Humanisten kritisieren Bildungsgegner scharf

KONSTANZ. (hpd/habo) Die Humanistische Alternative Bodensee (HABO) kritisiert die Gegner des neuen baden-württembergischen Bildungsplans scharf. Diese haben eine Petition gegen die Pläne der Landesregierung gestartet, sexuelle Vielfalt in der Schule zu thematisieren. In einer Pressemitteilung wirft ihnen die HABO vor, mit Halbwahrheiten zu argumentieren und Hysterie zu schüren.

 

Die Empörung gegenüber einem noch im Werden befindlichen Bildungsplan ist ebenso gespielt wie manche Taktik seiner Kritiker, die die Erwähnung von pluralistischen Persönlichkeitseigenschaften eines Menschen in der Schule verboten sehen möchten. Das scheinbare Entsetzen ist gerade im aktuellen Kontext neuerlich von großen Halbwahrheiten geprägt, wie es auch Vertreter der Gegenpetition eigens durch ihren gesamten Duktus, in dem die derzeitige Debatte geführt wird, zeigen. In vielen Stellungnahmen belegen gerade konservative Kreise, wie wichtig es ist, die Diskussion voranzutreiben. Die Zukunft Deutschlands hänge davon ab, was den Schülern in Baden-Württemberg “indoktiniert” werde, so ein Aufruf einer entsprechenden Initiative. Mit bewusst gewählten Abkürzungen wie “HS-Schlagseite” wird die Begrifflichkeit der Homosexualität aus dem Wortschatz verbannt, tabuisiert und von Manchem aus “lauter Ekel” nicht mehr in den Mund genommen. Mehr Verachtung geht nicht!

Neuerlich weisen evangelikale Familienverbände darauf hin, sie wären nicht homophob, hätten also keine Angst vor homosexuellen Menschen – sondern würden “homo” und “hetero” lediglich nicht als “gleichwertig anerkennen”. Intoleranz ist schlimmer als Furcht, denn sie ist ideologisch und fundamental begründet – und richtet sich damit gegen grundsätzliche Wertevorstellungen einer Gesellschaft, in diesem Falle eindeutig und klar gegen das deutsche Grundgesetz, das eben gerade garantiert: Die Würde des Menschen ist unantastbar – und jeder ist vor dem Gesetz gleich. Ohnehin lassen die Anhänger der Gegenpetition in ihren Darlegungen regelmäßig große Teile ihres eigenen Textes unerwähnt. Es geht ihnen eben nicht nur darum, sich gegen einen aufkommenden Bildungsplan zu echauffieren, sondern wieder und wieder zu wettern: Homosexuelle hätten häufiger HIV, seien öfter psychisch krank und alle weiteren gängigen Vorurteile finden Platz in der Begründung der Petition.

Auf Plakaten bei der Demonstration in der Landeshauptstadt war zu lesen: “Gegen Frühsexualisierung”. Hätten der Initiant und die vielen Unterstützer der Gegenpetition einen intensiven Blick in den Entwurf zum Bildungsplan geworfen, wäre ihnen bei etwas mehr Bescheidenheit aufgefallen, dass weder über Sexualpraktiken, noch über Vorzüge einer bestimmten sexuellen Orientierung im Unterricht gesprochen werden soll. Allein der eigentlich als völlig selbstverständlich anzunehmende Grundsatz jeglicher Bildung, nämlich die Darlegung der Realitäten, ist das Ziel. Im Politikunterricht wird über alle etablierten Parteien gesprochen – und nicht nur über CDU und FDP, auch wenn es Einigen vielleicht recht wäre. In einem freiheitlichen Staat kann und soll sich niemand heraussuchen, worüber Schüler (nicht) informiert werden dürfen – denn sie brauchen Auswahl, um sich ihre eigene Meinung zu bilden. Tatsachen sind unverrückbar und können nur mit Scheuklappen ausgeblendet werden. Wer sie von der Jugend fernhalten will, agiert diktatorisch.

Vorwürfe, der Elternwille bleibe im neuen Bildungsplan unberücksichtigt, sind zurückzuweisen. Der Gesamtelternbeirat hat sich deutlich dafür ausgesprochen, dass Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg mit dem Themenkomplex der Homosexualität in Berührung kommen sollen. Auch die Oppositionsparteien im Landtag und Andere müssen sich die Frage gefallen lassen, welches Verständnis von Demokratie sie verfolgen, wenn sie nicht bereit sind, mehrheitliche Überzeugungen zu akzeptieren. Das Recht auf Erziehung und Bildung der Eltern hat dort Grenzen, wo das Kindeswohl gefährdet wird. Und wer verhindern möchte, dass seine Tochter oder sein Sohn für das selbstständige Leben in einer Gesellschaft vorbereitet wird, die nach Freiheit, Toleranz und Anerkennung jedwedes Menschen strebt, der bringt das Wohl seines Kindes tatsächlich in Gefahr. Ich selbst habe erlebt, welche Anfeindungen der Alltag mit sich bringt – das Beispiel, das der Ministerpräsident in der Verteidigung des Bildungsplanentwurfes darlegte, wonach “Du schwule Sau” noch immer ein gängiges Schimpfwort auf Schulhöfen sei, ist nur eine der harmlosen Erscheinungen von Verunglimpfung, die in Deutschland weiterhin tagtäglich stattfindet.

Und auch, wenn sich gerade evangelikale und katholische Vereine und Organisationen immer wieder gegen den Vorwurf stemmen, eine “Umerziehung von Homosexuellen” anzustreben, so sind diese Bekundungen nur ein Teil der Wahrheit. Aus eigener Erfahrung, der ich als Coach über Jahre hinweg eigens in der christlichen Beratung tätig war und mit Einrichtungen wie diesen kooperiert habe, konnte zwar zu keinem Zeitpunkt vernehmen, dass das Ziel der “Heilung” ausgegeben wurde. Doch es bedeutet schlichtweg nichts Anderes, wenn offen von einer “Rückführung zur Heterosexualität” gesprochen wird. Unter dem Deckmantel der “Linderung von Nöten”, die die “ich-dystone Persönlichkeitsempfindung” mit sich bringt, war unverkennbar, dass Klienten die “Wiederentdeckung ihrer heterosexuellen Gefühle” nahegelegt werden sollte. Niemand wurde gezwungen, sich darauf einzulassen, doch die “kalte Schulter” oder das Mitleid für das “bedauernswerte Geschöpf” waren garantiert. Unzweifelhaft blieb, dass die “Ich-Dystonie” auf die alleinige Ursache der eigenen Unzufriedenheit mit der “gegen die Schöpfungsordnung” stehenden sexuellen Orientierung zurückzuführen war. Dass der Großteil derer, die mit ihren homosexuellen Empfindungen deshalb Schwierigkeiten haben, weil sie Diskriminierung und Ausgrenzung ausgeliefert sind, blieb eine verschwiegene Wirklichkeit.

Wer konsequent behauptet, die Thematik würde überbewertet und vernachlässige weitere Minderheiten, zeigt fehlende Weitsicht. Unwahr sind zudem Behauptungen, andere Randgruppen würden durch den neuen Bildungsplan nicht berücksichtigt. Gerade dem Initianten der Gegenpetition sollte als Pädagogen bewusst sein, dass beispielsweise die Themen Behinderung, Migration und Herkunft, aber auch religiöser Zugehörigkeit in zahlreichen Unterrichtsfächern wie Gemeinschaftskunde, Biologie oder Ethik und Religion ihren Platz haben. Außerdem stellte das Kultusministerium klar, wonach durch das Herausfiltern eines einzelnen Abschnitts des Bildungsplan-Entwurfes bewusst verschwiegen werde, dass eben alle Minderheiten in der Schule künftig ihre Erwähnung finden werden. Und besonders weil eine homosexuelle Orientierung eben kein angeeigneter Lebensstil ist, für den man sich entscheiden oder ihn ablehnen kann, ist jeder Angriff gegen tolerante Lehrpläne insbesondere Ausdruck von Berührungsängsten, die gerade dann nicht abgebaut werden können, wenn sie nicht weiterhin in der Öffentlichkeit und im Unterricht benannt werden.

Zurecht debattierten deshalb auch diverse Formate in den Medien, denen man sicherlich keinerlei Parteinahme vorwerfen kann. Dass sich Proportionen zwischen den Meinungen auftun, die gerade die Anhänger der Petition als ungerecht empfinden, rührt auch daher, dass solch ein Format durchaus den Auftrag besitzt, gesellschaftliche Gegebenheiten widerzuspiegeln. Und gemäß Umfragen ist Baden-Württemberg weitaus weltoffener, als es die Zahl der Mitzeichnenden der Eingabe an den Landtag suggerieren will. Auch wenn die Verfassung des Landes vorsieht, dass eine Erziehung und Bildung in Ehrfurcht vor Gott stattzufinden habe (worüber trefflich zu streiten wäre), haben weder die Gegner des Bildungsplans, noch einzelne Gruppierungen eine alleinige Deutungshoheit darüber, was dieser Gott “will” und “gut findet”. Denn dass manche konservative Lehre eben nicht mehr dem entspricht, was eine demokratische Mehrheit in diesem Land denkt und glaubt, haben nicht zuletzt Umfrageergebnisse der Diözesen auf die vatikanische Erhebung zu Fragen von Familie, Sexualität und Moral dieser Tage gezeigt. Dauerhaft ist das Deckeln von Überzeugungen nämlich glücklicherweise schon immer gescheitert.

Dennis Riehle