BERLIN. (hpd). Der Abschlussbericht der Kommission zur Untersuchung der Menschenrechtslage in Nordkorea wurde vom Menschenrechtsrat der UN diskutiert. Es wird gefordert, den Fall vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Weitere Themen: Aussagen eines ehemaligen Wärters zeigen unmenschliche Zustände in den Gefangenenlagern auf; Treffen der getrennten Familien fanden statt; Wahlen zur Obersten Volksversammlung wurden abgehalten.
Untersuchungskommission vor dem Menschenrechtsrat:
“Nordkoreas leidende Bevölkerung ist auf Sie angewiesen”
Bei der Tagung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen am 17. März in Genf wurde der Abschlussbericht der Kommission zur Untersuchung der Menschenrechtslage in Nordkorea von Michael Kirby, dem Vorsitzenden der Kommission, vorgestellt. Darüber hinaus wurden Vorschläge zur weiteren Vorgehensweise gegenüber Nordkorea unterbreitet. Der detaillierte Bericht und die Empfehlungen der Kommission können hier abgerufen werden.
Kirby führte die Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland, die Apartheid in Südafrika und das Regime der Roten Khmer in Kambodscha an, nach deren Fall die Weltgemeinschaft immer wieder betont hätte, dass sich derartige Vorfälle nie wiederholen dürften. In Nordkorea geschähen unaussprechliche Gräueltaten, die keine Parallele in der heutigen Welt hätten. Nichts im Leben der Kommissionsmitglieder habe sie darauf vorbereiten können, was sie während der Anhörungen gehört und gesehen hätten. Anschließend wandte er sich direkt an das Publikum: “Die leidende Bevölkerung in Nordkorea, die nichts davon weiß, was wir hier heute tun, ist auf Ihr Handeln angewiesen.”
Kirby appellierte erneut an China, nordkoreanische Flüchtlinge nicht zwangsweise rückzuführen, da ihnen in Nordkorea Folter, Arbeitslager, Zwangsabtreibungen oder Hinrichtung drohen.
Mitglieder des Menschenrechtsrats, Beobachter, Nichtregierungsorganisationen und Nordkorea als betreffendes Land konnten sich zum Bericht äußern und Fragen an die Kommission stellen. Nordkoreas Vertreter So Se Pyong stellte klar, dass seine Regierung den Bericht verurteile und kategorisch ablehne. Das “ehrwürdige Ansehen” seines Landes werde durch den Bericht, dessen Inhalt – beeinflusst von den USA und anderen feindlichen Mächten – frei erfunden sei, diffamiert. Unter dem Vorwand, die Menschenrechte durchsetzen zu wollen, solle das Gesellschaftssystem Nordkoreas zerstört werden. Die “sogenannten Zeugenaussagen” von Überläufern mit unklaren Identitäten, die aus Nordkorea geflohen seien, nachdem sie dort Verbrechen begangen hätten, könnten niemanden überzeugen. Im sozialistischen System Nordkorea würden die Menschenrechte vom Gesetz her und in der Praxis gewürdigt. Später versuchte So ein Mitglied der japanischen Delegation, dessen Schwester von Nordkorea entführt wurde und niemals zurückkehrte, am Sprechen zu hindern. Als ihm das nicht gelang, soll er aus Protest den Saal verlassen haben.
Die Europäische Union, die zusammen mit Japan die Untersuchung der Menschenrechtslage in Nordkorea auf den Weg gebracht hatte, unterstützte die Befunde der Kommission und auch die Empfehlung, den Bericht dem Weltsicherheitsrat vorzulegen, damit dieser ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag veranlasst.
China hingegen, eine Vetomacht im Sicherheitsrat, lehnte den Bericht und dessen Befunde ab. Der chinesische Vertreter betonte den Wunsch seines Landes nach “Frieden und Stabilität” auf der koreanischen Halbinsel und schlug einen konstruktiven und kooperativen Dialog vor. Der Bericht sei einseitig und nicht glaubwürdig, da es der Kommission nicht gelungen sei, Zugang zu Nordkorea zu erhalten. Kirby erwiderte später, dass die Kommission alles versucht habe, um Nordkorea in den Prozess mit einzubinden, aber dass die Regierung nicht reagiert oder entsprechende Angebote ausgeschlagen habe. Er betonte erneut, dass durch die öffentlichen Anhörungen ein hohes Maß an Transparenz erreicht worden sei. Des weiteren seien die Zeugenaussagen im Internet für jedermann einsehbar – abgesehen von den Bürgern Nordkoreas. China wird in dem Untersuchungsbericht aufgrund der Missachtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung (non-refoulement), der die Rückführung von Personen in Staaten untersagt, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, scharf angegriffen. Darüber sei China hoch unzufrieden, betonte der chinesische Delegierte. Man habe der Kommission Informationen über die Koreaner, die illegal aufgrund ökonomischer Faktoren nach China kämen, zur Verfügung gestellt. Diese seien keine Flüchtlinge. Ausländische Nichtregierungsorganisationen und religiöse Gruppen würden aus Profitgier Menschenhandel unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe betreiben. Dies sei eine große Bedrohung für Chinas nationale Sicherheit und Stabilität. China werde auch in Zukunft in Einklang mit den nationalen Gesetzen und humanitären Grundsätzen handeln.
Ende des Monats wird voraussichtlich eine Resolution gegen Nordkorea im UN-Menschenrechtsrat verabschiedet – ob dieser diesmal auch Taten folgen, bleibt abzuwarten.
Ehemaliger Wärter berichtet von den Lagern für politische Gefangene
Im Züricher Tagesanzeiger erschien ein sehr lesenswerter Artikel über Ahn Myong-chol, der sieben Jahre lang als Wachsoldat im inzwischen geschlossenen Lager für politische Gefangene Nummer 22 (Kwanliso Nr. 22, zu Deutsch schlicht “Kontrollort”) tätig war. Was mit den 30.000 bis 50.000 Gefangenen geschah, ist nicht bekannt. In den Kwanliso gibt es sogenannte “Total Control Zones”, aus denen niemand mehr lebend herauskommen soll. Viele Menschen sterben dort innerhalb weniger Jahre durch Gewalt, Hunger oder Erschöpfung. Ahn sagte vor der UN-Kommission aus, dass es einen Plan gebe, alle Häftlinge zu töten und die Beweise für die Existenz der Lager zu vernichten, falls Nordkorea angegriffen werde. Es habe Übungen gegeben, wie man möglichst viele Gefangene in kurzer Zeit töten könne.
Als Ahn das erste Mal ein Lager von innen sah, war er erst siebzehn Jahre alt und hatte gerade die militärische Grundausbildung abgeschlossen (in Nordkorea ist man mit siebzehn Jahren volljährig). Er sei schockiert gewesen, dass die Menschen dort viel kleiner als er waren und nur aus Haut und Knochen bestanden. Er habe aber gelernt, dass die Menschen im Kwanliso keine Existenzberechtigung hätten. Wer Mitleid mit ihnen hat, mache sich mitschuldig.
Wer einen Häftling erschießt, darf zur Belohnung an die Universität und damit den 10-jährigen Militärdienst verkürzen. So sei es vorgekommen, dass Wächter Gefangene gezwungen hätten, an einem Zaun hochzuklettern, um sie dann mit Schüssen an ihrer vermeintlichen Flucht zu hindern. In intensiven ideologischen Sitzungen hätten die Wärter gelernt, die Insassen als Feinde anzusehen. Manchmal hätten sie Häftlinge als “menschliche Boxsäcke” für das Kampfsporttraining benutzt. “Es war uns egal, ob sie überlebten oder starben.”
Häufig kommt es zu Vergewaltigungen durch die Aufseher. Wenn eine Frau schwanger wird, versuchen die Täter, sie loszuwerden. Ahn berichtet davon, dass eine Frau ihr Kind während der Arbeit auf einem Feld gebar und die Wärter das Neugeborene in einen Hundenapf warfen und danach die Frau getötet wurde. Der für die Schwangerschaft Verantwortliche sei degradiert worden.
Ahn habe mit der Zeit gemerkt, dass die meisten Insassen überhaupt nicht wussten, weshalb sie bestraft wurden. Er fing an sich zu fragen, wie man sie dann als “Feinde” bezeichnen könne. Die Wende in seinem Leben kam, als sich sein Vater nach einer im Alkoholrausch ausgesprochenen regimekritischen Äußerung das Leben nahm. Zum Selbstmord habe es keine Alternative gegeben. Ahn wusste, dass nun auch er aufgrund der Sippenhaft in Nordkorea bestraft werden würde. Seine Familie inklusive seiner kleinen Schwester, die damals noch zur Grundschule ging, wurde in ein Lager gebracht. Mit seinem eigenen Blut schrieb er dem Lagerkommandanten einen Brief, um diesen von seiner Loyalität zu überzeugen. Ihm wurde geglaubt, er durfte seien Posten behalten und schließlich wurde auch die Überwachung, die nach dem Selbstmord seines Vaters fast lückenlos war, gelockert. So gelang ihm die Flucht mit einem Militärfahrzeug in Richtung China. Südkorea organisierte die weitere Flucht. Ahn ist nach eigenen Angaben der erste Flüchtling, der über das geheime Lagersystem berichten konnte. Heute ist er Menschenrechtsaktivist in Seoul.
Familientreffen abgehalten
Ende Februar fanden nach vielen Verhandlungen fünf Tage lang die ersten Familientreffen von Nord- und Südkoreanern seit 2010 statt. Insgesamt nahmen gut 260 Nordkoreaner und knapp 440 Südkoreaner daran teil. Bei den hochemotionalen Treffen sahen sich Eltern und ihre Kinder, Geschwister, Halbgeschwister und entferntere Verwandte nach 60 Jahren Trennung wieder oder begegneten sich zum ersten Mal.
Einige südkoreanische Teilnehmer klagten allerdings darüber, dass sich ihre nordkoreanischen Verwandten wohl verpflichtet sahen, ihnen gegenüber die offizielle Propaganda Pjöngjangs “nachzuplappern”. Außerdem hätten sie mit der Begründung, alles zu haben, was sie brauchen, Geschenke abgelehnt.
Die Teilnehmer beider Staaten werden vor den Treffen geschult. Den Südkoreanern wird gesagt, dass sie nicht über Politik diskutieren sollen. Die Nordkoreaner werden hingegen angewiesen, zu betonen, wie gut sie unter der Führung Kims und der Partei leben können.
Die Treffen haben für die betroffenen Angehörigen zweifellos eine hohe emotionale Bedeutung, ziehen jedoch Konsequenzen nach sich, von denen insbesondere die nordkoreanischen Teilnehmer betroffen sind. Nach den Familienzusammenführungen werden sie etwa zwei Wochen lang in Pjöngjang befragt, berichtet Daily NK. Es werde geprüft, ob sie sich ideologisch verdächtig verhielten und welche Geschenke sie von den Treffen mitgebracht haben. Ein Flüchtling berichtet, man dürfe etwa die Hälfte der Geschenke behalten – was den Offiziellen gefällt, müsse abgegeben werden. Südkoreanische Herkunftsangaben, beispielsweise auf Arzneimitteln, müssten unkenntlich gemacht werden. Ebenso müssten etwa 100 Dollar als “Loyalitätsgeld” abgegeben und der Aufenthalt in Pjöngjang von den Teilnehmern selbst bezahlt werden. In manchen Fällen seien die Teilnehmer nach den Treffen verschuldet, weil sie schon bei der Anmeldung Funktionäre der Staatssicherheit, Volkssicherheit und der Partei bestechen mussten, damit diese ihnen die obligatorischen Empfehlungsschreiben ausstellten. Von diesen Widrigkeiten abgesehen schaffen es einige der Teilnehmer allerdings, während der Treffen heimlich Informationen auszutauschen, so dass sie mit ihren Angehörigen in Kontakt bleiben konnten, die ihnen auch später finanzielle Unterstützung gewährten.
Nach den erfolgreichen Familienzusammenführungen schlug Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye regelmäßige Treffen vor, denn die Zeit werde immer knapper. 53 Prozent der 71.480 Menschen in Südkorea, die auf einer Warteliste stehen, sind über 80 Jahre alt. Allein im vergangenen Jahr verstarben 3.800 Menschen, die auf dieser Liste standen. Nordkorea schlug das Angebot vorerst aus, da dafür die gegenwärtige Atmosphäre aufgrund der südkoreanisch-US-amerikanischen Militärmanöver nicht angemessen sei. Es schloss aber nicht aus, dass es in der Zukunft Gespräche darüber geben könnte. Experten gehen davon aus, dass sich Nordkorea nicht auf regelmäßige Treffen einlassen wird, da es diese bei Verhandlungen an Zugeständnisse wie ökonomischen Hilfen knüpfen will.
Seit 1985 haben nun 19 persönliche Treffen und sieben Videokonferenzen zwischen getrennten Familienmitgliedern stattgefunden, an denen mehr als 22.000 Menschen aus 4.380 Familien beteiligt waren.
Wahlen zur Obersten Volksversammlung: 100 Prozent Zustimmung in allen Wahlkreisen
Am 9. März fanden in Nordkorea Wahlen für die Obersten Volksversammlung statt. Das Parlament mit 687 Sitzen wird alle fünf Jahre neu gewählt. Es kommt nur ein- oder zweimal im Jahr zusammen und nickt dann Entscheidungen des Regimes ab.
Konsequenterweise gibt es für die Mitglieder im Parlament auch nur einen Abstimmungsknopf. Auch die Wahlberechtigten hatten keine wirkliche Wahl: Sie konnten der vorgegebenen Liste mit jeweils einem Kandidaten pro Wahlkreis zustimmen oder sie ablehnen – letzteres auch nur pro forma, da die Wahl nicht geheim ist und Wahlpflicht herrscht. Ablehnung wird als staatsfeindliches Verhalten gewertet, da die Liste durch das Regime zusammengestellt wurde. Einige Wochen zuvor wurde beispielsweise Kim Jong Un von Vizemarschall Choe Ryong Hae als Nominierter für den Wahlkreis Paektusan 111 vorgeschlagen (Kim wurde natürlich auch in allen anderen Wahlkreisen des Landes als Kandidat vorgeschlagen, entschied sich dann aber selbst für den Wahlkreis Paektusan 111).
Die Wahlbeteiligung lag bei 99,97 Prozent, die Zustimmung in allen Wahlkreisen bei 100 Prozent. Anscheinend waren auch ausländische Wahlbeobachter zugegen. Nach einer KCNA-Meldung hätten sie gesagt, dass sie einen korrekten Einblick in das Wahlsystem der Demokratischen Volksrepublik Korea erhalten haben. Etwas deutlicher wurde ein Staatssekretär aus dem Vereinigten Königreich auf Twitter: “Während der Wahlen in der DVRK besuchte unsere Botschaft in Pjöngjang ein Wahllokal und […] stellte fest, dass es kein ‘D’ in ”DVRK“ gibt.”
Durch die Wahl rückten zwei Personen aus der Kim-Familie in den Fokus der Aufmerksamkeit. Zum einen wurde darüber spekuliert, ob Kim Kyong Hui, Kim Jong Uns Tante und Witwe des im Dezember hingerichteten Jang Song Thaek, wieder in die Oberste Volksversammlung einziehen würde. Es wurde zwar eine Frau desselben Namens gewählt, aber Experten glauben nicht, dass es sich dabei um Kims Tante handelt. Inzwischen wird davon ausgegangen, dass Kim Kyong Hui schwer erkrankt oder bereits vor Wochen verstorben sei. Die andere Person ist Kim Yo Jong, die jüngere Schwester Kim Jong Uns, die ihren Bruder zur Wahl begleitete und damit ihren ersten offiziellen Auftritt in den nordkoreanischen Medien hatte. Sie wurde als letzte in einer Reihe “höherer Funktionäre des Zentralkomitees der Partei der Arbeit Koreas” genannt. Vorher war sie zwar schon häufiger in den Medien zu sehen, wie bei der Beerdigung ihres Vaters oder der Eröffnung eines Vergnügungsparks, wurde aber nie namentlich erwähnt. Möglicherweise ist sie für die Organisation der Auftritte und “Vor-Ort-Anleitungen” ihres Bruders verantwortlich.
New Focus International stellt noch eine ganz andere Funktion der Wahlen in Nordkorea dar – vielleicht sogar die wichtigste: Vor der Wahl sollen Mitarbeiter und Agenten der Staatssicherheit die Wohnungen der registrierten Wähler aufsuchen, um ihren Wohnort zu verifizieren oder den möglichen Verbleib eines Bürgers zu klären. Für die Familien, von denen ein Mitglied nach China oder Südkorea geflohen ist, wird diese Zeit sehr kritisch. Wenn sie sonst die Agenten bestechen oder sagen konnten, die Person sei gerade in einer anderen Region des Landes, sei dies während der Wahl nicht möglich. Nur in Notfallsituationen könne man in einem Wahlkreis außerhalb des Wohnsitzes seine Stimme abgeben. Daher dient die Wahl als Volkszählung und dazu, den Verbleib von “vermissten” Personen aufzuklären. Sie soll auch dazu benutzt werden, Menschen zurück ins Land zu locken: Wenn die Person aus China zurückkommt und zur Wahl erscheint, würde die Partei alles verzeihen. Oder es werden gleich Drohungen ausgesprochen: Wenn die Person nicht zur Wahl erscheint, müsse die Familie die Konsequenzen dieses Landesverrats tragen.
SARAM e.V.i.G.
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