Kann das Gehirn das Gehirn verstehen?

Bewusstsein

 

Mit der Frage nach dem Bewusst­sein sind eigent­lich alle Kandidaten über­fordert und halten sich bescheiden zurück. Prof. Hüther hält es für eine soziale Errungen­schaft; Prof. Christoph von der Malsburg denkt, dass es mit Auf­merk­samkeit gleich­zusetzen ist; Prof. Frederici kann sich keine empirische Situation vor­stellen, in der man das testen könnte und verlangt von den Philo­sophen erst einmal eine saubere Definition; Prof. Menzel gesteht auch Bienen eine Form des Bewusst­seins zu, eine Erfahrung von Einheit und das Denken in Kategorien; für Prof. Singer hat es mit den 30-40Hz Oszillationen, die verschie­denen Hirn­areale mit­einander synchronisieren, zu tun und für Prof. Frank Rösler zählt die Fähig­keit "mit Repräsen­tationen auf Repräsen­tationen ver­weisen zu können". Ein Riesen­begriffs­chaos also.

Prof. Roth, für den Bewusst­sein irgendwie mit dem Assoziations­cortex zusammen­hängt, entgegnet der "Materie-Geist-Debatte" geist­reich, indem er den alten Materie-Begriff erweitert: "Viele materielle Zustände sind jedoch masse­los. Licht beispiels­weise. Licht ist frag­los materiell als eine Menge physi­kalischer definierter Teil­chen, hat aber Eigen­schaften, die mindestens so merk­würdig sind wie das Bewusst­sein."

Eckoldts Buch kratzt trotz seiner Kürze nicht nur an der eitlen neuro­wissen­schaft­lerischen Ober­fläche sondern geht dank der punkt­genauen Fragen des Autors wirklich in die Tiefe und vermittelt einen guten Stand der aktuellen Probleme der Hirn­forschung. Der Fokus liegt sehr auf mensch­lichen Gehirnen und Eigen­schaften und über­geht, was wir eigent­lich schon über neuronale Verschaltungen z. B. aus der Frucht­fliege oder Mäusen wissen. Hier ist es nämlich schon möglich kleineren Netz­werken "beim Denken" zuzu­sehen. Auch merk­würdig ist, dass das millionen­schwere "Blue-Brain-Projekt" oder "Human Brain Project" uner­wähnt bleibt.

Kleine Perlen, wie Prof. Hüthers philo­sophischer Beitrag über die Liebe oder Prof. Menzel nüchterne Ansichten zu Gott finden sich neben der nahezu auf­dring­lichen Abhand­lung über die fehlende Aner­kennung der eigenen wissen­schaft­lichen Leistung des Prof. von der Malsburg. Man erfährt tat­sächlich etwas über den "wissen­schaft­lichen Apparat" und wie unflexibel er für Quer­denker ist, aber auch etwas über Wissen­schaftler­persönlich­keiten. Die neuronalen Verbindungen, die durch die Lektüre dieses Buches auf­gebaut werden, sind die Energie des Lesens und bewussten Ver­arbeitens auf jeden Fall wert!

 


Matthias Eckoldt, Kann das Gehirn das Gehirn verstehen? - Gespräche über Hirn­forschung und die Grenzen unserer Erkennt­nis, 250 Seiten, Gb/SU, 2013, 29,95 Euro, ISBN 978-3-8497-0002-7

  1. zum Beispiel: Tagesspiegel, Spiegel,Spektrum
  2. zum Beispiel: Focus, 3sat