Zwischenruf

Sind Humanisten Egoisten?

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Die Crew des Humanistentages 2013 in Hamburg
Humanistentag 2013 in Hamburg

Ist der Humanismus tatsächlich zu rational? Der Frage, weshalb manchmal der Humanismus, wie wir ihn leben, möglicherweise so unnahbar, so fremd, so abweisend wirkt, geht Dennis Riehle in seinem "Zwischenruf" nach.

Dieser Tage wollte ich einer älteren Dame aus der weiteren Bekanntschaft einen Flyer übergeben, nachdem sie gefragt hatte, was ich "denn da so mache, mit diesen Humanisten". "Na ja", meinte sie, "irgendwie klingt das ganz schön abgekühlt". Zunächst war mir nicht klar, worauf sie hinauswollte. Doch dann wurde sie deutlicher: "Gefühlskalt. Alles so rational. Davon lässt sich doch kaum jemand ansprechen". Eindeutige Worte, auch wenn ich erst einige Tage später hinterfragte, ob denn an dieser Kritik auch etwas Wahres dran sein könnte.

Der Humanismus in seinen Ursprüngen ist verbunden mit der Vorstellung des Ideals. Durch ständige Bildung formt sich der Mensch immer weiter zum antiken Vorbild aus körperlicher und geistiger Höchstleistung. Gleichzeitig schwingt auch die Verpflichtung zum wohlwollenden Annehmen des Nächsten mit, tritt aber nicht nur bei Cicero in den Hintergrund. Vom "Renaissance-Humanismus" über den Späthumanismus hin zum Neuhumanismus stand die Weltanschauung in einem Spannungsfeld aus Streben nach Perfektion, stoischem Drang der Gelehrtheit und der Aufgabe des sozialen Hinwendens.

Und heute? Heute scheint mir, als würden wir uns wiederum dem Gedanken der Selbstprofilierung zuwenden. Humanismus versteht sich mittlerweile als Versuch, die griechischen Vorbilder noch um Längen zu übertrumpfen. Der Versuch, uns etwas beweisen zu müssen, zieht sich durch das Bemühen, gleichzeitig auch ein bisschen Mitmenschlichkeit zu zeigen. Eigentlich wollen wir aber gar nicht solidarisch sein, würde dies doch Zeit und Kraft nehmen, die wir viel eher in die eigene Verwirklichung investieren könnten. Humanismus wirkt manchmal so, als hätte er seinen Zweck aus den Augen verloren.

Denn: Humanistisches Denken stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Aber: Steht dort nicht letztendlich der Einzelne, der um sein Glück kämpft, alleine, mit Ellenbogen und Verliebtheit, ausschließlich in sich selbst? Überhöhen wir mit einem liberalen Verständnis des Alleskönnens nicht diejenigen, denen das gesellschaftliche Denken egal ist? Warum wirkt der Humanismus, wie wir ihn leben, möglicherweise so unnahbar, so fremd, so abweisend? Vielleicht liegt es daran, dass Verbindlichkeiten fehlen. Ja, es ist eine große Errungenschaft, frei zu denken, frei zu handeln. Braucht aber nicht auch der Humanismus ein Pendant zur religiösen Moral, die protektiv auf ihn einwirkt? Eine orientierende Ethik, die Linien aufzeigt und im Zweifel ein "Stopp" formuliert? Nicht das eines Gottes oder einer heiligen Schrift, sondern jenes von uns, das wir uns auferlegen, in der Abwägung von Erreichbarem und Sinnvollem.

Manchmal kommt mir die Welt eines manchen Humanisten recht klein vor. Denn sie scheint nur um die eigene Leistung zu kreisen. Er beruft sich auf seine Freiheiten, verkennt jedoch oft, dass mit futuristischen Utopien diejenigen zurückbleiben, die es nicht schaffen, an der Transformation teilzuhaben. Wer Selbstbestimmung zur Ultima Ratio stilisiert, der vergisst, dass mit jeder Entscheidung, die in diesem Sinne getroffen wird, im Zweifel ein anderes Recht beschnitten wird. Natürlich bleibt es jedem belassen, über sich zu bestimmen. Aber nicht grenzenlos. Ansonsten wäre er nicht Teil eines sozialen Gefüges, das unter anderem auch dazu da ist, den Einzelnen vor sich selbst zu schützen.

Immer wieder wird den Humanisten vorgeworfen, ihnen fehle es an "Inhalt". Ja, woran "glaubt" ein Humanist? Nicht im religiösen Sinne, sondern im Sinne von Überzeugungen. Wenn dann das Wort "Werte" fällt, ist das meistens eine dünne Argumentationsgrundlage. Denn sie birgt kaum praktische Beispiele – besonders dann nicht, wenn die Außenwahrnehmung davon ausgeht, dass hinter der Philosophie des Humanistseins ein "ich"-bezogener Kanon libertären Wunschseins steckt. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Beobachter die humanistische Ideologie als diejenige betrachtet, die selektiert – wie in der Antike. Kann unter dieser Annahme eine solche Anschauung überhaupt mehrheitsfähig sein?

Wo ist die Begeisterung, mit der wir ausrufen, dass es bei uns um das "Wir" geht? Die großen Glaubensgemeinschaften sind nicht umsonst derart beliebt (gewesen), weil sie die Menschen mitgenommen haben. Man gibt sich keine Blöße, wenn man eingesteht, dass wir alle in einem Boot sitzen – und nur schlecht ohne einander können. Mitgefühl und Mitsprache, Chancen und Hilfen, Weltoffenheit und Bedacht – der Humanismus ist nicht nur ein einziges Grundgerüst, es braucht Leben in diesem gemeinsamen Haus, das die Vielfalt der Persönlichkeiten ebenso wertschätzt wie die Notwendigkeit der Vernunft achtet. 

Letztlich muss ein Humanist nicht als Egoist gelten. Ob im politischen, im gesellschaftlichen oder privaten Dialog: Um für eine freidenkerische Weltanschauung zu werben, braucht es stets auch Feingefühl. Das macht den Humanismus wärmer und holt ihn aus der Ecke der Olympioniken in vollendeter Pose. Ob es dabei immer hilfreich ist, die Freiheit bis aufs Letzte auszureizen, will ich bezweifeln. Nicht alles, was machbar ist, ist gleichsam nötig. Humanismus macht sich sexy, wenn er ein bisschen mehr Demut übt – und damit ein klares Bekenntnis zum Miteinander ausspricht. Dazu gehört auch, nicht nur "gegen" etwas zu sein, sondern auch "für" einen Glauben an das Menschsein – deines, meines, unseres.