BREMEN. Wie sieht es aus mit dem Religionsunterricht in Bremen, und wie soll es damit weitergehen?
Über diese Themen informierte der Religionswissenschaftler Jürgen Lott gestern in seinem Vortrag "Religionsverfassung und Schulwirklichkeit in Bremen", den er auf Einladung der Juristischen Gesellschaft im Gebäude der Handelskammer hielt.
Anders als in den meisten deutschen Bundesländern ist der Religionsunterricht in Bremen ein rein staatlich organisiertes Schulfach. Nach zähen Verhandlungen einigte man sich 1947 auf den Kompromiss, an den Schulen fortan "Biblischen Geschichtsunterricht auf allgemein christlicher Grundlage" zu erteilen. Dieser unterscheidet sich vom Religionsunterricht in anderen Bundesländern vor allem darin, dass seine Inhalte nicht von den Kirchen bestimmt werden und er sich an alle interessierten Schüler unabhängig von ihrer Konfession wendet. Das Bundesverfassungsgericht entschied 1971, dass der Biblische Geschichtsunterricht weder eine religiöse, noch eine anti-religiöse Unterweisung darstelle, was dem Bremer Modell tendenzielle Neutralität auferlegte.
Über die konkrete Ausgestaltung des Unterrichts herrscht jedoch seit jeher einige Unklarheit. Wie parteiisch darf er sein? Soll er religiösen Glauben an die Schüler weitergeben, oder diesen nur als kulturelles Phänomen darstellen? Müssen Lehrer, die den Biblischen Geschichtsunterricht erteilen, Christen sein? All diese Fragen sind keineswegs verbindlich geklärt, weswegen es in der Praxis offenbar zu recht unterschiedlichen Unterrichtsformen kommt. Lott berichtete, dass er während seiner Tätigkeit in Bremen vom "schlechten Konfirmandenunterricht" in der Schule bis zu einem reflektierten, problemorientierten Ansatz die ganze Bandbreite des Biblischen Geschichtsunterrichtes kennengelernt habe. Auch die sich rasch verändernde weltanschauliche Zusammensetzung der Bevölkerung - weniger Christen, mehr Konfessionsfreie und Muslime - habe sich natürlich auf die Form und die Inhalte des Unterrichts ausgewirkt.
Das Bremer Modell hat also, seit es in der Landesverfassung von 1947 festgelegt wurde, bereits einige Weiterentwicklungen hinter sich. Zur Zukunft des Faches stellte Lott zwei Vorschläge vor, die von verschiedenen Seiten in die Diskussion eingebracht wurden. Die Kirchen befürworten einen christlichen Religionsunterricht im Wahlpflichtbereich des Stundenplans, der von Lehrern mit christlicher Identität erteilt wird und über einen rein religionskundlichen Unterricht hinausgeht. Daneben sollen nach Meinung der Kirchen Philosophie und islamischer Religionsunterricht als separate Fächer angeboten werden, was auf eine Trennung der Schüler hinausläuft, wie sie in vielen anderen Bundesländern momentan die Regel ist.
Lott kritisierte, dass diese "Trennung der pluralen Realität der Kinder und Jugendlichen nicht gerecht" werde. Als Alternative dazu warb er für ein Modell, in dem der bestehende Biblische Geschichtsunterricht zu einem allgemeinbildenden, religionskundlichen Unterricht weiterentwickelt wird, der sich auf klarer Grundlage an alle Schüler unabhängig von ihrer Konfession wendet. Lott sprach sich zwar dafür aus, dass das Christentum aufgrund seiner großen historischen und gesellschaftlichen Bedeutung neben anderen Weltanschauungen und Religionen weiterhin ein zentraler Gegenstand des Faches sein solle, dies aber nicht missionarisch im Sinne der Verkündigung von Wahrheiten, sondern in einer neutralen Form. Dieser Ansatz müsse natürlich auch eine Auseinandersetzung mit der Wirkungsgeschichte der Religionen beinhalten, und jene bestehe im Fall des Christentums und des Islam eben nicht nur aus positiven Seiten.
Ein Blick auf die Fakten scheint Lotts Einschätzung zu bestätigen, dass ein parteiisch-konfessioneller Religionsunterricht der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr angemessen ist. Laut Daten der <"Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland"> (FOWID) gehörten 2003/2004 in Bremen noch 44 Prozent der Bevölkerung der evangelischen Kirche und 12 Prozent der katholischen Kirche an. Zieht man von diesen Zahlen den beträchtlichen Anteil derer ab, die zwar formal Kirchenmitglied sind, aber zentralen Inhalten der kirchlichen Lehren nicht zustimmen oder diese nicht kennen, sind die tatsächlich gläubigen Christen in der Minderheit. FOWID beziffert die effektive <"Christenquote"> in Bremen gar auf unter 20 Prozent.
Doch selbst dann, wenn man ausschließlich die Religionsmitgliedschaft, und nicht den tatsächlichen Glauben der Menschen berücksichtigt, stellen die Konfessionsfreien in Bremen nach den Protestanten die zweitgrößte weltanschauliche Gruppierung dar. Daneben bekennen sich etliche Bürger zum Islam oder einer der vielen weiteren Glaubensrichtungen. Die enorme Anzahl von insgesamt über 100 verschiedenen Glaubensgemeinschaften in Bremen zeigt, wie weit sich der alltägliche weltanschauliche Pluralismus im kleinsten deutschen Bundesland bereits entwickelt hat.
In der Tat scheint ein kirchlich organisierter, konfessionell gebundener Religionsunterricht, der die Schülerschaft spaltet, dieser faktischen Vielfalt am wenigsten gerecht zu werden. Ein weltanschaulicher und religionskundlicher Unterricht, der hinsichtlich des Wahrheitsanspruches der einzelnen Sichtweisen neutral bleibt, zu den in Europa gültigen Grundwerten aber klar Stellung bezieht, könnte dagegen auf die Angehörigen unterschiedlicher weltanschaulicher Gruppierungen eine integrierende Wirkung entfalten. Es bleibt abzuwarten, ob sich der "Biblische Geschichtsunterricht" in Bremen - unter welchem Namen auch immer - in dieser Weise weiterentwickeln wird. Der gegenwärtig vom Senat durchgeführte Versuch, in dem das Fach "Islamkunde" testweise an einzelnen Schulen angeboten wird, deutet eher auf eine sich verschärfende Trennung der Schülerschaft hin.
Klaas Schüller