedhof mitten in der Stadt ließ er den Grabstein künstlerisch umarbeiten. Auf einer golden glänzenden Messingtafel prangt nun u.a. – weithin gut sichtbar in wunderbarem Blau – die Aufschrift "Gebet und Opfer sind nutzlos", ein Zitat nach dem griechischen Philosophen Aristoteles. Noch steht nicht fest, ob diese Grabänderung von der Friedhofsverwaltung bereits bemerkt worden ist. Vermutlich hat der gewiefte Sellinger sich vorab darüber Gewissheit verschafft, dass diese ungewöhnliche Grabbeschriftung im katholischen Eichstätt durchaus von der örtlichen Friedhofsordnung gedeckt ist. An zustimmenden Reaktionen von Seiten der Stadtverwaltung oder gar der Kirche ist Wolfgang Sellinger ziemlich sicher sowieso nicht interessiert.

Das Sellinger-Familiengrab

Das Sellinger-Familiengrab zitiert Aristoteles: "Gebet und Opfer sind nutzlos"


Die Ausstellung "Kirche mit Kirchenkritik – Gestern, heute, morgen" ist noch bis zum 21. August täglich von 13:00 bis 18:00 Uhr in der umgewandelten Johanniskirche am Domplatz zu sehen. Der Eintritt ist frei.