Ukraine

Blick nach Kiew

KIEW/BERLIN. (hpd) Heute Abend wird in allen Medien über blutige Auseinandersetzungen in Kiew berichtet, wo am heutigen Tage mehrere Menschen starben. Der hpd hat Kontakt zu Daniel Porcedda, seinem Kollegen vor Ort, aufgenommen.

 

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte am Abend um 18:48 Uhr aus Anlass der bedrohlichen Lage in Kiew: “Alle in Kiew sind in dieser aufgeheizten Lage aufgefordert, von jeder Form von Provokationen Abstand zu nehmen. Eine Eskalation der Gewalt ist das letzte, was das Land jetzt gebrauchen kann. … Ich kann vor dem Einsatz von Gewalt nur warnen. Ultimaten sind nicht der richtige Weg.”

Daniel Porcedda nennt die Zusammenstöße jedoch vorhersehbar. Niemanden, der sich ein wenig mit den Verhältnissen in der Ukraine auskennt, dürften sie erstaunen. "Leider wird weiterhin auf allen Ebenen beharrlich am eigentlichen Problem vorbei diskutiert. Vor allem aber wird an den Menschen vorbeigeredet. Dies bereits seit Beginn der Krise. Was sich jetzt sträflich rächt."

Sein Blick in die Zukunft ist eher pessimistisch. Da von der EU kaum ernsthafte Schritte zu erwarten sind, die zu einer Deeskalation beitragen könnten, wird die Gewalt die Menschen in der Ukraine noch eine Zeit lang begleiten.

Selbst (unbestätigte) Nachrichten, dass der umstrittene Präsident das Land verlassen hat, beruhigten die Demonstranten nicht. Denn die Hauptforderungen der Protestierenden sind noch immer nicht ansatzweise erfüllt. Auch wenn die Inhaftierten am Wochenende freigelassen wurden.

“Die EU kann zur Zeit nur eines tun, um weitere Opfer zu vermeiden” sagt Porcedda: “darauf einwirken, dass der Präsident mitsamt Regierung umgehend aus dem Amt entlassen werden. Sie muss die Bildung einer Interimsregierung unterstützen und die 2004er Konstitution sofort wieder herstellen.” Die Rückkehr zur Verfassung von 2004 - also derjenigen, die in Kraft war, als Janukowitsch gewählt wurde und die er verfassungswidrig außer Kraft gesetzt hat - war eine der Hauptforderungen der friedlichen Demonstranten gestern.

Die Menschen in der Ukraine brauchen jetzt Unterstützung und Anerkennung. “Alle Diskussionen auf den verschiedenen Ebenen werden kurzfristig nichts bewirken. Diese sind zudem für die meisten Beteiligten rein theoretischer Art, die nichts mit den Basisbedürfnissen der Menschen in diesem Land zu tun haben. Solange das protestierende Volk nicht in Gespräche und Lösungsfindungen einbezogen wird, solange wird kein Frieden über die Ukraine kommen”, sagt Porcedda.

Er fordert - an die Adresse der eigenen wie auch der ausländischen Politiker und Medien gerichtet - dass diese mit den Protestierenden reden, und ihnen zuhören sollte. “Die Protestler wissen, was sie wollen. Und dies sollte prioritär berücksichtigt werden. Alle andere geopolitische, wirtschaftliche, verteidigungsrechtliche etc. Aspekte müssen hinten anstehen.”

Ansonsten wird sich eine Protestwelle, die dem Einfluss der Opposition unter dem immer wieder beruhigendend auf die Massen einwirkenden Klitschko völlig entzogen ist, ihren Weg bahnen. “Diese Gewalt kann aus dem Innern des Landes kommen (Berkut, Militär) oder aus dem russischen Ausland. Beides gilt es zu verhindern.”

Eine andere Quelle spricht davon, dass die zuvor bereits befürchteten Gewaltausbrüche bewusst provoziert werden. “In den Lastern, die zwischen Polizei und Demonstranten stehen, haben derweil Titschuki Deckung gefunden. Das sind Randalierer - zum Teil bettelarme Leute, die von Janukowytsch und seinen Anhänger etwas Geld dafür bekommen haben, dass sie Randale machen, oder um, wie es der EU-Menschenrechtskomissar so herrlich diplomatisch formuliert hat, ‘ordnungspolitische Aufgaben wahrzunehmen’. Sie werfen Steine und Brandsätze in beide Richtungen, um beide Seiten zu provozieren und zu radikalisieren.”

In dem Bericht heißt es weiter, dass die Demonstranten friedlich um das Parlament herum standen, als die Berkut-Sonderpolizei das Feuer mit Gummigeschossen eröffnete. Dabei wurde ein “jeglichen aggressiven Verhaltens unverdächtiger deutscher Pastor getroffen. Dies hat dieser auch auf einem Video festgehalten: Man wollte ihm seine Kamera aus der Hand schießen.”

Das ukrainische Innenministerium hat auf seiner Website den Protestierenden ein Ultimatum bis 18:00 Uhr Ortszeit gestellt. Danach - so die Drohung - wird das Stadtzentrum gewaltsam geräumt. In diesem Moment (21:30 Uhr) sollen die Demonstranten auf dem Maidan eingekesselt worden sein.

Steinmeier droht den Mitgliedern der ukrainischen Regierung persönliche Konsequenzen an: “Wer Entscheidungen zu verantworten hat, die zu einem Blutvergießen im Zentrum Kiews oder anderswo in der Ukraine führen, wird damit rechnen müssen, dass Europa die bisherige Zurückhaltung bei persönlichen Sanktionen überdenken muss.”

In einer weiteren Mitteilung um halb neun meldet das Außenministerium: “Es sind dramatische Stunden, die wir in Kiew im Augenblick erleben. Die Nachrichten von einer neuerlichen Eskalation der Gewalt sind bestürzend. Dass es Tote und Verletzte im Laufe des heutigen Tages gegeben hat, erschüttert uns.”